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„Die Meistersinger von Nürnberg“ in Frankfurt: Traum, Traum, überall Traum

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Die Meistersinger im St ress der Moderne, Hans Sachs (Nicholas Brownlee im gelben Karo hinten zwischen den Lehrlingen) sagt an.
Die Meistersinger im St ress der Moderne, Hans Sachs (Nicholas Brownlee im gelben Karo hinten zwischen den Lehrlingen) sagt an. Foto: Monika Rittershaus © Monika Rittershaus

Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ sind an der Oper Frankfurt musikalisch eine helle Freude, szenisch bleibt ein gemischter Eindruck.

Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ sind vermutlich die komplizierteste einigermaßen komische Oper des deutschsprachigen Repertoires. Die Kompliziertheiten haben ihren Mittelpunkt außerhalb der Oper selbst in der gruseligen Liebe zwischen weiten Teilen des damals lebenden Hauses Wagner und Hitler, und auch die ebenfalls ostentative Liebe zwischen der Titelstadt und Hitler lässt sich nicht so leicht ausblenden.

Die große Schlussstrich- und Abdrängungsdevise beim Neustart der Bayreuther Festspiele nach dem Zweiten Weltkrieg, „Hier gilt’s der Kunst“, ist ein Zitat der unschuldigen Meistersängertochter Eva, das so frech missbraucht wird, wie es dieser Oper vielfach geschah. Die es allerdings ihrerseits mit der Apotheose der deutschen Kunst am Ende auch wissen will und zuvor in der Figur Beckmesser eine antisemitische Lesart zumindest ermöglicht. Projektionen fliegen dabei hin und her, und das dauert zudem vier Stunden, 20 Minuten, ohne Pausen gerechnet. Dabei sind die Verwicklungen der Handlung übersichtlich und maßvoll gewitzt – mehrere Männer interessieren sich für eine Frau, die als Hauptgewinn bei einem Gesangswettbewerb in Aussicht gestellt wird, der Tenor bekommt sie im zweiten Anlauf –, so dass für alles sehr viel Zeit ist.

Vor fast 30 Jahren hatten die „Meistersinger“ an der Oper Frankfurt zum letzten Mal eine Premiere, 1993 (und überarbeitet noch einmal 2002) kam die Inszenierung von Christof Nel heraus, eine finstere Lesart, die Beckmesser explizit als Juden zusammenschlagen und den Mob obsiegen ließ. Aggressive und vergiftete Stimmung damals auch jenseits der Bühne, wo Intendant Martin Steinhoff erstmals mit dem neuen Co-Intendanten und GMD Sylvain Cambreling aneinandergeriet, der begreiflicherweise gerne selbst dirigiert hätte, aber Steinhoff hatte das schon flugs anders geregelt.

Alles steht und fällt mit der Musik, nein, nicht alles, wie sich jetzt erneut zeigt, aber vieles. An einem gut geführten Haus übernimmt selbstverständlich der Generalmusikdirektor die Leitung, wenn er das wünscht, und Sebastian Weigle hat einen liebevoll bestimmten Zugriff auf das Werk, dessen musikalische Schönheit er mit leichter Hand (na ja, wie mit leichter Hand) herausarbeitet.

Jedenfalls ist das Ergebnis federnd strahlend im Detail. Feines Gewirk statt Klangmasse, das glänzend aufgelegte Orchester bietet das komplette Gegenteil einer Ohrenbetäubung. Nur selten kommt es zum allgemeinen Aufbauschen. Am ehesten darf der Chor (unter der Leitung von Tilman Michael), etwa beim „Wach auf“, die Haare des Publikums für einen Moment nach hinten fliegen lassen. Es geht in Frankfurt nicht um Kleinformat, es geht um Transparenz. Das Pathetische, weitgehend selbst das ironisch Gravitätische hat sich verabschiedet, nicht weil die Musik banalisiert, sondern weil sie sublimiert wird. Ein junges Ensemble lässt ausgezeichnete Stimmen hören und Spaß an Spiel, Arbeit und sogar Sport sehen.

Fast ausschließlich Rollendebüts, die meisten kommen zudem aus dem Ensemble, beides trifft gleich zu auf den Hans Sachs von Nicholas Brownlee, der nicht nur ein Sympathikus ist, sondern auch mit seinem licht timbrierten, gut fundierten Bassbariton Stunde um Stunde entspannt und aufmerksam absolviert (der richtige Moment für eine Rolle: Intendant Bernd Loebe spricht viel und gerne darüber, und heute Abend versteht man wieder, warum). Er ist das Gesicht der Aufführung: zivil, neugierig, eine Spur distanziert vom Meistersinger-Gedöns. Der Bariton Michael Nagy, erstmals als Beckmesser, ist sein Pendant, stimmlich ebenfalls hochkultiviert und an keiner Stelle ins Karikatureske verzerrt, als Bühnenfigur Sachsens zweieiiger Zwilling von Anbeginn an.

