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Florian Panzieri, Ida Aldrian, Marie-Dominique Ryckmanns, Nicholas Mogg. Foto: Niklas Marc Heinecke
Florian Panzieri, Ida Aldrian, Marie-Dominique Ryckmanns, Nicholas Mogg. Foto: Niklas Marc Heinecke
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Zwischen Realität und Illusion – Uraufführung von Johannes Harneits „Silvesternacht“ an der Staatsoper Hamburg

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Die Romantik ist die Epoche, die den Komponisten Johannes Harneit immer wieder anzieht mit ihren wichtigsten Metaphern, dem Spiegel und dem Schatten. Und natürlich deren literarischen Verarbeitungen wie im Werk von E.T.A. Hoffmann und Adalbert von Chamisso. Es geht in der nun uraufgeführten „Silvesternacht“ wieder um den romantischen Menschen, um Menschen, die zerbrechen an der Spannung von Realität und Illusion auf der einen und Utopie auf der anderen Seite.

So schrieb die Librettistin Lis Arends ein komplexes Libretto auf der Grundlage von Hoffmanns „Abenteuer einer Silvesternacht“ (1814/15), das uns erzählt von jenem jungen Mann Enthus, der in dieser Nacht auf einer sehr bürgerlichen, feinen Party in Berlin seine alte Liebe Angie wiedertrifft und erneut vollkommen entflammt ist. Enthus seinerseits ist entnommen der ebenfalls 1814 erschienenen Erzählung „Peter Schlehmils wundersame Geschichte“ von Chamisso.

Die unwirkliche Nacht explodiert: zwei weitere Männer kommen hinzu, der Große, dem sein Schatten fehlt, und der Kleine, dem sein Spiegelbild abhanden kommt, und alle durchlaufen ihre nicht mehr voneinander trennbaren Wirklichkeiten, Träume und Ängste. Der Höhepunkt ist ein Bild, das „Traumsequenzen“ heißt und ein regelrechtes Feuerwerk der Gefühle abschießt: Enthus’ Frau Sophia will ihn zurück haben, Angie und ein Anywhere werben um ihn, Angie erbittet sein Spiegelbild. Der Kleine wird ermordet, Sophia verstößt ihn und und und... Enthus wird sein Leben neu suchen müssen.

Es gehört zum Stil des Komponisten Harneit, dass er mit vergangener Musik dramaturgisch arbeitet. Das sind keine epigonalen Mittel, sondern alles Benutzte steht in der Funktion einer inhaltlichen Dramaturgie: an der Silvestereinladung des Innenministers spielt ein Pianist mit silbernen Ringen an allen Fingern eine Sonate von Clementi, die später Mozart für seine Zauberflötenouvertüre verwendet hat. Es gibt Fugen und Kanons in großen Ensembles und Offenbachs „Barcarole“ aus den erst am Ende des Jahrhunderts geschriebenen „Hoffmanns Erzählungen“, der ebenfalls sein Spiegelbild verloren hat. Stets bietet die verwendete Musik den Charakter einer raffinierten Ironie und Reflexion und mischt sich mit einer „echten“ Musik von Harneit, die ihrerseits mit ihren präzisen Gesten und Skulpturen grotesk und bizarr anmutet, die Künstlichkeit des Genres Oper in jedem Moment klar macht: links umgeben Violine, Bratsche und Kontrabass das turbulente Geschehen, rechts Posaune und Flöte, in der Mitte die Harfe. Immer wieder streut der Dirigent Harneit ein paar Tropfen Celesta „als glitzernden Zuckerguss“ (Harneit) über das Ganze, ein weiteres Element der sich türmenden Wirklichkeitsverfremdung.

Das mitreißende Stück – das allerdings einige vielleicht noch vermeidbare Längen hat – ist jedenfalls ein Steilvorlage für wunderbare Rollen, die von dem sehr jungen niederländischen Regisseur Mart van Berckel witzig und doppeldeutig ineinander verwoben wurden. Für die drei zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Realität und Illusion verwirrten Männer überzeugten auch gesangsstark Nicholas Mogg und außerdem Tigran Martirossian, Florian Panzieri und Peter Galliard, für die Frauen Ida Aldrian, Marie-Dominique Ryckmans und Gabriele Rossmanith als Kellner. Zeitlose, komische und kontrastreiche Kostüme (Joris Suk) und ein Bühnenbild, für das immer nur Utensilien hereingetagen wurden (Vera Selhorst), ergänzten den vergnüglichen Abend, der trotz aller gekonnten Unterhaltung die – eben auch politische – Flucht in Traum und Illusion in der Romantik durchaus deutlich machte. Viel Beifall, stehende Ovationen.

  • Weitere Aufführungen: 7.1. 20 Uhr, 8.1. 18 Uhr, 9., 13. und 14.1. 20 Uhr und 15.1. 17 Uhr

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