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AJ Glueckert (Walther von Stolzing; links in weißem Anzug) sowie die Meister (auf den Stühlen) und die Lehrbuben (darunter). Foto: Monika Rittershaus.
AJ Glueckert (Walther von Stolzing; links in weißem Anzug) sowie die Meister (auf den Stühlen) und die Lehrbuben (darunter). Foto: Monika Rittershaus.
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Verkomplexizierte MeistersängerINNEN – Die Oper Frankfurt begeistert mit hauseigenem Ensemble

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Was ist das Werk nicht alles? Wagners Satyrspiel nach dem epochalen „Tristan“; eine fabulöse Parabel über Kunst und ihre Entstehung; ein problematischer Lobpreis „teutschen“ Wesens; ein unsterbliches Plädoyer für Innovation inmitten von Tradition; ein befremdliches Frauenbild als Kunst-Preis; eine Idealisierung Nürnbergs undundund … Im eben gewählten „Opernhaus des Jahres“ kam noch die Inszenierung von Johannes Erath hinzu.

Ein schwarzer Bühnenraum voller Zahlen und Formeln – eventuell Beckmessers Versuch der Bändigung aller Welt; kreisende abstrakte Halbrunde mit halbgenutzten Leitern auf halbhohe, nicht betretene Brüstungen; von schwarzgesichtigen Geistern in Frack und Zylinder herein- und herausgeschobene Wohnräumwände für Sachs und Beckmesser; befremdlich bunte Herrenanzüge, darüber mal Frackteile und Zylinder; Eva von Anbeginn im weißen Brautkleid; Walther im weißen Sommeranzug wie vom Golfplatz der Cote d’Azur; die Lehrbuben im Schülerdress mit Käppi; Beckmessers Ständchen mit herabfahrenden „Blauer-Engel“-Frauenbeinen, nachdem zuvor Dürers „Betende Hände“ mal zu sehen waren; eine Halbvergewaltigung von Eva durch die Meisterriege am Ende der Prügelszene, nach der eine Kind-Eva als Opfer zurückbleibt; diese Kind-Eva taucht auch in Sachs‘ Erinnerung auf; nach der Prügel-Szene sitzen alle Meister samt Beckmesser in modernen Rollstühlen; die Festwiese als bühnenfüllender Aufmarsch von allen Popgrößen des 20. Jahrhunderts in ihrem jeweils schrillsten Outfit – bis hin zu Pavarotti, während Sachs vorne auf einer Matratze liegt; die immer wieder diskutierten Problemzeilen vom Zerfall von „Volk und Reich“ durch „falsche welsche Majestät“: Vorhang zu, Sachs singt dies davor, herausgenommen in einem Spot, zum Meisterpreis und Jubel um Sachs dann wieder Vorhang auf. Dem Bühnenteam um Regisseur Erath – Kaspar Glarner (Bühne), Herbert Murauer (Kostüme), Bibi Abel (Video), Joachim Klein (Licht) – ist nur eine weitgehende Verkomplizierung und ein problematischer Komplex-Anriss von Sachs mit Kind-Eva „gelungen“… verquaster Aufwand, ein Regie-Ego-Trip.

Aber: eine Besetzungsliste zum Staunen. Bis auf einen Meister alles Rollendebütanten; ein anderer Meister, dann vor allem Magdalena Hinterdobler als Gäste, Bariton Michael Nagy als Rückkehrer an sein ehemaliges Stammhaus – und ansonsten eine komplette Hausbesetzung aus dem Ensemble. Das könnte „gutes Hausniveau“ ergeben – oder wie jetzt: staunenswerte Qualitäten. Das gilt für alle Klein- und Mittelsolisten, von den Lehrbuben aus dem Frankfurter Opernstudio bis zum Hausveteran Hans Mayer, der von 1977 bis 2016 festengagiert war und jetzt im Clownskostüm einen volltönenden Nachtwächter sang. Doch beeindruckender strahlte der schlanke Tenor von Michael Porters David, so dass man der gezielt „reifen“ Claudia Mahnke glaubte, dass sie als quasi „spätes Mädchen Magdalene“ sehr gerne diesen Burschen mit Zukunft ehelichen wird. AJ Glueckert ist über seine Frankfurter Jahre so gereift, dass er einen seine künftige Rolle suchenden „Junker Walther“ als rotzigen Sonny Boy mit Händen in den Hosentaschen sang: mit einem mühelosen „Preislied“ am Ende, das keinen Vergleich zu scheuen braucht. Die als Geheimtipp gehandelte Magdalena Hinterdobler war eine schon frauliche Eva, doch voller Sopran-Sonnenschein über allen übrigen Stimmen. Aus denen schien der Beckmesser von Michael Nagy rollengerecht herausragen zu wollen, geiferte gekonnt und tönte mehrfach auftrumpfend. Einen kapitalen Sachs im Ensemble zu haben, belegte abermals die vokal und menschlich überlegt kluge Hauspolitik Frankfurts: zwar durfte der voll-lockig rotblonde Nicholas Brownlee unlogisch jung von „König Marke“ und seiner eigenen Altersweisheit singen, musste ein paarmal Wagners Text „neu dichten“, hielt aber bis in seine lange Schlussansprache beeindruckend vollmundig durch und war mit seiner hochgewachsenen Bühnenerscheinung ein überzeugender Mittelpunkt, obwohl da Bass Thomas Faulkner als Kothner nicht nur mit seiner „Tabulatur“ prunkte, sondern mit Andreas Bauer Kanabas als Pogner eine der schönsten Bass-Stimmen der derzeitigen Szene beeindruckte. Dazu tönte der von Tilman Michael einstudierte Chor und Extra-Chor aus dem schwarzen Halbrund festspiel-gemäß.

Das setzte sich im Graben fort: Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester zeigte unter GMD Sebastian Weigle den Reichtum der Wagner-Partitur. Ein wenig Buh für das Bühnenteam, ansonsten Jubel für die Solisten – und hoffentlich ein Signal in den problematischen Frankfurter Kulturausschuss: überragende Ensemblepolitik führt zu solchen Höhepunkten.

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