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Foto: Wilfried Hösl.
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Die Münchner Opernfestspiele formen Pendereckis „Teufel von Loudun“ zur wuchtigen Parabel

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„Lernet, was Liebe heißt“ gibt der blutig gefolterte Priester Grandier auf seinem Weg zum Scheiterhaufen der Priorin Jeanne für den Rest ihres Lebens mit. Über diese moralische Größe hinaus wuchs sich die gesamte Eröffnungspremiere zum hochkünstlerisch anklagenden Faustschlag gegen allen Machtmissbrauch und alle Massenhysterien aus.

Nach einer sich gezielt als „Öffnung“ und „Hinwendung zum 20.Jahrhundert“ verstehenden ersten, aber sehr durchwachsenen Spielzeit gelang dem neuen Führungsteam – Intendant Serge Dorny und GMD Vladimir Jurowski – mit dieser ersten Festspielpremiere ein Wurf. Und das mit einem so gar nicht „süffigen“, mit einem sperrigen Werk. Der historische Fall von 1634, in dem ein Priester schließlich öffentlich verbrannt wird, ist ein Beispiel für den erst Ende des 18. Jahrhunderts endenden (und noch einmal in England 1944 aufflammenden) Wahn um „Teufel“ als Vorwand für Anderes: in Loudun sind es Richelieus Durchsetzung des königlichen Absolutismus gegen befestigt eigenwillige Städte, dann kirchliche und männliche Eifersüchteleien gegenüber einem charismatischen, redegewandt für die Stadt eintretenden und dann auch noch männlich attraktiven Priester – von dem sich eine körperlich etwas verwachsene Nonne abgelehnt fühlt und ihr sinnliches Begehren in wahnhafte Besessenheit durch diesen „Teufels-Priester“ bis zu dessen Hinrichtung steigert… der noch die Schleifung der Stadtmauern folgt.

Krzysztof Penderecki (1933-2020) hat den durch Aldous Huxleys Roman wiederbelebten „Fall“ 1969 für Hamburgs Staatsoper zum Musikdrama verdichtet. Erst die Stuttgarter Inszenierung des großen, unvergessenen Münchner Musiktheater-Intendanten Günther Rennert machte das Werk dann zum Erfolg – nur als Gastspiel 1970 auch im Nationaltheater zu erleben. Diese fast fünfzigjährige Lücke schloss nun GMD Vladimir Jurowski fulminant: die vorgeschriebene radikal veränderte Orchestersitzordnung, großer Schlagwerkapparat hinter der Bühne, auch Fernwirkungen vom dortigen Chor, Minuten-kurze Szenen und Klangschnipsel oder -ballungen in Vierteltönen, Cluster-, Polyphonie, Gregorianik und vielem anderen bis hin zu Melodik-Häppchen – all das ergab eine fesselnde, ja, einzig passende, mitunter geräuschnahe filmisch-szenische Sound-Kulisse – Bravi für Jurowski, das Staatsorchester, den Chor (Einstudierung Stellario Fagone) und Klangregisseur Sven Eckhoff.

Die Covid-bedingte, kurzfristige Absage von Wolfgang Koch wurde glänzend gelöst: Bariton Jordan Shanahan sang sichtbar am Bühnenrand des Orchestergrabens in engem Kontakt mit Dirigent Jurowski expressiv - und mit Schauspieler Robert Dölle stand ein „Mannsbild“ auf der Bühne, das nicht nur der Bühnenaktion, sondern auch den Sprechpartien Grandiers beste Kontur verlieh. Ausrine Stundyte machte als Priorin Jeanne die Liebessehnsucht einer jungen Frau wie die hysterischen Besessenheitsanfälle so hör- und sichtbar, dass der Massenwahn erst der zwölf Ursuliner-Mitschwestern, dann auch vieler (Chor-)Frauen glaubhaft wurde. All diese vielen Nebenrollen waren charakterscharf besetzt, herausragend noch der fanatische Exorzist Barré von Martin Winkler, der ölige Kommissär von Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, die anrührend kleinformatige Restgüte des Altpriesters Ambrose von Martin Snell. Insgesamt ein Staatsopernensemble.

Sie alle agierten in heutigen Kostümen (Mel Page) in und um einen fast durchweg kreisenden hellen Beton-Würfel: mal Klaustro-Bunker, mal Piranesi-Treppenflucht, mal Schaulustigen-Loggia, mal Klosterzelle, mal Folter-Kabuff, mal weiter Kirchenraum, am Ende schier endloser Spießruten-Golgatha-Weg des blutüberströmten Grandier um-und-um bis zur Verbrennungszelle – ein glänzender, Werk- und das schnell-kurze Szenen-Tempo-tragender Bühnenbild-Wurf von Bob Cousins und Anna Wunderskirchner. Dieses „Bravi!“ schließt auch Regisseur Simon Stone ein: seine nie künstlich aktualisierende Zeitnähe der ganzen Handlung machte den Bogen von Osteuropa nach Abu-Ghraib über alle Unrechtsstaaten-Gefängnisse bis Guantanamo unumgänglich. Und da etliche Stellvertreter-Figuren oben auf der Bühne auch ein Handy zückten: ja, wir haben unsere eigenen Massen-Wahn-Phänomene in den a-sozialen Medien – heute und gerade jetzt. Ein Musiktheaterkunstwerk und eine kongeniale Verwirklichung machten das bedrückend und unausweichlich klar: Grandiers „Lernet, was Liebe heißt“ gilt auch als „Lernet, was Gerechtigkeit heißt“ für unsere Tage. Auch dafür sind Festspiele da!

  • Weitere Aufführungen 30.06., 3. und 7.7. – Karten unter 089 2185 1920. Für 30 Tage als video-on-demand auf STAATSOPERN.TV abrufbar.

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