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Erotik am Abgrund: Mozarts „Così fan tutte“ an der Bayerischen Staatsoper

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Aggression im Oleander-Feld: Avery Amereau (Dorabella, v. li.), Konstantin Krimmel (Guglielmo), Louise Alder (Fiordiligi), Sandrine Piau (Despina), Sebastian Kohlhepp (Ferrando) und oben Christian Gerhaher (Alfonso).  Foto: Wilfried hösl
Aggression im Oleander-Feld: Avery Amereau (Dorabella, v. li.), Konstantin Krimmel (Guglielmo), Louise Alder (Fiordiligi), Sandrine Piau (Despina), Sebastian Kohlhepp (Ferrando) und oben Christian Gerhaher (Alfonso). © Wilfried Hösl

Ein langer Abend, der viel Kluges durchscheinen lässt. Und doch kriegen Regisseur Benedict Andrews und Dirigent Vladimir Jurowski Mozarts „Così“ nicht ganz zu fassen. Die Premierenkritik.

Vielleicht bleibt am Ende wirklich nur der Fetisch. Wenn die Schmetterlinge im Bauch nicht mehr mit den Flügeln schlagen, wenn es nach dem Hormonüberdruck der Flitterzeit an die Beziehungsarbeit geht. Philosoph Don Alfonso und Stubenmädchen Despina behelfen sich mit routiniertem Sadomaso, seine Ledermaske zeigt das zur Ouvertüre. Und in der Garage parkt der ständig gewienerte BMW X5 – Polieren gewissermaßen als Auto-Erotik.

Der Partnertausch, mit dem Wolfgang Amadé Mozart und Textdichter Lorenzo da Ponte noch immer uns Opernvolk verstören, erscheint da nur als einer von vielen erotischen Nachbrennern. Und dass dies alles in Wahrheit eine bis zum Tode ernste Angelegenheit ist, das ist richtigerweise schon lange Regie-Praxis bei „Così fan tutte“. In Dieter Dorns legendärer Vorgängerproduktion, 1993 hatte der Longseller Premiere, giftete sich das Ensemble nur in den Finalminuten an. Jetzt, bei Benedict Andrews, kommt es an der Bayerischen Staatsoper schon nach der ersten halben Stunde zum Suizidversuch. Einen Abgasschlauch leiten die Damen in den SUV, Dorabella gibt hustend als Erste auf – die Wankelmütige wird später auch als Erste dem Mann der Busenfreundin erliegen.

Prinzessinnen und ihr Disney-Schloss

Eines von vielen spitzfindigen Details, die beweisen: Andrews, erfolgreicher Kino- und Schauspielmann mit wachsendem Hang zum Musiktheater, hat genau gelesen und hingehört. Der Australier startet den vierstündigen (!) Abend ohne Partiturkürzungen im angeranzten Zimmer und in einer Mixtur aus Nihilismus und tiefer Verzweiflung: Dass die Liebeswetter Ferrando und Guglielmo vorgeben, in den Krieg zu ziehen, kann ja nicht mehr als Soldatennettigkeit gezeigt werden. Hier geht es, das wissen Dorabella und Fiordiligi, das wissen wir „Tagesschau“-Nutzer, ums Ganze.

Wie manchmal Liebe verkrampft bis aussichtslos aufgefrischt wird, interessiert den australischen Regisseur. Aber auch, wie oft das Wort nur Fassade ist – ein aufblasbares Disney-Schloss, in dem die Frauen ihre Prinzessinnen-Träume leben wollen, kündet davon. Weniger realistisch entwickelte Geschichte ist also diese Produktion, eher eine Schlaglichtfolge, für die Magda Willi die schnell heraus- und hineinschiebbaren Bühnenbilder geliefert hat.

