1. Startseite
  2. Kultur
  3. Theater

Oper „Miranda“ nach Shakespeares „Der Sturm“: Miranda klagt an

KommentareDrucken

Miranda (Adriana Bastidas-Gamboa) in Köln. Sandra Then
Miranda (Adriana Bastidas-Gamboa) in Köln. © Sandra Then

Katie Mitchell schreibt mit Musik von Henry Purcell den „Sturm“ fort.

Die Form des Pasticcio entstand in einer Zeit, als der Bedarf an neuen Opern kaum zu decken war, ein traumhaft anmutender Zustand. Hilfreich war es dabei, dass das Originalkunstwerk noch kein rechter Begriff und schon gar nicht unantastbar war. In der Musik etwas zusammenzuschustern, befremdete erst das 19. Jahrhundert, das sich fest vorgenommen hatte, zwischen Handwerk und Kunst eine scharfe Linie zu ziehen. Dabei können neue Handlungen aus alter Musik genial sein, vor allem können sie originell und original sein und so überzeugend, dass man sich „Miranda“ auch verselbstständigt vorstellen könnte, in einer anderen Inszenierung. Und das obwohl Regisseurin Katie Mitchell Triftiges bietet.

„Miranda“, eine Koproduktion der Oper Köln mit der Opéra Comique Paris und den Theatern von Caen und Bordeaux, stellt Musik fast ausschließlich von Henry Purcell neu zusammen. Mitchell, der Musiker Raphaël Pichon und die Texterin Cordelia Lynn haben sich das zusammen ausgedacht, Lynn griff zum Teil in die Originaltexte aus diversen, auch entlegenen Purcell-Musiken ein. Erzählt wird die Fortsetzung von William Shakespeares „Der Sturm“, zu dem es eine (hier ebenfalls eingeflochtene) Bühnenmusik des englischen Komponisten gibt. Chloe Lamfords Bühnenbild wurde nun also in das Kölner Staatenhaus Saal 2 eingebaut: ein moderner Kirchenraum mit Sichtbetonwänden, der so hypernaturalistisch wirkt, dass man ihn riechen und die Temperatur sich vorstellen kann. Die Frauen, die weiße Blumen bringen, legen ihre Jacken jedenfalls auf die schlichten Gemeindesaalstühle.

Eine Trauerfeier ist in Vorbereitung, Prosperos Tochter Miranda ist tot. Sie hat nach der Rückkehr von der Insel Ferdinand geheiratet und mit ihm einen Sohn bekommen, der den (dynastisch pikanten) Namen (von Prosperos bösem Bruder) Anthony trägt. Allzu früh geschlossen worden, diese Ehe mit einer dazu noch geschändeten Frau, zischt die Sängerin Adriana Bastidas-Gamboa in den Raum, eingangs und nachher noch einmal, als die junge Frau, die offenbar am Leben ist – so etwas passiert in der Oper ständig, und „Miranda“ ist eine durchaus echte Oper –, die Trauerfeier gesprengt hat. Sie ist mit Helfern und Helferinnen angerückt, klagt ihren Vater und auch Ferdinand an und wird schließlich mit dem reuigen Mann und dem Sohn ihrer Wege gehen. Mitchell, deren knallhart feministischer Blick zum Beispiel der Staatsoper in München 2020 einen „Judith“-Thriller zu Bartóks „Blaubarts Burg“ bescherte, liefert auch diesmal eine ungewohnte Lesart ab: „Der Sturm“ zeigt Miranda sonst als sympathische, aber doch bedrängte Randfigur und einzige Frau zwischen Männern und Monstern.

Gespielt wird das in Köln natürlich und gegenwärtig und doch mit der Möglichkeit zu Resten von Geheimnissen. Der ernste Bass Alastair Miles etwa ist ein bei allem Gehabe doch defensiver und letztlich nicht einzuordnender Prospero. Seine neue, hochschwangere Frau, Emily Hindrichs mit sehr lichtem Sopran, und Ferdinand, Ed Lyon mit schönem, mühelosen Tenor, können nicht auf der Höhe der Umstände sein. Menschen, die auch Folien der Fantasie anderer (unserer Fantasie) bleiben. Und rückt jemand in die Mitte, rückt gleich wieder ein anderer an den Rand.

Musikalisch ein Abend der Klagen, enorm ist der Sog des Lamentierens in verschiedenen (Chor-)Formationen und Ausprägungen, inniglich wie auch formal – Purcell hat etliche Trauermusiken geschrieben, Pichon und sein Mitarrangeur Miguel Henry konnten aus der Fülle greifen. Der Mezzo der Kolumbianerin Bastidas-Gamboa beherrscht die Situation, wie Miranda sie beherrscht (jetzt endlich). George Petrou leitet das historisch eindrucksvoll informierte Gürzenich-Orchester.

Das Staatenhaus Saal 2 ist der kleinere, immer noch große Raum im Ausweichquartier der in hundert-, nein, zehnjähriger Sanierung befindlichen Kölner Oper. Jedes Mal ist es bewundernswert, wie sich alle Beteiligten darin zurechtfinden, jedes Mal ist es ein Menetekel für Häuser, die ihre Gebäudezukunft planen.

Oper Köln im Staatenhaus: 7., 13., 20., 22. Oktober. oper.koeln

Auch interessant

Kommentare