Im drohnengesteuerten Sinkflug nimmt die diebische Elster auf der Videoleinwand in der Halle E im Wiener Museumsquartier einen silbernen Löffel ins Visier. Im dörflichen Setzkasten-Idyll auf der Bühne sorgt sie damit für einen Eklat. Gestern noch sollte das Dienstmädchen Ninetta den vom Militärdienst zurückgekehrten Giannnetto heiraten. Heute wird sie vom ebenfalls schwer verliebten Bürgermeister für den vermeintlichen Diebstahl des glitzernden Tandes aus dem schwiegerelterlichen Haus zum Tode verurteilt. Zum großen Verdruss aller hatte Ninetta nämlich nachweislich gestern ebenfalls anderes Besteck verkauft, um ihrem desertierten Vater im Geheimen bei der Flucht zu helfen. Und „natürlich“ sind auf dem Silberbesteck ihres Vaters die gleichen Initialen eingraviert, wie auf dem entwendeten Besteck. So landet die Unschuldige im Karzer. Oper eben.

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Nino Machaidze (Ninetta)
© Monika Rittershaus

Tobias Kratzer zeichnet für diese Inszenierung von Gioachino Rossinis La gazza ladra am MusikTheater an der Wien verantwortlich und ihm gelingt hier wahrlich Meisterliches. Die Verlegung der Handlung irgendwo nach Mitteleuropa in die 90er Jahre, samt Jogginghosen und einem Proleten-Benz für den schmierigen Bürgermeister geht in jeder Sekunde auf – weit genug in der Vergangenheit, um nicht zu viel über die Sinnhaftigkeit der Handlung nachzudenken, aber nah genug an der Wirklichkeit, um sich noch damit zu identifizieren zu können.

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Robert Lillinger (Hammerklavier), Nino Machaidze (Ninetta) und Paolo Bordogna (Fernando Villabella)
© Monika Rittershaus

Freilich, die Verknüpfung von bewegtem Bild und Oper sind nicht immer ganz unkritisch zu betrachten. In diesem Fall gelingt Kratzer aber den durchaus schwierig darzustellenden – aber für das Stück so wichtigen – Charakter der Elster gekonnt in das Gesamtkonzept zu integrieren. Insbesondere weil diese cineastischen Intermezzi kurz und knackig bleiben und, mit einem Augenzwinkern, auch den komischen Aspekt von Rossinis Werk unterstützen. Etwa wenn sich das diebische Federvieh auf den fahrbaren Kompensationsversuch des Podestà entleert oder, am Ende nach einem Irrflug durch die Prunksäle des Kunsthistorischen Museums drei Straßen weiter, mit der berühmten Saliera liebäugelt.

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Nino Machaidze (Ninetta)
© Monika Rittershaus

Sängerisch konnte dieser Abend mit diesem wohl durchdachten, wenngleich nicht sonderlich profunden, Konzept gleichziehen. Fabio Capitanucci brillierte mit einem warm-weichen Bass und wohlkonturiertem Schönklang. Insbesondere Nahuel Di Pierro konnte in der Rolle als Gottardo sein ganzes Können unter Beweis stellen. Sein etwas leichterer Bass und seine exzellente Bühnenpräsenz kitzelten durchweg glaubhaft die charakterliche Vielschichtigkeit des buffonesken Bürgermeisters heraus. Stolz wie ein Pfau stolzierte seine Stimme über die Bühne, scheute dabei aber weder süffisant süßliche noch schroffere Töne.

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Nahuel di Piero (Gottardo) und Timothy Connor (Giorgio)
© Monika Rittershaus

Kritischer hingegen muss da die Leistung von Giannetto (Maxim Mironov) und Pippo (Diana Haller) gesehen werden, die in den Duetten stark, aber einzeln etwas klarere Strahlkraft vermissen ließen. Auch Nino Machaidze als Ninetta kämpfte etwas mit den schnellen Wechseln der technisch durchaus anspruchsvollen Arien. Manch einem mag ihr etwas dunkleres, reiferes Timbre gestört haben. Gleichwohl porträtierte sie mit viel Empathie und sonst großer Präzession nicht irgendein jugendliches Dummchen sondern eine gestandene Frau, die eigentlich ganz genau weiß was sie will. Eine Frau, die sich gegen die im Stück allgegenwärtige toxische dörfliche Männlichkeit behaupten will und muss.

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Nino Machaidze (Ninetta)
© Monika Rittershaus

Spannend wird es freilich in den vielen Duetten (und Terzetten) der Opera semisera. Hier passt wirklich alles zusammen. Die weit offene Bühne liefert der Regie genügend Spielraum für eine vielschichtige Erzählung mit Breitenwirkungen, während sängerisch Raum für intime Szenen bleibt, die gleichwohl den nahtlosen Übergang zu den grandiosen und sehr bewegten Chorszenen sowie den italienischen Frontalattacken von der Rampe ermöglichen – ganz ohne störende Umbauten.

Antonino Fogliani stand am Pult und ließ das ORF Radio-Symphonieorchester Wien durch den Rossini-Wohlklang gekonnt und mit gutem Timing durchmarschieren.

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Nino Machaidze (Ninetta) und Maxim Mironov (Gianetto)
© Monika Rittershaus

Lobend herausgestellt muss an dieser Stelle nicht nur der wohl-einstudierte Chor (Leitung Erwin Ortner), sondern auch Robert Lillinger am Hammerklavier werden. Aus der Werkstatt (wo auch sonst!), mitten auf der Bühne, klimperte das fragile Instrument direkt in den Zuschauerraum. Seine „Pippo, Pippo!“-Rufe sorgten nicht nur im Libretto für wohlplatzierte Lacher.

Kurzum: Wer rausfinden möchte, warum Rossinis Diebische Elster zu Unrecht selten gespielt wird und eine unterhaltsamen wie auch kluge Inszenierung erleben möchte, die an keiner Stelle die Geduld des Sitzfleisches strapaziert, dem sei diese Inszenierung am MusikTheater an der Wien sehr ans Herzen gelegt.

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