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Politik mit Sex, Stolz und Schmerz: Donizettis „Maria Stuarda“ in Genf.  Foto: Monika Rittershaus.
Politik mit Sex, Stolz und Schmerz: Donizettis „Maria Stuarda“ in Genf.  Foto: Monika Rittershaus.
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Politik mit Sex, Stolz und Schmerz: Donizettis „Maria Stuarda“ in Genf

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Teil zwei von Gaetano Donizettis Tudor-Trilogie mit den unabhängig voneinander entstandenen Opern „Anna Bolena“ (Mailand 1830), „Maria Stuarda“ (Neapel 1834/Mailand 1835) und „Roberto Devereux“ (Neapel 1837) am Grand Théâtre de Genève. Stéphanie d'Oustrac brilliert als „Maria Stuarda“ mit kalkulierter Exaltation. Elsa Dreisig verkörpert in allen drei Produktionen Königin Elizabeth I. von England. Mariame Clément inszeniert mit einem dezidiert fraulichen Blick und sucht nach Stringenz zwischen den drei Opern. Andrea Sanguineti dirigiert weniger dramatisch als bei „Lucrezia Borgia“ in Essen.

In „Maria Stuarda“ steht Königin Elizabeth I. von England als Frau im physischen und politischen Zenit. Immer wieder erscheinen Doubles von ihr als Kind und Matrone, wie sich ihr Bild mit roten Haaren und Krinolinenkleid im kollektiven Bewusstsein eingenistet hat. Wichtig zu wissen: Die Regisseurin Mariame Clément interessiert sich besonders für die Knickmomente in Donizettis Opern, wo es für Frauen zwischen Privatheit und Politik bedenklich knirscht. Zweitrangig ist für Clément der Liebeskonflikt, den Giuseppe Bardari in seinem Libretto mit strikten Vereinfachungen aus Friedrich Schillers Trauerspiel „Maria Stuart“ gebaut hatte. Für die Zensurbehörden bot diese Adaption noch immer so viel Inhaltsdynamit, dass die Uraufführung als „Buondelmonte“ in Neapel 1834 und die Originalfassung erst 1835 an der Mailänder Scala erfolgte. Das dramatische Grundmuster von „Maria Stuarda“ blieb in der italienischen Oper bis Cileas „Adriana Lecouvreur“ (1902) gültig: Eine Frau tot, die Rivalin überlebt mit schweren psychischen Blessuren, der Mann dazwischen kommt relativ ungeschoren davon.

Auch der Ausstatterin Julia Hansen ist historisch-realistische Stringenz gleichgültig, was zu dekorativen, nicht immer sinnfälligen Bildern führt. Den Chor (Leitung: Alan Woodbridge) steckt sie in dunkle Renaissance-Hoftracht. Dieser kann sich erst in seiner großen Klageszene vor Marias letztem großen Auftritt aus einer dekorativen wie sängerischen Hölzernheit befreien. Hinter einem schlichten Raumquader befindet sich zu Elisabettas Fest in Westminster ein Laubwald-Panorama. Die Bäume werden später auf Fotheringhay Castle zum Symbol für die emotionale Balance und souveräne Fraulichkeit der dort inhaftierten Schotten-Königin Maria Stuarda. Hier hat sie wenigstens noch ihren kleinen Sohn Jacob zur Seite. Wie früher beim Regie-Patriarchat bleibt es aus Cléments Frauenperspektive also dabei, dass Elisabettas Rivalin Todesängste zwar intensiv durchleben muss, aber mit ihrem Gefühls- und Hormonhaushaut wesentlich besser dran ist als Elisabetta selbst. Letztere ist keine Machtfrau und dabei voll traumatisiert vom Kindheitsschock, dass der eigene Vater ihre Mutter enthaupten ließ. Am Ende tut es kaum etwas zur Sache, dass ein Kamerateam im kühnen Zeitsprung Marias Enthauptung aufzeichnet und deren Anhänger Empörungstransparente hochreißen. Das ist ein Wehrversuch, um das aus heutiger Perspektive zwiespältige Frauenbild des 19. Jahrhunderts erträglich zu halten.

