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Laut und blechgepanzert: „Die Frau ohne Schatten“ in Nürnberg. Foto: Staatstheater Nürnberg, Pedro Malinowski
Laut und blechgepanzert: „Die Frau ohne Schatten“ in Nürnberg. Im Bild(v.l.): Martin Platz, Manuela Uhl und Lioba Braun. Foto: Staatstheater Nürnberg, Pedro Malinowski
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Laut und blechgepanzert: „Die Frau ohne Schatten“ in Nürnberg

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Kurz vor der Festwoche zum Jubiläum 100 Jahre Staatsphilharmonie Nürnberg vom 9. bis 15. Oktober kam unter der scheidenden Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz und in der Regie von Staatsintendant Jens-Daniel Herzog Richard Strauss' für alle Ausführenden extrem anspruchsvolles Musikdrama „Die Frau ohne Schatten“ heraus. Überragend und faszinierend schlägt sich Manuela Uhl in der Partie der Färberin, Tadeusz Szlenkier ist ein fulminanter Kaiser. Szenische Versachlichung trifft auf monochromes Fortissimo.

Ein musikalisches Glückshormon ist „Die Frau ohne Schatten“ Im Idealfall, manchmal aber eine Anstrengung. Die letzte „romantische Oper“ nennt man das 3,5-Stunden-Opus 1919 in Wien uraufgeführte Musikdrama zu Unrecht. Die von Hugo von Hofmannsthal in seiner Dichtung als anspruchsvolles Kunstmärchen getarnten und dabei äußerst modernen Konflikte zweier Paare aus einer exklusiven und einer proletarischen Sphäre geraten durch die von Richard Strauss geforderten Ansprüche zu einer vokalen und instrumentalen Zerreißprobe: Die Stimmen schreien oft so getrieben wie die von Sigmund Freud thematisierten Traumata, Komplexe und Ängste. Sogar an den allergrößten Opernhäusern sind Strauss' betörend filigrane Klangzaubereien und dessen äußerst individuelle Aneignung von Wagners „Ring-“Blechpanzern ein Leistungsnachweis im ganz gehobenen Schwierigkeitsgrad. Da bildet das Staatstheater Nürnberg keine Ausnahme und tritt in Konkurrenz zu seiner nach fast 50 Jahren noch immer legendären Produktion unter Hans Gierster in der Regie von Hans-Peter Lehmann. Damals mit der phänomenalen Astrid Varnay als Amme, welche der Kaiserin helfen und zugleich schaden will. In der Premiere am Samstag mogelte sich Lioba Braun mit müden und schrägen Tönen zu katzen- und schlangenartigen Bewegungen durch die sonst so eindrucksvolle Partie. Eine gedanklich künstlerische Mitte ist an diesem Abend generell schwerlich zu finden, aber ein es fehlt auch der für das Gelingen dieser Oper so wichtige fantasiestarke Höhenflug.

Premieren mit einer derart steilen Dynamik von beunruhigend flauem Beginn in leuchtraketenartige Lautstärke-Explosionen sind selten. Als Stars rangieren zwei Haupt- und zwei Nebenpartien: Manuela Uhl gibt die von Partnerschaftsverdruss zerfressene Färberin mit jugendfrisch eindrucksvollen Glanztönen. Die von Hofmannsthal zuerst als fiktives Pendant zu Strauss' streitbarer Ehefrau Pauline visionierte Färberin wirkt eher mitleiderregend als neurotisch an der Seite ihres vom proletarischen Alltagskampf gezeichneten Gatten Barak, dessen Gutmensch-Kantilenen Thomas Jesatko demzufolge mit eindrucksvoll gestalteter Müdigkeit durchsetzt. Jesatko agiert mit der Aura eines Alltagslemuren beeindruckend differenziert.


Tadeusz Szlenkier ist Luxus für den egozentrischen Kaiser. Er hat Glanz, Metall und Charisma, wo andere nur noch um richtige Töne ringen. Aus dem Nürnberger Ensemble ragen zudem der Bariton Samuel Hasselhorn als auch sängerisch hünenhafter Geisterbote und die den kleinen Part des Falken edel aufwertende Andromahi Raptis heraus. Alleinstellungsmerkmal des von Strauss und Hofmannsthal als „Fr.o.Sch“ bezeichneten Großprojekts sind die Wechsel zwischen irisierenden Klanginseln für die Geisterwelten mit ihren Tiersymbolen und die schon expressiv aufschreienden Orchestermassive des orientalisch kolorierten Menschensumpfes. Das ging im ersten Akt ordentlich daneben. Von den Streichern war im Parkett neben den Bläserkaskaden, die sich ins Zeug legten wie ein pubertär auffrisierter Mopedmotor, kaum etwas zu hören. Im zweiten segelte die Ende dieser Spielzeit Nürnberg verlassene und immer herzlich gefeierte Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz über viele der wunderbar gläsernen Klangspiele flockig hinweg. Da bietet die Partitur weitaus mehr Gestaltungsspielräume als man in der Premiere zu hören bekam. Im kräftig zusammengestrichenen Schlussakt wollte man dann so schnell wie möglich zum Finale. Das nahm der für die wegen Corona ausgefallenen Ilia Papandreou eingesprungene Agnieszka Hauzer in der Titelpartie einige Wirkungsmöglichkeiten. Als der Schatten der das Mitleiden lernenden Kaiserin, ein Symbol ihrer durch Empathie erworbene Gebärfähigkeit, auf eine Leinwand fällt, hat das nichts Positives. Konsequent entzaubern Sibylle Gädekes Discounter-Klamotten für die Proletarier und Tierattribute für die Höheren, auch Johannes Schütz' Bühnenelemente das Märchen. Der Jäger-Kaiser und die Kaiserin leben und lieben sich in einem Campinganhänger. Leinwände und Kameras sind das unwirkliche Wohnambiente der armen Gestrandeten. Von denen vermittelt gleich der Einstieg in die Absturzszenerie ein deutliches Bild, wenn die Brüder des Färbers (Wonyong Kang, Taras Konoshchenko, Hans Kittelmann) dessen Frau vergewaltigen wollen.

Bester Einfall in der Regie von Staatsintendant Jens-Daniel Herzog ist die häufige Präsenz der sonst aus dem Off klagenden und jubelnden ungeborenen Kinder - im Spiel auf der Bühne mit dem Kinderopernchor, im Orchestergraben mit den Chorsolisten (Einstudierung: Tamo Vaask und Philipp Roosz). Am Ende des hymnischen Schlussquartetts liegen Färberin und Färber, Kaiserin und Kaiser regungslos an der Rampe. Die Kinder laufen jubelnd nach hinten, einige mit deutlicher Ähnlichkeit zu den Hauptfiguren. Werden sich die Probleme wiederholen?

Musikalischer Rausch ist alles. Beeindruckend gerät im Nürnberger Opernhaus die räumliche Staffelung von Strauss' musikalischem Suchtpotenzial. Der Hüter der Schwelle (Sara Setar) singt aus dem Parkett, die Bläserrufe zum Tribunal des Geisterkönigs Keikobad dringen aus dem Foyer in den Zuschauerraum. Dessen überlaute Akustik ist den Forte-Orgien des spätestromantischen Repertoires generell zuträglich. Der Jubelorkan stand dem Kraftaufwand in nichts nach und schloss den Chor sowie die riesige Schar an Mini-Solopartien ein. Ein suggestiver Triumph roher Energie über die hier ebenso wichtigen Aquarelltöne.

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