An der Komischen Oper werden Offenbachs Einakter „Oyayaye“ und „Fortunios Lied“ zu einer fröhlichen Weihnachtsoperette verknüpft.

Das Orchester der Komischen Oper sitzt auf der Bühne des Hauses. Das ist aber auch das Einzige, was bei dieser Berliner Erstaufführung von zwei Bühnenwerken Jacques Offenbachs das „Konzertante“, „Halb-Szenische“ ist – Kategorien, unter denen ein solcher Abend normalerweise eingeordnet wird.

Der bekannte Volksbühnen-Schauspieler Max Hopp hat dieses „Konzert“ szenisch eingerichtet – mit Hilfe eines gediegenen Bürgersessels links vor dem Orchester, mit einem kahlen, zu bekletternden Baumgerippe in der Mitte der Vorderbühne. Auf dem Stuhl wird Burghart Klaußner Platz nehmen – auch er ist ein Aushängeschild für diesen Abend, aus Film und Fernsehen auch Operetten-Unkundigen bestens bekannt, nicht selten spielt er unsympathisch autoritäre Vaterfiguren.

Aber Burghart Klaußner kann auch sympathisch. Eine wahre „Captatio benevolentiae“, die Gewinnung des Publikums durch höfliche Worte, lässt er gleich mit seinem Auftritt erschallen – die eigentlich nur zum Inhalt hat, dass er sich gleich auf den Stuhl setzen wird. Absichtlich abgestanden klingt das Ganze, eine Vorrede wie verklebende Politur auf alten, gründerzeitlichen Möbeln. Unvermittelt findet man sich in der Rolle des Pariser Publikums in der Opéra Comique der Offenbach-Zeit wieder: selbstgefällig und auf Selbstbestätigung wartend, sensationslüstern, geistig verfettet und ein bisschen dumm. Dieser Conférencier ist brillant inszeniert, er schafft es, uns in Sicherheit zu wiegen. Wiewohl wir uns doch, wir sind eben Berlinerinnen und Berliner im Jahr 2022, in dieser Rolle nicht so recht wohl fühlen.

Ein Kontrabass-Virtuose hat sein Solo vergeigt und wird gefeuert

Apropos „inszeniert“: Ja, auch das Wort von der „szenischen Einrichtung“ ist zwar die amtliche Kategorie für die Funktion von Max Hopp, aber in Wahrheit brilliert er als Regisseur in bester Komische-Oper-Tradition. Er setzt zunächst – im ersten von zwei Offenbach-Einaktern – den Tenor Ferdinand Keller in Szene, in der Rolle des Kontrabassvirtuosen Schrubb-dich-wund (im französischen Original: Racle-à-mort). Der hat sein Solo vergeigt, ist gefeuert worden, hat sich ohne Geld als Matrose eingeschifft und ist auf einer Kannibalen-Insel gestrandet. Die Männer sind gerade im Krieg, die Frauen wollen unterhalten werden – oder alternativ den Kontrabassisten fressen. Das ist Offenbachs Parabel auf den Künstler, der wahlweise vor seinem Publikum besteht oder eben mehr oder weniger kultiviert erledigt wird.

Szene aus der Produktion „Oyayaye / Fortunios Lied“ an der Komischen Oper.
Szene aus der Produktion „Oyayaye / Fortunios Lied“ an der Komischen Oper. © Barbara Braun

Folglich bezeichnet der Titel, den Offenbach dieser Mini-Operette gab, trefflich zeitlos die Existenz von Kulturschaffenden: „Oyayaye“ ist eine onomatopoetische Mischung aus dem Ausruf der Bewunderung – „o là là“ – und dem des Schmerzes – „aïe aïe aïe“.

Das aber ist nur der Rahmen für diese Offenbachiade, in welcher der Komponist sein Publikum das Absurde lehrt – und der Musik dabei eine entscheidende Funktion zuweist. Da ist die Kannibalen-Chefin. Ja, die Anlage der Rolle ist nach heutigen Begriffen keine besonders wertschätzende Form kultureller Aneignung und so weiter – allerdings tragen die sieben Kannibalen-Frauen keine Baströckchen, sondern Gewänder aus geschreddertem Zeitungspapier.

Uns wird beim Anblick der bärbeißigen Chefin wird unsere reflexhaft woke Empörung vorausschauend durch den Kakao gezogen. Sie singt tatsächlich mit einem lupenreinen und wohlklingenden Sopran, stellt sich aber im weiteren Verlauf des Stückes als der recht wandlungsfähige Bariton Hagen Matzeit heraus – Chapeau für diese einmalige stimmliche Leistung. So wird unter klangschöner, flexibler und präziser Begleitung des Orchesters unter Dirigent Adrien Perruchon dieser erste Teil zwar zu einem echten Schenkelklopfer.

Die Kannibalin will vom Musiker eine Waschanleitung vertont haben

Aber Max Hopp und sein Team arbeiten in dieser knappen Dreiviertelstunde auch plastisch heraus, worauf es Offenbach immer ankam: das Publikum via Musik und Text zu amüsieren und ihm doch charmant das nicht immer schmeichelhafte Spiegelbild vorzuhalten, indem man auf die Absurdität der bürgerlichen Moderne hinweist: Schließlich will die Kannibalin gerne vom Kontrabassisten eine Waschanleitung vertont wissen. Eine solche Idee hätte noch dem rund siebzig Jahre späteren Dadaismus gut zu Gesicht gestanden.

Burghart Klaußner wird in der zweiten Operette „Fortunios Lied“ selbst in die Rolle des alten, eifersüchtigen Notars Fortunio schlüpfen. Dramaturgisch etwas komplexer, schöngeistiger, hintersinniger geht es hier zu: Stimmlich höchst überzeugend verkörpert Sopranistin Alma Sadé Fortunios junge Frau Marie, Mezzosopran Susan Zarrabi Fortunios Sekretär Valentin, der in Marie verliebt ist.

Es ist für das unbedarfte Berliner Offenbach-Publikum nicht ganz leicht zu dechiffrieren: Valentin wird im Finale das Lied Fortunios singen. Offenbach schrieb diese üppige Melodie bereits lange zuvor für Alfred de Mussets Schauspiel Le Chandelier. In „Fortunios Lied“ wird diese Melodie dargestellt als ein musikalisches Gebilde, mit welchem Fortunio selbst in jungen Jahren die Frauen bezirzte. Die Magie der Melodie aber ist offenbar an den Urheber gebunden, bei Valentin wirkt das Lied nicht – Marie will seine Flirterei nicht verstehen.

Auch wenn der Saal aufgrund des WM-Finales nicht komplett ausverkauft ist: Das großartige Team weiterer Gesangssolistinnen rundet diesen Abend zu einer gelungenen Entdeckungsreise in die Welt des unbekannten Offenbach ab.

Komische Oper, Behrenstr. 55-57, Mitte. Tel. 47997400, Termin: 30. Dezember