Die Sterne für die neue Spielzeit 2022/23 stehen gut: Die Oper Frankfurt wurde bereits zum sechsten Mal von der Opernwelt zum Opernhaus des Jahres gekürt und auch der Chor wurde wieder ausgezeichnet. So sieht sich das Haus unter Intendanz von Bernd Loebe in seiner Spielplanpolitik mit Raritäten, Uraufführungen und einem starken Ensemble sowohl aus erfahrenen als auch im Opernstudio und nach und nach auf der großen Bühne geförderten Sänger*innen bestätigt. Ein Blick auf die neue Saison bestätigt diesen Kurs ebenso.

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Michael Porter (Tamino, Premierenbesetzung)
© Barbara Aumüller

Die erste Premiere der neuen Spielzeit wurde Ted Huffman übertragen, der vor fünf Jahren das erste Mal in Deutschland, in der Dependance der Oper Frankfurt, dem Bockenheimer Depot, inszenierte, und nun für Mozarts Zauberflöte in die Mainmetropole zurückkehrt. Und diese Zauberflöte, wenn sie sich auch deutlich von der unzählige Male wiederaufgenommenen Vorgängerinszenierung aus den späten 90er Jahren von Alfred Kirchner unterscheidet, möchte wieder von den Stärken des Hauses profitieren: Einem starken Ensemble und der Förderung von jungen Stimmen aus dem Opernstudio, denen in dieser Produktion die nicht minder wichtigen Rollen der Pamina und Papagena übertragen wurden.

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Kelsey Lauritano (Zweite Dame), Cláudia Ribas (Dritte Dame), Monika Buczkowska (Erste Dame)
© Barbara Aumüller

Das erste, was bei Huffmans Neuinszenierung auffällt, ist die minimalistische, märchenfremde Ästhetik, bei der man sich von Symbolik und Mystik weitestgehend entfernt hat. Auf der Suche nach Liebe sind diese somnambulen und von Schlaflosigkeit geplagten Figuren, die in dem immerzu in Nacht getauchten Szenen in den sich stetig verändernden Innenräumen, umherirren und meist vergeblich ihren Wünschen hinterherjagen. Symbolarm wird nicht die erlegte Schlange gezeigt, stattdessen schlängeln sich die dunklen Gänge Taminos Unterbewusstseins und öffnen immer wieder Türen in neue labyrinthische Welten. Die Prüfungen scheint er alle träumend und im Schlaf mit sich ringend absolvieren zu müssen.

Huffman, der die Zauberflöte entmystifiziert und verpsychologisiert, erzählt stattdessen Geschichten von der Liebe; von ewiger Liebe, von flüchtiger Liebe, von unerwiderter Liebe. Die Handlung der Oper bricht er unter maximaler Kürzung der Dialoge auf und versucht seine Essenz herauszufiltern. Dies gelingt jedoch nur mäßig, denn statt der großen Gefühle gerät das Werk zu einem bruchstückhaften Potpourri vereinzelter Erzählfetzen. Dennoch vermag die Regie und Andrew Liebermans Bühnenbilder die Einsamkeit und Verzweiflung der Figuren in mitunter lynchesken Traumwelten ästhetisch eindringlich darstellen.

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Zoe Nettey-Marbell (Knabe), Danylo Matviienko (Papageno), Emma Ruhe (Knabe) und Luise Rahe (Knabe)
© Barbara Aumüller

Sich auf Tamino und Pamina und deren Liebe konzentrieren zu wollen, zeigt Huffman das Paar parallel, um viele Jahre gealtert, wie sie sich immer noch liebevoll umeinander kümmern – so funktioniert diese Idee sowohl als Rückschau, aber auch als Zukunftsvision gleichermaßen und lässt die Stimme, stellvertretend für Tamino zurecht fragen: „Ists denn auch Wirklichkeit, was ich sah?“ In Mozarts Handlung ist der Fall ja gerade umgekehrt, als die zunächst alternde, unerkennbare Papagena sich zum Schluss als junge Frau Papageno als Partnerin um den Hals wirft.

Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester brillierte unter der musikalischen Leitung von Steven Sloane mit seinem facettenreichen, lebendigen aber dennoch feingliedrigen Dirigat. Mitunter bot er jedoch zu straffe Tempi an, die zwar eine spannungsreiche und kurzweilige Interpretation lieferten, denen aber manche Sänger*innen Mühe hatten zu folgen. Besonders gelungen sind unter Sloanes Leitung die ruhigeren Passagen des Werks, insbesondere der Beginn des Vorspiels, in denen das Orchester frei und luftig, fast schon etwas verträumt spielte, nur um dann jäh an Zug aufzunehmen um pochend die Handlung voranzutreiben.

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Hyoyoung Kim (Pamina) und Andreas Bauer Kanabas (Sarastro)
© Barbara Aumüller

Kudaibergen Abildins Tamino, zwar mit lyrisch runden Tenor und behutsamer Artikulation, vermochte szenisch seiner Rolle kaum Nachdruck verleihen. Nicht zuletzt ließ er sich von Danylo Matviienko als Papageno, mit herber Baritonstimme und einnehmender Darstellung die Show stehlen. Pamina, gesungen von Hyoyoung Kim, trat als fragile Königstochter darstellerisch einnehmend und mit zartem Sopran auf. Papagena wurde dagegen von Karolina Bengtsson während ihres kurzen Auftritts charmant und spritzig interpretiert.

Mit seiner raumgreifenden, virilen Bassstimme und empathischer Stimmfärbung bei gleichzeitig deklamatorischer Exzellenz, kann man es Andreas Bauer Kanabas kaum verübeln, dass er sich mit seiner stimmlichen Leistung mühelos über die seiner Kolleg*innen stellte. Als Sarastro meisterte er seine Rolle mit großer Souveränität und Erhabenheit. Aleksandra Olczyk bestach als Königin der Nacht weniger mit artikulatorischem Feinsinn, dafür aber mit beeindruckenden Koloraturen und treffsicheren Spitzentönen.

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Michael Porter (Tamino, Premierenbesetzung), Corinna Schnabel (Frau) und Micha B. Rudolph (Mann)
© Barbara Aumüller

Huffmans Zauberflöte ist wahrlich keine Märchenoper. Stattdessen will sie existenzielle Fragen um Liebe in all seinen Stadien, von der ersten Begegnung bis hin zu den „schlechten Zeiten” bei hohem Alter und Krankheit, aufwerfen und beantworten. Während so mancher der Vorgängerinszenierung Kirchners, mit seiner märchenhaften und oft als kindgerechten Opern-Heranführung beliebten Darstellung, nachtrauert, ist es nun Zeit, dass sie abgelöst wurde. Die Kinder, die sie vor vielen Jahren gesehen haben, sind nun längst erwachsen und für eine tiefgreifendere, erwachsene und durchaus kontrastierende Deutung Mozarts Oper bereit.

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