So sehr der Abend unter einer dunklen Wolke liegt: Zwischendurch biegt Andrews ab in landläufige „Così“-Gags. Und so dicht vor der Pause vieles gesponnen ist, so massiv verliert die Aufführung im zweiten Teil. Auch weil sie irritierend charmebefreit ist. Keiner will den alten „Così“-Klamauk zurück. Aber dass Mozart/da Ponte auch tiefes, tränentreibendes Herzweh verhandeln, dass der Text zwar derbe Pointen liefert, aber zudem viel Hintergründiges, Spitzfindiges, entgeht Andrews. Im Ergebnis ist die Aufführung eine (wenn auch klug zusammengesuchte) Stoffsammlung. Und die findet im Graben ihre klangliche Entsprechung. Eine etwas unheilige Allianz.

Ist Vladimir Jurowski ein Mozart-Mann?

Kein Zweifel: Auch Vladimir Jurowski kennt die Partitur genau. Und statt mit Trubel-Turbo über vieles hinwegzudirigieren, lässt er sich Zeit. So vieles gibt es doch zu entdecken, ruft seine Interpretation, so viele Feinheiten, Klangmixturen und Atmosphären. Und doch ist das nicht die Deutung eines Theaterpraktikers mit Sinn für den Augenblick und für dramatische Entwicklungen, sondern die eines Intellektuellen. Jurowski doziert über Details. Und ein Alarmzeichen ist, dass viele Ensembles und manche Arie ins Straucheln geraten. Nach Repertoire-Alltag klingt das dann, nicht nach Premiere. Einmal, im ersten Finale, rennen alle Jurowski davon. Als ob das Gesangspersonal spürt, dass eigentlich organischere Tempi gefragt wären. Und ein Alarm ist auch, wie energisch, mit hartem Schlag Jurowski auf seiner Linie beharrt: Ob der Generalmusikdirektor wirklich ein Mozart-Mann ist?

Ganz folgerichtig ist in dieser Düsternis Zyniker Alfonso die Hauptperson. Christian Gerhaher gestaltet ihn wie mit gebleckten Zähnen. Ein Angstbeißer. Und ein alternder, zunehmend frustrierter Spielmacher. Man hängt Gerhaher an den Lippen, in einer Mini-Phrase kann er das Dilemma dieser Figur, überhaupt des ganzen Geschehens zu Klang werden lassen. An ihn heran reicht nur Louise Alder. Sie ist als Fiordiligi die Idealbesetzung, weil sie zeigt: Für die Partie sind nicht vokale Größe und Gewicht entscheidend, sondern Farben, Reichhaltigkeit, Agilität und emotionale Tiefe. Muster- und zauberhaft fließt das alles in der „Felsen-Arie“ zusammen.

Avery Amereau ist eine apart timbrierte, ebenso aufgekratzte Dorabella. Sebastian Kohlhepp ließ sich nach überstandener Covid-Infektion als indisponiert ansagen. Dass sein Ferrando kein lyrischer Säusler ist, kommt der Partie zugute, gibt ihr mehr Facetten. Sandrine Piau ist als (auch vokale) Florettkomikerin unterwegs.

Und dass Gerhaher und Konstantin Krimmel bei derselben Agentur unter Vertrag sind, beschert die Extra-Pointe. Eine Art Thronfolger steht da als Guglielmo auf der Bühne. Krimmels Bariton hat genügend Weichmacher-Anteile fürs erotische Zärteln, aber auch Reserven fürs (nie überreizte) Auftrumpfen. Alles ist aus dem Wort entwickelt und nie nur ausgestellter Klang. Dass ihm die Rolle des schmierigen Machos gefällt, sieht man. Und dass es ein Riesenpotenzial für große Partien gibt, hört man ebenfalls.

In der letzten halben Stunde biegt der Abend ab in eine surreale Offenheit. Kaum Deko mehr und auch keine Liebe. Nichts kann hier gekittet werden. Abgründe gähnen und auch – es ist kurz vor 23 Uhr – einige Zuschauer. Trotzdem viel Jubel, auch Buhs für Jurowski. Viel ist drin in dieser Aufführung, zweifellos. Fehlt nur noch jemand, der alles in eine schlüssige, stabile Architektur bringt.

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