Bejubelte Uraufführung von Franz Wittenbrinks Kinderoper „Pippi Langstrumpf“ an der Komischen Oper.

Unter dem Jubel zahlreicher Kinder und Eltern findet an der Komischen Oper Berlin die Uraufführung der Kinderoper „Pippi Langstrumpf“ von Franz Wittenbrink statt – ein Auftragswerk des Opernhauses für die alljährlich im Herbst stattfindende Kinderpremiere. Eine Frage muss sich die Komische Oper als allererstes gestellt haben: In was für einer Gestalt, ja in was für einer Klanggestalt kann das freche, mit Superkräften ausgestattete Mädchen mit den roten Zöpfen überhaupt glaubhaft auf eine Opernbühne gelangen? Kann es vom Mitglied eines Kinderchors mit sauber ausgebildeter Jugendstimme dargestellt werden? Oder von einer jungen Koloratursopranistin mit „Königin der Nacht“-Erfahrung?

Die Komische Oper schlägt einen anderen Weg ein – eventuell den einzig überzeugend gangbaren. Mit Devi-Ananda Dahn wird Pippi Langstrumpf von einer exzellenten jungen Musical-Darstellerin verkörpert. Regisseurin Dagmar Manzel, die Grande Dame des Berliner Operetten-Varietés, schmeißt Dahn mutig in alle Lebenslagen, welche auch die Pippi aus Astrid Lindgrens Büchern so durchläuft: Pippi liefert sich Stunts mit den Polizisten und den Dieben.

Sie tanzt feurig mit dem grandios agierenden Kinderchor sowie mit ihrem Pferd „Kleiner Onkel“, das vom ebenfalls Musical-erprobten Darsteller Christoph Jonas komisch-hintergründig gespielt wird. Was definitiv zu kurz kommt, sind Gefühle, Träume, Verletzlichkeit – Pippis nächtliche Gedanken an ihren Vater, den Südseekönig (stimmgewaltig: Carsten Sabrowski), werden szenisch und musikalisch eher halbherzig ausbuchstabiert.

Affe Herr Nilsson ist als große Handpuppe tanzend dabei

Doch ambivalente Gefühle verlangt man vielleicht auch nur von der Oper als solcher, von Pippi Langstrumpf weniger. Alles für Astrid Lindgrens Figur wirklich Wichtige wird seinerseits bestens für das Musiktheater aufbereitet. Der Affe Herr Nilsson ist als große Handpuppe tanzend dabei, Puppenspieler Dirk Baum führt ihn mit viel Humor. Das Team will auch nicht darauf verzichten, Pippi den Obermobber der Schule hoch in die Luft schmeißen zu lassen – und natürlich klettert sie in den geheimnisvollen hohlen Baum.

Pippi weist den Obermobber der Schule auf ihre Art zurecht.
Pippi weist den Obermobber der Schule auf ihre Art zurecht. © Barbara Braun

In der Kunstform Oper werden Situationen und Dramen eigentlich durch rein körperlich verstärkte Unplugged-Stimmen charakterisiert – in solcher Gestalt kommt die alte Oper aber hier nur als liebevoll gehegtes Versatzstück vor: Ein Terzett der strengen Kaffeetanten dürfen die Komische-Oper-Urgesteine Christiane Oertel und Caren van Oijen gemeinsam mit dem Tenor Theo Rüster darbieten, und sie tun es entspannt, mit Spaß und großem Können.

Echte Gesangskunst kommt aber auch dann glücklich wieder ins Spiel, wenn Kinder singen: Jan Polonek als Tommy und Evelyn Steinbrecher als Annika sind ab ihrem Anfangsduett „Langweilig“ die unbestrittenen musikalischen Helden dieser Produktion – als Frontleute des spiel- und gesangsfreudigen Kinderchors der Komischen Oper unter Leitung von Dagmar Fiebach.

Musik und Gesang wird so, und das dürfte heute das größte Anliegen einer Kinderoper sein, als etwas Selbstgemachtes und für Jeden zu Machendes erfahren. Das Genre der Oper wird im Musical-Szenario dennoch weitgehend verlassen – zumindest sind die Schwerpunkte deutlich verschoben. Das scheint für die Macher okay zu sein – und in einer Kulturwelt, die sich mitsamt der Welt rasant in die Zukunft hinein dreht, ist es das auch.

Wenn man aber hier in Richtung Musical geht, dann tut man es wenigstens richtig. Das Orchester versteckt sich nicht wie in einigen früheren Kinderproduktionen, um untergründig wagnerisch ohne Pause und Akzente vor sich hinzuwabern. Ja, Oper kann schnell ermüden, da reicht schon ein bisschen falsch verstandener Kunstanspruch, der auf der vermeintlichen Identität des Genres zu sehr beharrt.

Der Klangkörper ist ein Fest für Solotrompete und Saxophon

Ganz anders ist es bei Dagmar Manzel und ihrem Team mit Bühnenbildner Korbinian Schmidt und Kostümbildnerin Victoria Behr: Der Orchestergraben ist weit hochgefahren, der Klangkörper unter Leitung von Matthew Toogood selbst ist zur Bigband getunt, es ist ein Fest für Solotrompete und Saxophon: Feingliedrig dürfen sie ihre Kunst in allen turbulenten Situationen unter Beweis stellen und das Geschehen kommentieren – Komponist Franz Wittenbrink gibt ihnen und allen anderen dafür echtes melodisches Futter und nicht bloß Klang- und Geräuschfetzen. Das sorgt dafür, dass auch die Zuhörerinnen und Zuhörer die Musik als aktiven Partner der Bühne wahrnehmen können, selbst wenn sie diese musikalische „Pippi Langstrumpf“ konsumieren sollten wie einen Kinofilm.

Dass wir uns hier weiterhin im Musiktheater befinden und nicht im Blockbusterkino, wird durch einfache und wirkungsvolle Signale angezeigt. Eine prominente Rolle spielt durchgehend Daniel Mandolini, der alles Können seines Geräuschemacher-Einmann-Unternehmens „Mando Beatbox“ von Beginn an auf die große Opernbühne bringen darf. Als grün kostümierte Wasserblume fügt er sich nicht gerade nahtlos in die Handlung von „Pippi Langstrumpf“ ein – aber da diese Handlung schon bei Astrid Linggren eher eine lockere Abfolge von Episoden ist und weil dies im Opernlibretto von Susanne Lütje und Anne X. Weber auch eher zu einer lockeren, zirkushaften Szenenfolge umgedeutet wird, darf ein Zirkus der Geräusche auch gerne sein.

Zumal er die Kinder im Zuschauerraum mit einbezieht. Es wird das Tropfen des Regens ins Opernhaus kollektiv imitiert und vieles mehr. Bemerkenswert ist, wie schnell und unkompliziert das hochmotivierte, temporeiche Ensemble sich die Aufmerksamkeit seines jungen Publikums sichert und sie über die Dauer von rund zwei Stunden hält.

Komische Oper, Behrenstr. 55-57, Mitte. Tel. 47997400. Nächste Termine: 10., 14., 28., 29.11.; 3., 4., 5., 8., 12., 26. und 27.12.