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Bregenzer Festspiele: die Blitz-Oper am Bodensee

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Blick auf die Seebühne für „Madame Butterfly“ in Bregenz.
„Madame Butterfly“ bei den Bregenzer Festspielen: Projektionen und Farbspiele machen die Regie von Andreas Homoki auf der Bühne von Michael Levine zum Lichtkunstwerk. © Karl Forster/Bregenzer Festspiele

Die Bregenzer Festspiele sind am Mittwoch mit der Neu-Inszenierung von „Madame Butterfly“ gestartet. Doch die Premiere musste nach 59 Minuten wegen einer drohenden Gewitterfront abgebrochen werden.

Die Männerstimme, man hofft es kurz, könnte eine Ton-Panne sein. Dreimal stört Unverständliches die aufschmachtende Musik, bevor Scheinwerfer ins Publikum blenden und das Bühnenlicht ausgeknipst wird. Gesang und Orchester verstummen, 59 Minuten nach Premierenbeginn. Freundliches Bedauern über Lautsprecher, Hinweise, man möge die Tribüne räumen, Saalkarten-Besitzer werden ins angrenzende Festspielhaus zur halbkonzertanten Fortsetzung gebeten. Katerstimmung bei 7000 Gästen nach dem Puccini-Rausch: „Madame Butterfly“, die neue Seebühnen-Produktion bei den Bregenzer Festspielen, wird abgebrochen.

Bregenzer Festspiele: Abbruch von „Madame Butterfly“

Und das aus Sicherheitsgründen. Immer wieder hatte sich der Nachthimmel kurz erhellt. Doch das heftige Blitzezucken hinter Lindau blieb nicht das einzige. Bald sahen sich die Bregenzer und damit die Festival-Verantwortlichen umzingelt von Unwettern, Minuten nach dem Abbruch öffneten sich die Schleusen. Wer zurück ins Hotel wollte, hatte keine Chance. Alles drängte sich im Foyer und unter den Vordächern. Dieser 20. Juli 2022 wird damit zum Datum für die Annalen. Neben dem 18. Juli 1997, als es so heftig regnete, dass die Premiere von „Porgy and Bess“ von Anfang an im Festspielhaus spielte. Oder dem 22. Juli 2010, damals erwischte es nach gut einer Stunde die Wiederaufnahme-Premiere der „Aida“. Ansonsten, man glaubt es kaum bei Freiluft-Bedingungen, sonnte sich Bregenz im Premierenwetterglück.

Was die Regie verweigert, nämlich das ortsübliche Spektakel, besorgt also Petrus. Ein gewelltes Blatt Papier, das sich 23 Meter hoch über den Bodensee biegt, das soll alles sein? Doch enttäuschte Tagsüber-Passanten, die noch vom szenischen Overkill des „Rigoletto“, der Vorgänger-Produktion, träumen, bekommen abends trotzdem einiges auf die Augen. Es sind die Projektionen von Luke Halls, die Farben und gelegentliche Videos, die diese Produktion zum Ereignis machen. Fast dreidimensional schälen sich die Kalligrafien, die Berge und Wälder heraus. Eine Lichtplastik entsteht, die eine große Bregenzer Reihe fortsetzt und Installationscharakter hat.

„Madame Butterfly“ in Bregenz: der Abend funktioniert

Denn das lässt sich nach der knappen Stunde sagen: So viel Reduktion, so viel Konzentration, so viel Purismus war hier selten. Die Szenerie von Michael Levine funktioniert wie eine vergrößerte Normalopernbühne. Mit Gassen hinter den Papierwellen, die klassische Auftritte ermöglichen. Mit einem weiten Schauplatz, der die Aufmerksamkeit auf Intimes lenkt und Einsamkeit manchmal schmerzlich verdeutlicht. Überhaupt mit einer Fokussierung auf die Figuren, die damit zum Handlungsträger werden – und nicht das sonst gern eingesetzte technische Equipment. Ohne dieses Ambiente, in dem Puccinis Musik mühelos ins Weite drängt, bleibt Homokis Regie im Sterotyp stecken mit trippelnden Japan-Frauen und barmendem Händeringen, man merkt es an der halbkonzertanten Fortsetzung im Haus. Doch als Gesamtkunstwerk, so viel darf vermutet werden, funktioniert der Abend.

Bregenzer Festspiele: ein „Papierschiff“ im Bodensee

Umso stärker stechen die szenischen Zeichen heraus: die US-Flagge, die anfangs über der Bühne weht. Und, was in der Premiere nicht zu sehen ist: das überdimensionierte „Papierschiff“, mit dem Cio-Cio San die Rückkehr Pinkertons imaginiert – ein kleines hatte zuvor der gemeinsame Sohn wie einen stummen Ruf in den See gesetzt. Dazu die finalen Flammen, die nach Butterflys Suizid erst per Video das Riesenblatt emporzüngeln und sich in echtes Feuer am oberen Rand verwandeln.

Das Finale von „Madame Butterfly“ bei den Bregenzer Festspielen.
Das Finale von „Madame Butterfly“ – leider nicht in der Premiere zu sehen. © Ralph Larmann/Bregenzer Festspiele

Traditionell sind in Bregenz die Hauptpartien dreifach besetzt. In der Premiere verströmt Barno Ismatullaeva als Cio-Cio San dunkle Sopranglut, entwickelt die weiten, kraftraubenden Aufschwünge klug und technikbewusst. Edgaras Montvidas ist als Pinkerton nicht ganz formatfüllend, Brian Mulligans kerniger Sharpless läuft ihm fast den Rang ab. Annalisa Stroppa macht Dienerin Suzuki zur Co-Heldin.

Enrique Mazzola ist neuer Chefdirigent in Bregenz

Enrique Mazzola, seit diesem Sommer Bregenzer Chefdirigent, hat sich wie viele Kollegen in die Partitur verliebt, lässt sich von ihr aber nicht verführen. Mit den Wiener Symphonikern glückt eine zügige, elastische Interpretation, die atmet, Details Luft lässt und nie pathetisch draufdrückt. Geschmackvoll wie ein japanischer Ziergarten eben, der einen ja auch nicht mit Eindrücken überfällt. Vor allem bei der Fortsetzung im Haus hört man das.

Nach der guten Rest-Stunde dort ist die Stimmung versöhnlich bis ausgelassen. Standing Ovations für die musikalische Fraktion, das Regie-Team (warum eigentlich?) zeigte sich nicht. Wer nicht zur halbkonzertanten Aufführung durfte und seine Mails abrief: Kurz nach dem Abbruch trudelte bereits der automatische Link zur Rückerstattung ein. Nur zwei Aufführungsminuten länger, und die Festspiele hätten dies laut Ticket-Bestimmungen nicht mehr nötig gehabt. Eine faire Entscheidung also. Sie möge in diesem Sommer nie wieder passieren.

Weitere Vorstellungen bis 20. August 2022; Kartenstand und Bestellungen unter bregenzerfestspiele.com.

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