Eines schönen Tages werden wir eine Rauchwolke sehen…“ Madame Butterfly, die 15-jährige Geisha Cio-Cio San, die an einen notgeilen amerikanischen Marinekapitän verheiratet wurde, hat gerade auf der Bregenzer Seebühne ihre große Arie „Un bel di vedremo“ berückend schön und zerbrechlich gesungen, in der sie auf das Schiff ihres treulosen Liebsten wartet, der sie wenigstens wie ein Kind lieben soll.
Der gemeinsame Sohn konnte gerade noch ein Papierschiffchen in die Bodenseewellen setzen, dann gehen jäh die Lichter an. Die diesjährige Puccini-Premiere wird nach einer Stunde – knapp zur Halbzeit – abgebrochen.
Statt der Rauchwolke sehen wir nämlich von Lindau her eine von gelben Blitzen durchzuckte Gewitterfront auf uns zurasen. Vorher hatte es sich schon abgeregnet, auch während der Vorstellung begann es wieder feucht zu werden – passenderweise, als der Onkel Bonzo (Stanislav Vorobyov) lautstark die interkontinentale Mesalliance verfluchte, so dass man das Rascheln der sich siebentausendfach entfaltenden Regencapes kaum hörte.
In Bregenz greift Plan B
Jetzt aber ist erstmals für die Premierengäste der Bregenzer Plan B zu erleben. Nur 1997 musste die „Porgy and Bess“-Premiere von Götz Friedrich, spektakulär auf einer Autobahnbrücken-Ruine platziert, wegen dauerhaft schlechten Wetters komplett in der Drinnen-Variante gespielt werden. Den Abbruch einer Neuinszenierung gab es in Bregenz allerdings noch nie.
Anders als derzeit an Flughäfen und Bahnhöfen geht der Umzug ins unter der Tribüne liegende Festspielhaus dennoch chaosfrei und perfekt organisiert über die Bühne – obwohl im Haus nur 1660 Personen Platz finden, mehr als zwei Drittel der eben noch erwartungsfrohen Besucher heimgeschickt werden, aber wegen des einsetzenden Platzregens in den Foyers verweilen. Auf den Handys erscheinen schon die Formulare über die kulant gewährte, eigentlich erst nach der Hälfte fällige Rücküberweisung der Eintrittsgelder – und 25 Minuten nach Abbruch erklingt im Saal der Auftakt zur Rest-„Butterfly“.
Die ist ja eigentlich so gar kein Seestück. Außer dem Einzug der Verwandten – als exotische Stoff- und Schirmorgie in Rot und Schlammgrün – gibt es in diesem Kammerspiel optisch nichts Spektakuläres. Aber weil der Titel superpopulär ist und Puccinis bittersüße Melodien XXL-Intensität entfalten, hat die bald an die Berliner Staatsoper wechselnde Intendantin Elisabeth Sobotka es gewagt, dieses eigentlich intime Werk als Volksvergnügen anzubieten.
Dann eben die Dia-Kulisse
Das es freilich dann gar nicht geworden ist. Regisseur Andreas Homoki und vor allem sein Bühnenbildner Michael Levine haben das in den letzten Jahren etwas hohl gewordene, übereffektsicher mit immer neuen Gimmicks prunkende Open-Air-Spektakel auf dem See wieder auf seine Ursprünge reduziert.
Während in der Arena di Verona, im Theater von Orange oder im Athener Herodes-Atticus-Odeon immer die antike Architektur im Mittelpunkt steht, kann auf der leeren Seebühne zwischen Wasser und Pfänder-Berg stets bei Null angefangen werden, das ikonische Objekt das Bildzentrum sein. Dieses Jahr ist es einzig ein wie vom Wind verwehtes, geknülltes Seidenpapierblatt mit Kalligraphien von Bäumen und Bergen – trotzdem 1340 Quadratmeter Fläche, 33 Meter breit, 23 Meter hoch und 300 Tonnen schwer.
Um das zu beleben, werden tanzende Geistervorfahren bemüht, die die Butterfly begleiten; die Farben auf dem Blatt wechseln nach dem Gemütszustand der Protagonistin. Captain Pinkerton (aus Längengründen wurde der etwas plärrige Edgaras Montvidas um seine Arie gebracht) stößt sich durch das Blatt an gleich zwei Stellen. Auch das Sternenbanner pflanzt sich imperialistisch aggressiv auf, die Ruhe vor dem Gewittersturm lässt es freilich ziemlich am Mast kleben.
Schon bei der Bühnenführung vorher waren zwei der drei nun gar nicht mehr gezeigten Maschinentricks zu sehen: Das Papierboot des Kindes bringt den Vater in der Elf-mal-sechs-Meter-Version zurück, Brautbewerber Yamadori wird von Dienern auf einer Plattform durch den See gefahren. Und die TV-Nachrichten am Abend zuvor verrieten, dass zu Butterflys Selbstmord die Papierbühne in Videoflammen steht und hinten eine Feuergarbe verpufft.
Das im Original draußen zu sehen, hätte freilich nichts an der kreuzkonventionellen, eben massentauglichen Homoki-Sicht dieser auch rassistischen Tragödie geändert. Im Haus wird die auf kleiner Spielfläche zum anrührenden Kammerstück, weil Barno Ismatullaeva und ihre Suzuki Annalisa Stroppa so berückend schön und intensiv singen. Auch die dahinter vor verschiedenen Dias des Bühnenbildes platzierten Wiener Symphoniker unter dem souverän großzügigen Enrique Mazzola spielen zarttönend dicht; draußen klang es anfangs etwas basslastig.
Der Regisseur verweigerte die Verbeugung, auch zum schwärenden Konflikt um die kulturelle Aneignung bei dieser Oper sagt er nichts. Aus der Nähe sieht man: Die Usbekin in der Titelrolle trägt kein Asia-Make-Up. Und der begeisterte Bregenzer trinkt weiter sein Mohrenbräu.