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„Götterdämmerung“ in Bayreuth: „Verfluchter Reif! Furchtbarer Ring!“

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Die Nornen tasten im Zimmer von Brünnhildes und Siegfrieds Kind herum. Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele/dpa
Die Nornen tasten im Zimmer von Brünnhildes und Siegfrieds Kind herum. © Enrico Nawrath/dpa

Auch weil Brünnhilde in echt nur Grane liebt, kann Valentin Schwarz’ „Götterdämmerung“ keinen Schwung nehmen und Richard Wagners Tetralogie noch retten.

Intellektuell und sinnlich erweist sich der neue Bayreuther „Ring“ schließlich als das Fiasko, an das man zuvor drei Abende lang trotzdem nicht glauben konnte. Siegfried und Brünnhilde liegen auf dem Rücken am Grund eines leeren Schwimmbeckens im Querschnitt (Bühne: Andrea Cozzi). Er tot, sie todesbereit (aber woran soll sie sterben, egal). Oben am Beckenrand ihr Kind (haben die echt ein Kind, egal), ebenfalls tot. Hagen stürzt sich auf das Kind, taumelt aber mit dem Ausruf „Zurück vom Ring!“ ins Off (hat er den Ring nicht die ganze Zeit gehabt, egal, wen meint er, wenn die Rheintöchter doch weit weg sind, egal). Dann geschieht außer der Musik vorerst nichts weiter, was angesichts der Ereignisse (Götterdämmerung, egal) bescheiden ist. Dann werden einige Leuchtstäbe wie ein Notbehelf heruntergelassen, und eine Leinwand, auf der die ungeborenen Zwillinge aus dem „Rheingold“-Vorspiel – damals stach eins dem anderen ein Auge aus – friedlich vereint einander umarmen. Eine Art Happy End.

Was zuvor geschah: Brünnhilde ist während ihres großen Schlussgesangs abgelenkt, auch das Publikum ist ablenkt, denn Brünnhilde sieht aus wie Salome mit dem Kopf des Jochanaan, es ist jedoch der von Grane, den sie soeben aus einer Plastiktüte gezogen hat. Ihr zweiter Mann, der Nichtsnutz Gunther, hat sie ihr zugeworfen. Auf Gunthers Glitzershirt steht „Who the Fuck ist Grane“, aber im Saal wissen natürlich alle Bescheid oder nehmen es als Learning aus 16 Stunden „Ring“-Tetralogie mit nach Hause. Aber bitte nicht in der Abiprüfung verwenden.

Brünnhildes Pferd, hier: ihr treuer Leibdiener, ist am Hof der Gibichungen misshandelt worden, geprügelt, zur Ader gelassen, massakriert und zerlegt, ein arges Schicksal, nobel verkörpert von Igor Schwab, der mit stiller Loyalität die Herzen des Publikums gewinnt. Wahrlich, das Pferd ist der einzige Mensch weit und breit. Brünnhilde liebt Grane außerdem weit mehr als Siegfried, ihren ersten Mann, was der Handlung allerdings den Wind aus den Segeln nimmt.

Der Skandal des neuen „Rings“ besteht selbstverständlich nicht darin, dass kein Drache zu sehen ist, kein Walkürenritt, kein Feuerzauber und auch keine Götterdämmerung – die Zeiten sind lange vorbei. Der Skandal besteht nicht einmal in dem Versuch, die Handlung radikal zu überschreiben. Tobias Kratzer mit dem „Tannhäuser“ und Barrie Kosky mit den „Meistersingern“ haben in zwei grandiosen Bayreuther Inszenierungen zuletzt bewiesen, dass gerade dieser Ort vor allen anderen dazu geeignet und bereit ist, Neues zu schaffen, ernsthaft und radikal. Der Skandal besteht darin, dass Valentin Schwarz zwar ebenfalls volles Risiko geht, aber am Ende bloß ein mit Requisiten und Andeutungen vollgestopftes Loch zu sehen ist. Man kennt solche Inszenierungsbaustellen noch von Frank Castorf her, der einem im Vergleich fast genialisch vorkommt, zumindest kühn, während es bei Valentin Schwarz zwar rumpelt, aber dann auch mächtig simpel rumpelt. Die Requisiten und Andeutungen behaupten beständig, hier sei noch was im Busch, hier gehe es um etwas ganz anderes, als wir bisher dachten, wir Dummerchen. Und auch um etwas ganz anderes, als Wagner wollte, der Langeweiler, denn seinem Drama muss anscheinend ständig aufgeholfen werden. Immerhin vier lange Abende hat Valentin Schwarz Zeit, seine eigene Geschichte zu entwickeln. Aber das gelingt ihm nicht.

