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Opern-Kritik: Staatsoper Berlin – Das Rheingold

Weihe des Hauses

(Berlin, 2.10.2022) An der Staatsoper Unter den Linden beginnt der neue Nibelungen-„Ring“ mit einem vielversprechenden Vorabend. Dimitri Tchernikov inszeniert. Christian Thielemann springt für Daniel Barenboim ein.

vonRoberto Becker,

Dass es in Berlin jetzt zwei parallele „Ring“-Produktionen geben wird, ist längst kein Thema mehr. So viel musikdramatischer, orchesterlukullischer und vokalglänzender Luxus geht in der deutschen Hauptstadt schon noch! Und das ist als Selbstbehauptungs-Statement der Kultur auch gut so. Man macht hier zudem nicht die landesweit grassierende Mode mit, sich an der Aufgabe, die Wagner hinterlassen hat, nämlich einen Vierteiler irgendwie als ein Ganzes anzugehen, durch verschiedene szenische Ansätze vorbei zu mogeln. An beiden großen Berliner Häusern stellt man sich der eigentlichen Herausforderung. Stefan Herheim riskierte und Dmitri Tcherniakov riskiert gerade, den einen, erkennbaren Zugriff.

Alberich: Der Proband eines Experiments am lebenden Menschen

An der Lindenoper jetzt sogar mit einem detailliert mit der Präzision einer technischen Zeichnung aufgedröselten Bauplan. Hier ist Walhall ein Institut zur Erforschung menschlicher Verhaltensweisen. So jedenfalls führt der Vorabend in die Geschichte ein. Bei Tcherniakov (der, durch Daniel Barenboim gefördert, längst zu einem der prägenden und erfolgreichsten Regisseure des Hauses geworden ist) gibt es erwartungsgemäß weder Speer noch Augenklappe für Wotan. Auch kein plätschernd neckendes Spiel der Rheintöchter mit Alberich. Für die Zuschauer gibt es auch keinen Riesenwurm und keine Kröte, nicht mal Goldbarren oder etwas ähnliches werden produziert oder herumgeschleppt. Diese Ausstattungsutensilien existieren diesmal nur in Alberichs Vorstellung. Auch die Macht des Rings (den gibt es wirklich) gehört zu den sozusagen induzierten Einbildungen, mit denen hier auf ziemlich perfide Weise die Reaktionen von Alberich provoziert und begutachtet werden. Es ist eine szenisch verblüffend schlüssig umgesetzte Idee, Alberich zum Probanden eines Experiments am lebenden Menschen zu machen.

Szenenbild aus „Das Rheingold“ an der Staatsoper Berlin
Szenenbild aus „Das Rheingold“ an der Staatsoper Berlin

Zeitlogische Zugeständnisse im Regiekonzept

Noch zu den Klängen des Vorspiels sehen wir Institutschef Wotan und seine Mitarbeiter in einem Auditorium, wie sie Pläne des gerade fertig gewordenen und schon in Besitz genommenen Institutes begutachten, während nebenan im Stresslabor der verkabelte Alberich mit VR-Brille von drei streng protokollierenden Damen kontrolliert in Rage gebracht wird. Dass der Bau, der erst am Ende des Vorabends bezogen wird, schon in Funktion ist, gehört zu den kleinen lässlichen zeitlogischen Zugeständnissen, die bei jeder interpretierenden szenischen Überschreibung anfallen. Akzeptiert man sie, macht das Folgende auf frappierende Weise Sinn.

Da Tcherniakov wie immer – und bewährterweise – sein eigener Bühnenerfinder ist, sind die wie von Zauberhand hin und her und nach oben und unten fahrenden Räume ein ästhetischer Genuss. Außer dem Auditorium und dem Atrium (praktischerweise schon mal hier) mit einer Esche im Zentrum und genügend Platz für die ganze Belegschaft gibt es einen Konferenzraum mit Ehrfurcht gebietend marmorierten dunklen Wänden. Dort wird mit den Bauunternehmern verhandelt, die gleich ein halbes Dutzend Bodyguards dabeihaben, weil sie ihren Auftraggebern in Sachen Bezahlung nicht trauen. Vor dem Fahrstuhl in die beiden Untergeschosse des Institutes (das eine mit lebenden Versuchstieren und das zweite mit Menschen, die im Nibelungenmodus an Tischen wie Textilarbeiter in der Dritten Welt schuften) gibt es eine Raucherecke, in der sich drei Damen (es könnten die Nornen sein, obwohl sie wie die Rheintöchter privat gekleidet sind) auch vom Chef nicht bei der Pause stören lassen.