Was bei Mariame Clément konzeptionell so klar wirkt, erscheint auf der Bühne im szenischen Weichzeichner. So wird Maria am Ende Beweisstücke ihrer Vergangenheit in Versöhnung mit dem Schicksal vernichten, während die im Reitdress auftretende Elisabetta merkbare Schwierigkeiten mit ihren erotischen Bedürftigkeiten hat. Vor der männlichen Sprache des Begehrens ihres zwischen beiden Königinnen pendelnden Liebhabers Roberto Leicester kapituliert Elisabetta trotz politischen Bewusstseins. Der hat also seine Hände öfter mal in ihrer Hose. Noch mehr Deutlichkeit bringt da nur die Sprache der Musik, zumal die zwei Bassbariton-Ratgeber für Maria und Elisabetta – Nicola Ulivieri (als der wichtigere Talbot) und Simone Del Savio  (Lord Cecil) – mit vokaler Homogenität und mit diplomatischer Austauschbarkeit durch die Szene schreiten.

Andrea Sanguineti hatte fast zeitgleich mit dieser „Maria Stuarda“ im Aalto-Theater Essen eine bezwingende „Lucrezia Borgia“ dirigiert. Mit dem Orchestre de la Suisse Romande agiert er weicher und verhaltener, weniger geschärft. Wie im mittleren 19. Jahrhundert noch üblich, gibt es im Orchester ein Klavier, obwohl die Zeit der Rezitative mit Tasteninstrument 1834 fast vorbei war. Dieses Klavier greift motivisch Prägnantes auf und stützt, was zu Donizettis Zeiten wegen knapper Probenzeiten äußerst sinnvoll war, die Sängerstimmen. Das klingt in einer Oper mit Orchesterrezitativen ungewohnt, aber auch apart und exotisch.

Sanguineti rollt seinen beiden Protagonistinnen den roten Teppich aus. Das Trio Elsa Dreisig, Stéphanie d'Òustrac und Edgardo Rocha war schon in anderer dramatischer Konstellation bei der Genfer „Anna Bolena“ am Zug. Wunderschön singt Rocha und bleibt interpretatorisch etwas unterbelichtet, weil Clément seine Partie als Mann und Stratege für ein Weichei hält. Vor Marias Hinrichtung greift der als emotionaler Panzerknacker eher unsystematische Leicester zum kleinen Fläschchen – Gift oder Medizin?

Schon durch Donizetti kompositorisch maßgeschneidert, wird die Konfrontation der Frauen zum Hauptanliegen und Höhepunkt des Abends – hier in der selteneren Konstellation mit hohem Sopran für Elisabetta, um die durchgängige Besetzung mit Elsa Dreisig in allen drei Teilen der Genfer Tudor-Trilogie zu gewährleisten, und einem Mezzosopran für Maria. Eine intensive Ergänzung bieten Elsa Dreisig mit hellem wie klarem, in der Höhe leicht kühler Stimme und ihre Partnerin. Die repräsentativen Szenen gelingen Dreisig im Gleichklang von Verbindlichkeit und Stärke. Doch Elisabettas Gefühle sind bei Dreisig so schwer zugänglich wie der Safe eines Schweizer Bankhauses. Trotz sängerischer Souveränität fehlt immer eine Nuance, wenn es um Sex, Stolz und Schmerz geht – oder um Kicks ins Anrührende und artistische Chuzpe für sängerische Drahtseilakte. Diese erlebt man dagegen von Stéphanie d'Oustrac im faszinierenden Mix aus Kalkül und Sophistication. Generell sind Koloratur-Feuerwerke aus Selbstzweck hier verpönt. Insofern ist alles bis zum Verzierungslauf von tiefer Mezzolage in magische Höhen, mit dem d'Oustrac ihre Partie finalisiert, Belcanto vom feinsten. D'Oustrac entfesselt ein frenetisches Farbspiel mit einem am vokalen Reißbrett entworfenen Präzisionsbarometer. Fast manieriert ist das und risikobereit. Denn d'Oustracs Überreiztheit geht bis an zerstörerische Grenzen, wo sie in letzter Sekunde kurz vor der lustvollen Selbstüberforderung die Bremse zieht. Weil das an den Signalstellen der ersten Arie, der Auseinandersetzung mit Elisabetta, des Gebets und im Finale so elektrisierend ist, fällt alles andere stark ab. Denn d'Oustrac ist die einzige, welche das kühle Konstrukt dieser Produktion ins angemessene Künsterinnentum wuchtet. Trotzdem kann auch sie nichts daran ändern, dass es in den von Clément weit geöffneten Königinnenherzen weder glaubhaft abgründige noch richtig finstere Gegenden gibt.

  • Premiere: 17.12.2022 – Besuchte Vorstellung: 21.12. – Weitere Vorstellungen: 19.12. – 19.30h, 23.12. – 19.30h, 26.12. – 15.00h, 29.12. – 19.30h

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