Denn der szenische Eindruck des Abends ist weit ambivalenter als der musikalische, aber die Inszenierung von Johannes Erath nimmt einen starken Anlauf. Zur knackig frisch servierten Ouvertüre lernen wir Sachs und Beckmesser in ihren Kämmerlein kennen, beide haben weiße Schachteln (so viele weiße Schachteln wie an diesem Abend werden Sie am Ende selten auf der Bühne gesehen haben), aus denen sie Frackjacken nehmen (mehrfach gibt es Operettenmomente für Ohr und Auge): Der Witwer Sachs erinnert sich an glückliche Tage, Beckmesser ist auf Freiersfüßen. Zwei einsame Männer, einer melancholisch, der andere gestresst, aber von innen heraus, substanziell. Er übt auf seiner Ukulele, er nimmt sich und alles, was ihn sonst interessiert, mit seinem Kassettenrekorder auf, er setzt darauf, dass Übung den Meister macht. Es wird nicht reichen. Das macht ihn weit mehr zu einem von uns, als es das Naturgenie Walther von Stolzing ist – in Frankfurt AJ Glueckert als weiterer Rollendebütant und mit einer eleganten, kraftvollen, aber nicht stählernen Tenorstimme und zwischen den mutigen Mustern der Meistersinger (Kostüme: Herbert Murauer) im schneeweißen Anzug ein unbeschriebenes Blatt.

Er ist kein Berserker, aber auch keine Statue. Die Meistersinger, die sich zunächst auf Hochsitzen vorstellen, rollt er ein bisschen umher. Hier hat das noch Charme, nachher wird der Umgang mit dem Thema Aufmüpfigkeit und Gewalt etwas halbherzig behandelt werden. Optisch verschenkt etwa die musikalisch gloriose Keilerei im 2. Akt, die ohne Beckmesser auskommt und merkwürdigerweise eine Art Brautschuh-Diebstahl nachzustellen scheint, aber auch auf einen (folgenlosen) Gewaltakt gegen die Braut selbst hinauszulaufen könnte. Womöglich ist das Evas Alptraum, der Magdalena Hinterdobler (noch ein Rollendebüt) mit schlankem Sopran an sich eine natürliche Gestalt gibt. Mit Sachs albert sie so unverfänglich, als wollte die Regie Problematisierungen partout überspringen.

Dass es eine etwas disparate Bebilderung ist, würde man gerne mitvollziehen, ist doch die Grundidee, der Handlung die Flügel von Träumen zu verleihen, ansprechend. Die Bühne von Kaspar Glarner ist entsprechend vage und beweglich, wie Inseln im dunklen Meer des Bühnenraums fahren Kulissenteile umher, Beckmessers und Sachsens Zimmer, dahinter eine bedrohliche Fassade, die vom Deutschen Pavillon in Venedig inspiriert ist (die Stadt, in der Wagner starb), 1938 zum Manifest von NS-Architektur umgestaltet. Das Wort „Germania“ wurde hier in den Stein gemeißelt und wird uns in Frankfurt am Ende als Leuchtschrift begegnen. Das ist eine umständliche Überlegung, aber sie geht auf. Auch die Szenen immer neu und frisch anzusetzen, ist nicht verkehrt, aber auf Dauer verhuscht. Zumal sich die Träume wohl durchkreuzen, überlagern. Eine Blauer-Engel-Kabarett-Atmosphäre schleicht sich dazwischen und gehört vielleicht zu David, Michael Porter (noch ein Rollendebüt), in Bild, Ton und auch als Turner ein idealtypischer David. Ist er es, der seine Magdalene, die gewohnt groß und klug singende Claudia Mahnke, als Lola Lola imaginiert?

Von Szene zu Szene zeigt sich aber mehr Dekor, mehr Einfall. Manchmal auch weniger Einfall, so in der mauen, mit Bibi Abels Videos garnierten Festwiesenszene (musikalisch aber auf Draht). So wunderbar die saturierten Meistersinger auf ihren Hochsitzen – an Stolzing meckern sie wie du und ich, das Theaterpublikum halt –, so harmlos die Idee, sie zu Beginn des 3. Aktes, nach der Schlägerei, vorläufig in Rollstühle zu setzen. So wohlwollend man den Nachtwächter im Kabarettambiente dieser Johannisnacht als Clown sieht – Franz Mayer, schon 1993 dabei –, so unverbindlich ist der Auftritt des Chores zum Schlussbild in aufwendiger Pop- und Klassikstarverkleidung. Der „Germania“-Schriftzug taucht nun auf, die ersten drei Buchstaben erlöschen und lassen ein peppiges, poppiges „Mania“ stehen. Sicher träumen wir alle, aber wenn wir bloß das träumen, dann ist es für die große Bühne gar nicht so interessant. Sieht nur doll aus.

Schön wieder, aber etwas freihändig, dass Sachsens Problemschlussworte buchstäblich aus dem Hut gezaubert werden und er sie fast amüsiert vor dem geschlossenen Vorhang „vorliest“. Schön auch, dass dem Dürer-Häschen nichts passiert, das dreidimensional rechts auf der Bühne kauert, die Schlinge um den Hals. Genau dazu aber – was wird aus den Alten Meistern? – verhält sich die Inszenierung letztlich nicht. Sind aber nette Leute, bis hin zu Evas Vater Pogner, dem sonoren Andreas Bauer Kanabas, oder dem hochmotivierten Fritz Kothner von Thomas Faulkner. Keine Stimme schwächelt: Es ist enorm.

Faszinierend, wie Weigles Erfahrung und Sorgfalt nicht verhindern können, dass zwischen Bühne und Graben nicht immer alles akkurat verläuft. Aus dem Bühnenbild drang zwischenzeitlich ein zweifellos nicht eingeplantes Knattern. Bewegtes Augenblicksgeschehen, auch dafür zieht man die Kopfhörer aus und geht schleunigst in die Oper.

Oper Frankfurt: 11., 20., 27. November, 3., 9., 17. Dezember. www.oper-frankfurt.de

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