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Alexander Mikhailov (Prinz Juri) und Asmik Grigorian (Nastasja). Foto: Monika Rittershaus.
Alexander Mikhailov (Prinz Juri) und Asmik Grigorian (Nastasja). Foto: Monika Rittershaus.
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Korrektur am Tschaikowsky-Repertoire – „Die Zauberin“ bezaubert, beeindruckt und gehört in die Spielpläne

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Für einen Gutteil der Besucher gehören „Oper“ und Politik“ nicht zusammen, ja sogar sauber getrennt. Doch mitunter sind beide untrennbar miteinander „verwoben“ – was zu vornehm klingt: eher gezielt miteinander gestaltet, ja durch die Zeitumstände sogar untrennbar. Das gilt für Tschaikowsky und seine 1887 uraufgeführte „Zauberin“ ganz besonders.

Alles begann mit schlechter Presse und Ablehnung von Seiten des Publikums. Das Werk verschwand aus den Spielplänen. Erst 1941 versuchte eine russische Bearbeitung in Leningrad eine Wiederbelebung. Dann erstellte Julius Kapp eine Fassung, die im Januar 1941 an der Berliner Staatsoper so erfolgreich war, dass Mannheim, Düsseldorf und Freiburg sofort folgten; in Wien, Frankfurt, Hamburg, Köln, Kassel und Breslau begannen die Proben – da überfiel Hitler die Sowjetunion – Ende aller Aufführungen und Proben, russische Werke politisch unerwünscht. Oper und Politik haben nichts miteinander zu tun?

Im Zentrum des Werkes steht eine höchst attraktive, selbstbewusste Frau, die als reiche Witwe in die Provinz geht, in ihrem Lokal fröhlich-frech mit allen Außenseitern umgeht, alle betörten Männer abweist und dennoch zum Mittelpunkt wird eine nur für 1887 zu moderne Frau? Das stürzt den regionalen Machthaber ins Gefühlschaos. Das ruft die streng orthodoxe Kirche auf den Plan: Moralischer Ruin der Gesellschaft, Hexerei-Vorwürfe, Ruf nach und Einsatz von Ordnungskräften… Klingt das aus 1887 irgendwie nach 2022 herüber? Oper und Politik haben nichts miteinander…?

Erst im Herbst 2023 wird eine kritische Ausgabe des Werkes erscheinen. Doch die mit Preisen fast überhäufte Direktion und die rührige Dramaturgie der Frankfurter Oper hat sich mit Dirigent Valentin Uryupin und Regisseur Vasily Barkhatov zwei Metier-bewusste Kenner geholt. Sie haben weitere Quellen hinzugezogen und konnten vor allem die Zeitgenossenschaft des Werkes beweisen – und gleichzeitig dem doppeldeutigen Titel „Zauberin“ wie „Die Bezaubernde“ gerecht werden; sie fordern die surreale Phantasie und das tiefenpsychologische Verständnis der Opernfreunde szenisch und musikdramatisch heraus: Die nahezu alle hinreißende Nastasja betreibt eine moderne Kunst-Galerie mit Bistro im schicken Beton-Ambiente; die in der Musik kurz hereinklingende Natur ist auf heute üblichen Riesen-Gemälden präsent, auch durch eine übergroße Wolf-Skulptur; auf Tschaikowskys leidvolle Homosexualität wird angespielt, weil sich allerlei Gender-People bei Nastasja einfinden, feiern und in Wolfsmasken auch mal frech an-aus-züglich herumtanzen (Choreographie Gal Fefferman).

Durch die herausragend große Drehbühne Frankfurts konnte auch Bühnenbildner Christian Schmidt zaubern: nur einen kurzen Zwischenvorhang, später nur einen offenen Drehmoment entfernt liegt der protzig-öde Palast des fürstlichen Oligarchen, der schon beim ersten Besuch Nastasja verfällt; seine verwöhnte, neurotisch eifersüchtige Frau stiftet zunächst den einsam reichen, sich mit Body-Building tröstenden Sohn zum Mord an Nastasja an; als diese hypermodern unverstellt dem jungen Mann ihre Liebe erklärt, verliebt auch er sich lebensbestimmend in sie; daraufhin vergiftet die Mutter selbst die Nebenbuhlerin – der sich selbst machtlos erlebende Oligarch tötet Sohn und Ehefrau – die Wolfsskulptur steht surreal nun in seinem Palast, während er die Toten zum Weiterleben in der Brokat-Sitzgruppe arrangiert und sich final eine nicht funktionierende Pistole an den Kopf hält. Das überforderte 1887 wohl die zaristische Haute-Volée und ist selbst heute eine Herausforderung, auch wenn die Parallelen offenliegen.

Alle kommenden Aufführungen sind ausverkauft – denn das Bühnenteam kann durch Asmik Grigorian eine fesselnde moderne Frau mit Titel-gerechten Zügen und Tönen formen – gipfelnd in der Szene, als sie im tödlich-tobenden Gefühlschaos zwischen beiden, nur halb her- oder weggedrehten, alle Illusionen als „gebaut“ zeigenden Bühnenbild-Welten steht – ein unvergessliches Bild existentieller Verlorenheit!

Über andere exzellente Züge der Aufführung ist an dieser Stelle Zentrales bereits gesagt (vgl. nmz online vom 06.12.2022). Zwar war der Oligarchen-Fürst von Ensemblemitglied Iain MacNeil wieder Corona-negativ und gestaltete mit seinem herrlich virilen Bariton ein überzeugendes Gegengewicht zu Grigorians mal leichtfertig spielerischem, mal glühend aufblühendem Sopran. Dafür fiel Ensemble-Mezzo Claudia Mahnke als Fürstin Viren-bedingt aus; Regie-Assistentin Verena Rosna ersetzte sie mit ihrer blendenden Bühnenerscheinung spielerisch überzeugend, während die aus Moskau eingeflogene Elena Manistina mit fülligen, dann rollengerecht scharfen Tönen von der Seite her sang. Dazu der differenziert tumbe, aber dann tenor-strahlend liebende Jung-Fürst Yuri von Alexander Mikhailov vor einem rollendeckenden Haus-Ensemble – zu Recht anhaltender Jubel für eine Tschaikowsky-Wiederentdeckung, die mit ihrer durch Dirigent Uryupin und das Museumsorchester vielfältig aufleuchtenden Musikdramatik ins Repertoire gehört.

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