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„Die Teufel von Loudun“ an der Bayerischen Staatsoper: Der Dämon steckt im Detail

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Aušrine Stundyte und Martin Winkler
Besessen oder „nur“ unerwünscht: Jeanne (Aušrine Stundyte) muss sich dem Exorzismus von Pater Barré (Martin Winkler) unterziehen. © Wilfried Hösl

Mit ortsüblicher Kulinarik hat das nichts zu tun: Pendereckis „Die Teufel von Loudun“ ist die erste Opernpremiere der Münchner Opernfestspiele. Eine starke musikalische Fraktion trifft auf die Regie von Simon Stone. Und der entblößt auch die Schwächen des Stücks.

Mehr kann man in 110 Minuten nicht hineinpacken. Sündige Liebe, heimlich ausgelebte Sexualität, lebensfeindliche Dogmen der Religion, ein unterdrückter politischer Freigeist, Selbstbelügung und Denunziation aus enttäuschter Zuneigung inklusive Massenhysterie. Und das Beste: Alles ist wirklich passiert, anno 1634. Und noch immer so virulent, dass man szenische Nachhilfe gar nicht gebraucht hätte. Die Kerle in Schutzuniform tragen nämlich den Schriftzug „Polizei“, später malen sich die Nonnen feministische Parolen aufs Nachthemd oder gleich auf die Haut. Kommuniziert wird fleißig über Handys und Macbook: Alles noch aktuell, winkt da der große Regie-Zaunpfahl (Handlung am Ende des Artikels).

Dass sich Simon Stone in seinen Modernismen verheddert, kennt man aus seinen Inszenierungen. Doch hier, bei der ersten Premiere der Münchner Opernfestspiele, bleibt der Zuvielgefragte erstaunlich zurückhaltend. Die Geschichte ist ja auch zu stark. Und alles andere als kulinarisch und damit ortsüblich, weshalb mancher Gala-Gast vor dem letzten Ton von Krzysztof Pendereckis „Die Teufel von Loudun“ durch die Reihen ins Freie drängelt.

Vladimir Jurowski ist für dieses Stück der richtige Mann

Die vorletzte Neuproduktion im ersten Amtsjahr von Intendant Serge Dorny und Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski bleibt ganz auf Linie. Serviert wird in dieser Spielzeit, was konträr zu den vergangenen 20 Staatsopern-Jahren steht. Dies immer mit dem mahnenden Pädagogenblick: Seht und hört her, was ihr in München alles verpasst habt. „Die Teufel von Loudun“, Pendereckis 1969 uraufgeführter Opern-Erstling, lehnt sich an eine unglaubliche Geschichte an und zeigt zugleich vor ihr größten Respekt. Die Musik, eine mit Rieseninstrumentarium hergestellte, schleichende Klanglichkeit, dabei um schwarze Löcher kreisend, zieht nur selten eine zweite und dritte Ebene ein. Penderecki, sehr versiert am Werk, beschränkt sich gern aufs Illustrative oder – angesichts ausgedehnter Sprechstrecken – auf die Untermalung bis hin zum Hörspiel-Effekt. Nicht umsonst griff das Kino zu dieser Partitur, die das (oft leise) Grauen in die Gehörgänge bringt.

Weniger Interpretation ist bei dieser umfangreichen Besetzung gefragt, eher Koordination. Und Vladimir Jurowski, das hat er schon beim Saisonauftakt mit Schostakowitschs „Nase“ vorgeführt, ist dafür der richtige Mann: cool selbst im wildesten Getümmel, ein detailbewusster Organisator, der lichtet und lotst, statt sich mit dem konzentriert mitgehenden Staatsorchester nur Effektvolles herauszupicken.

Fast durchgehend lässt dazu Bob Cousins seine Drehbühne kreisen. Der Einfall ist zwar abgehangen und signalisiert Tempo, hier passt er tatsächlich. Ermöglicht werden schnelle, gleitende Wechsel der über 30 Szenen und immer neue Einblicke in einen Betonwürfel. Der bietet für vieles Platz: für eine Zelle, ein Treppenhaus, sogar für einen großen Gottesraum, in dem sich die sündigen Nonnen einmal malerisch auf die Stufen gießen dürfen. Und am Ende für ein Mini-Krematorium, wo hinter einer schwarzen Wand der geschundene Körper Grandiers dem Jenseits entgegenfackelt. Stone tappt dazu ein paar Mal in seine üblichen Realismus-Fallen, erzählt sonst dicht und klar am Stück entlang. Klug verlässt er sich dabei auf die Story und seine charismatischen Darsteller.

Premiere war kurz vor dem Platzen

Die gibt es hier zuhauf – auch wenn die Premiere kurz vor dem Platzen war. Wolfgang Koch, eigentlich für die Zentralfigur des Grandier vorgesehen, wurde kurz vor der Generalprobe positiv getestet. Das Aufsplitten der Rolle bringt einen aparten Verfremdungseffekt (den Stone auch an anderen Stellen gebraucht hätte): Jordan Shanahan singt mit virilem Bariton aus dem Graben, Schauspieler Robert Dölle lässt den Geistlichen auf der Bühne zum ausgezehrten, um sich und sein Lebensglück ringenden Ecce Homo werden.

Aušrine Stundyte ist als angeblich von Dämonen besessene Jeanne ganz herbe Heroine. Für die Sopran-Dramatik bringt sie ihre Elektra-Erfahrung mit, interessanter aber ist, wie sie Nuancen im unteren Dezibelbereich (auch in den Sprechpassagen) erkundet. Manches Gezappel wirkt wie die bemühte Fortsetzung von Friedkins Kino-Schocker „Der Exorzist“ – was zeigt, dass Stone für die Feinmechanik solcher Figuren, überhaupt fürs Detail kein gutes Händchen hat und sich dann in die Drastik flüchtet.

Schillernde Charakterstudien, wohl zum Großteil aus Eigeninitiative, gelingen Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als königlicher Kommissar Laubardemont, der eine homoerotische Zuneigung zu Grandier andeutet, auch Kevin Conners (Adam) oder Ulrich Reß (Mignon), besonders Martin Winkler als bizarrer Exorzisten-Pater Barré.

Schon nach der Hamburger Uraufführung gab es Mäkeleien über Pendereckis „Teufel“. Die sind, obwohl die Musik auch zur wirkungsvollen Geste drängt, eher kühle, gegen Ende dramaturgisch schwächelnde Themenschau statt durchpsychologisiertes Drama. Auf seltsame Weise scheut das Stück die Identifikation. Womöglich ist das größte Verdienst des Münchner Abends ein ungewolltes: dass er Probleme und Bruchstellen des Werks offenlegt.

Die Handlung: Jeanne, Priorin eines Klosters, verliebt sich in den Priester Grandier. Der leistete sich schon einige Affären. Zudem gilt er als Liberaler und Opponent des mächtigen Kardinals Richelieu. Jeanne will Grandier zum Beichtvater des Klosters machen, was dieser ablehnt. Daraufhin beschuldigt sie ihn, dass er sie und ihre Mitschwestern mit Dämonen verführt habe. Richelieus Anhänger wittern ihre Chance. An den Nonnen werden Exorzismen durchgeführt, Grandier wird verbrannt.

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