Szenenbild aus „Das Rheingold“ an der Staatsoper Berlin
Szenenbild aus „Das Rheingold“ an der Staatsoper Berlin

Es gehörte wohl zum Plan, dass Alberich hier unten den Boss markiert. So richtig funktioniert das aber nicht, denn auf das Zeichen mit seinem Ring reagieren diese „Mitarbeiter“ einfach nicht. Er muss schon etwas Radau machen, damit sie dann wenigstens im Takt seiner Schläge Freiübungen machen, um den Chef und seinen Assistenten Loge zumindest etwas zu beeindrucken. Auch die Sache mit der Verwandlung funktioniert nur in der Einbildung Alberichs, während sich Wotan vor Lachen ausschüttet und bei der vermeintlichen Verwandlung in eine Kröte zwei Angestellte herbei telefoniert, die sich dann einfach den ins unterirdische Labor Entfleuchten schnappen. In dieser Logik wird das reale Gold zur Bezahlung von Fasolt und Fafner zur Überweisung oder zum Scheck. So ungefähr jedenfalls haut das auch hin. Und als Motiv zu einem Brudermord reicht es allemal. Ob die beiden nun auch zu dieser Institutswelt gehören oder nicht, wird sich zeigen – den überlebenden Riesen braucht man ja noch, ebenso wie Erda, die nach ihrem Untergangsorakel auch einfach geht. Es bleibt also spannend, was nach der Einweihungsparty, bei der Donner und Froh ein paar Gags vorführen, noch passiert.

Szenenbild aus „Das Rheingold“ an der Staatsoper Berlin
Szenenbild aus „Das Rheingold“ an der Staatsoper Berlin

Christian Thielemann als prädestinierter Nachfolger von Daniel Barenboim?

Musikalisch war dieser „Ring“-Auftakt grandios. Christian Thielemann sprang für den erkrankten Daniel Barenboim ein, der sich das Großprojekt selbst zu seinem Achtzigsten schenken wollte. Hier war nicht nur der denkbar beste Ersatzmann am Pult, sondern auch ein wirklich prädestinierter Nachfolger für Barenboim, sollte der sich zum strukturellen Kürzer- (und formalen Ab-)treten entschließen.

Ein exzellentes Protagonisten-Ensemble

Thielemann gönnt sich und dem Publikum ein genüsslich zelebriertes „Rheingold“ und nimmt sich dafür alle Zeit der Welt. Man merkt es schnell, dass der Abend länger dauern wird, als im Programm angekündigt – am Ende geht er eine Viertelstunde später durchs Ziel. Und man konnte jeden Moment genießen. Nie zu laut (was in der Staatsoper eine Kunst ist), fein aufgefächert und opulent. Mit einem anderen, weniger exzellenten Protagonisten-Ensemble hätte das auch schief gehen und der eine oder andere Ton verenden können. Ist es aber nicht. Vor allem Michael Volle als Wotan und Johannes Martin Kränzle als Alberich stellten ihr (u.a. bayreuthgestähltes) Weltklasseformat als extrem wortverständliche Sänger und begnadete Darsteller in den Dienst dieses Wagner-Institutes!

Szenenbild aus „Das Rheingold“ an der Staatsoper Berlin
Szenenbild aus „Das Rheingold“ an der Staatsoper Berlin

Aber auch das mit einiger Spannung erwartete Loge-Debüt des Tausendsassas Rolando Villazón konnte sich nicht nur – wie nicht anders zu erwarten – sehen, sondern auch hören lassen. Ein paar Buhs am Ende wirkten da etwas deplaziert. Auch sonst eitel Freude über die Stimmen. Das fing schon mit den Rheintöchtern Evelin Novak (Woglinde), Natalia Skrycka (Wellgunde) und Anna Lapkovskaja (Flosshilde) an, betraf aber auch Mika Kares und Peter Rose als Fasolt und Fafner, Stephan Rügamer als Mime sowie Lauri Vasar (Donner) und Siyabonga Maqungo (Froh), Claudia Mahnke (Fricka), Vida Miknevičiūtė (Freia) und Anna Kissjudit (Erda). Was hier geboten wurde, war Hörgenuss zu mustergültiger Textverständlichkeit. Inklusive einer Bewährungsprobe beim Einstellen auf die getragenen Tempi von Thielemann.

Staatsoper Berlin
Wagner: Das Rheingold

Christian Thielemann (Leitung), Dmitri Tcherniakov (Regie & Bühne), Elena Zaytseva (Kostüme), Gleb Filshtinsky (Licht), Alexey Poluboyarinov (Video), Michael Volle, Lauri Vasar, Siyabonga Maqungo, Rolando Villazón, Claudia Mahnke, Vida Miknevičiūtė, Anna Kissjudit, Johannes Martin Kränzle, Stephan Rügamer, Mika Kares, Peter Rose, Evelin Novak, Natalia Skrycka, Anna Lapkovskaja, Staatskapelle Berlin

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