Niemals würde man eine Netflix-Serie damit davonkommen lassen, um das vielstrapazierte Wort für den neuen Festspielhaus-„Ring“ ein letztes Mal zu verwenden. Erst recht würde man sie nicht mit einem so dürftigen Finale davonkommen lassen. Auch nicht, wenn man Richard Wagners Dramaturgie für einen Moment außer Acht lässt und bereit ist, sich auf ein Rätselspiel einzulassen. Weil man Rätselspielen nicht widerstehen kann, wie auch Mime mit dem Quizmaster Wotan im „Siegfried“ Stress, aber auch Spaß hat. Ein Rätsel braucht jedoch Auflösungen, und je länger das Rätsel andauert, desto frappierender müssen die Auflösungen sein. Müssten die Auflösungen sein. Es gibt keine.

Der rote Faden ist zugleich eine Binsenweisheit, erst recht für Freunde und Freundinnen des „Rings“, überhaupt ist die geistige Einfachheit auf Dauer erdrückend: Die Welt ist ein gewalttätiger Ort. Vor allem sind Männer prinzipiell gewalttätig, und dass Siegfried keinen Vergessenstrank benötigt, um Brünnhilde zu vergessen und Gutrune auch so ohne Umschweife knutscht, verdeutlicht, dass Männer außerdem nicht lieben können. Frauen sind derweil aufgetakelt (Kostüme: Andy Besuch) und wirken – ein häufiges Schicksal aufgetakelter Frauen – nicht sehr helle. In der „Götterdämmerung“ hat das zur Folge, dass der Besuch Waltrautes bei Brünnhilde ein, bitte um Verzeihung, Trutschentreffen ist, bei dem das Ende der bekannten Welt denkbar beiläufig abgehandelt wird. Männer wie Frauen bleiben auf diese Weise uninteressant, so dass das Interesse auf Grane und die Kinder auf der Bühne ausweichen muss, aber das ist auch keine Lösung.

Valentin Schwarz hat immer wieder betont, er wolle keinen „Ring“ der Götter, sondern der Menschen zeigen, was sich von Richard Wagner an eigentlich von selbst versteht, spätestens aber seit dem „Ring“ von Patrice Chéreau und heute ohnehin. Nur ist das ausgerechnet diesmal nicht der Fall. Bestenfalls sind Typen zu sehen, Schurken und Schnallen, es gibt (fast) keine Psychologie und kaum Personenführung.

In der „Götterdämmerung“ verödet das Spiel zusehends. Dafür zeigen sich wiederum die Rätsel-accessoires: Hüte, Kappen, Mäntel kehren wieder wie Leitmotive, sind aber Irrlichte. Gelegte Fährten versanden endgültig. Warum lohnt es sich, die Ring-Genealogie (wer ist der Vater von Siegfried?) aufzulösen? Was bedeutet es, dass die Krakelkinderbilder aus dem „Rheingold“ in den Masken des Gibichungenchors (wie aus einem anderen Film, unter der Leitung von Eberhard Friedrich) wieder aufscheinen? Schlimmer noch: Will man es – nach anfänglicher Neugier und auch Hoffnung auf aufregende Einfälle – noch wissen?

Die „Götterdämmerung“ führt zunächst in die Jugendzimmer in Walhall zurück. Im „Rheingold“ waren sie schon verkleinert zu sehen, in der „Walküre“ tauchen sie im ersten Akt als Erinnerungsräume für Siegmund und Sieglinde auf. Jetzt wohnen hier Brünnhilde und Siegfried mit ihrem mutmaßlich eigenen Kind, das im Schlaf von glitzernden Nachtmahr-Nornen heimgesucht wird. Effektvoll, aber ebenfalls dann ohne weitere Bedeutung. Die Ehe von Brünnhilde und Siegfried ist zerstört wie die von Don und Betty Draper in „Mad Men“, die aber eleganter aussahen.

Hier hat das Bayreuther Besetzungspech – nach der Ad-hoc-Wotan-Auswechslung in der „Walküre“ – erneut seinen Lauf genommen. Stephen Gould sagte die Rolle krankheitshalber ab, aus Bari wurde der junge Clay Hilley eingeflogen, der stimmlich kraftstrotzend auftritt und auch szenisch noch rasch eingewiesen werden konnte. Lakonisch übernimmt er es, in lodengrüner Joppe ein möglichst gleichmütiger Siegfried zu sein und sich mit Brünnhilde keinem Liebes-, sondern einem Keifduett zu widmen. Als Ex-Walküre, jetzt freudlose Vorstadthausfrau ist erneut Iréne Theorin aus der „Walküre“ zu erleben, die, Granes Kopf im Arm, am Ende praktisch ins Leere singen muss und dies mit Anstand, das aber ohne charismatischen Überschuss bewerkstelligt. Albert Dohmen stellt einen stimmlich imposanten, finsteren Hagen vor, der szenisch missmutig beiseite bleiben muss, ohne dass die Regie wenigstens hier aus seiner reizvollen Vorstellung im „Siegfried“ etwas Anregendes entwickelt hätte. Eindimensional wie Schwarz’ Personal insgesamt hat er da bloß das Töten gelernt, und während er zur Wacht sitzt, lenkt vom Gesang wieder ab, dass er gleich dem armen Grane den Rest geben wird. Dass er Siegfried in diesem „Ring“ der Schusswaffen (Feuer wie Wasser) klassisch in den Rücken spießt, wirkt wiederum wie eine Verlegenheitslösung.

Michael Kupfer-Radecky, der Wotan-Einspringer aus dem dritten „Walküre“-Akt, ist ein agiler König Gunther, stimmlich hier leicht und sicher zu Hause. Elisabeth Teige muss als Sexbombe Gutrune trotzdem zeigen, dass sie singen kann (sie ist schon Freia im „Rheingold“ und auch die umjubelte neue Bayreuther Senta), was ihr mit großem, wohlklingendem Format gelingt. Christa Mayer, die Fricka, kehrt als Waltraute zurück. Auch bei ihr, wie gesagt, liegen Bild und Ton im schweren Clinch.

Cornelius Meister und das nachher besonders bejubelte Festspielorchester senden feine Kultur aus dem Graben, im „Trauermarsch“ für Siegfried verlangsamen sie bis zu Verschleppung, dafür kommen sie auch hier ohne Bombast aus. Ja, manchmal hätte man sich vielleicht etwas mehr gewünscht, auch beim eher verebbenden als melancholisch aufblühenden Schluss.

Nach dem betrüblichen Finale, das immerhin in Ruhe ausklingen darf, der große Publikumswutanfall. Erst nachdem sich alle anderen ausgiebig verbeugt hatten, zu gutem, wenn auch nicht rasendem Premierenbeifall – kleinere Unmutsbekundungen gegen das Dirigat (traditionell und unvermeidlich) und gegen die Brünnhilde –, erschien das Regieteam und bemühte sich um Ruhe und eine gute Haltung angesichts des rasenden Buhsturms. Der sich nach dem „Siegfried“, obwohl das der stärkste Teil war, schon deutlich stärker und ungeduldiger angekündigt hatte. Und der im Verlauf der vier Abende auch gewissermaßen gefordert worden war, aber womöglich unwissentlich. Valentin Schwarz kommt einem gar nicht wie ein absichtsvoller Provokateur vor.

In Bayreuther Premieren wurden schon ganz andere ausgebuht (auch Chéreau), das ist keine Schande. Mit einem so rumpeligen und sinnlos unfertig wirkenden „Ring“ anzutreten, ist schon eher eine. Die Möglichkeit, bei der Wiederaufnahme nachzuarbeiten, könnte theoretisch helfen, andererseits hat die Verschiebung um zwei (Corona-)Jahre die Bedenkzeit schon bis ins Abnorme verlängert.

Bayreuther Festspiele: Weitere „Ring“-Durchläufe starten am 10. und am 25. August. bayreuther-festspiele.de

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