Helmut Kohl war Bundeskanzler, in den USA sorgte die Lewinsky-Affäre für Schlagzeilen und die Fußballweltmeisterschaft, in der Zinédine Zidane Frankreich zum Titel führen sollte, wurde gerade eröffnet, als die aktuelle Inszenierung von Sergei Prokofjews Die Liebe zu den drei Orangen an der Komischen Oper Berlin am 13. Juni 1998 Premiere feierte. Nach 25 Jahren und fast 150 Vorstellungen heißt es in diesem Jahr Abschied nehmen. Aufgrund der bevorstehenden Renovierung und den Gegebenheiten des Ausweichquartiers im Schillertheater, zeigt das kleinste der Berliner Opernhäuser die Inszenierung von Andreas Homoki in dieser Saison zum letzten Mal. Ein Einblick in die vorvorletzte Vorstellung.

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Die Liebe zu drei Orangen
© Monika Rittershaus

Bis auf den letzten Platz ausverkauft ist die Komische Oper an diesem typisch trist-grau-öden Berliner Winterfreitag. Stammpublikum, Neuinteressierte, viele Kinder befinden sich unter den Zuschauer*innen. Sie alle erwartet ein farbenfrohes Spektakel, dass auch nach einem Vierteljahrhundert nichts von seinem Charme verloren hat. Denn so sehr der Prinz seine Orangen liebt, so groß ist die Liebe zum Detail in diesem Haus. Nichts vom staubigen Repertoireschinken ist zu erkennen in dieser karikaturesk-humorvollen Inszenierung von Homoki, die ein halbes Jahrzehnt vor seinem Start als Chefregisseur und später Intendant des Hauses entstand. Sie ist Zeugnis davon, wie ernst man an der Komischen Oper auch die abermalste Wiederaufnahme nimmt.

Verzwickt ist die Geschichte des chronisch melancholischen Prinzen, der nicht zu Lachen vermag, durch Magie seine Liebe zu drei Orangen findet, die sich als echte Prinzessinnen entpuppen, aber aufgrund der korrupten Beamten und machthungrigen Verwandten dennoch nicht hürdenlos zum märchenhaften Ende führt. Das klingt zunächst wie ein selbstlaufendes Fantasieabenteuer, braucht aber eine starke Inszenierung, um zu funktionieren. Homoki nimmt die Figuren in seiner Geschichte ernst, aber niemals zu sehr. So wirken alle Charaktere optisch dem Kinderbuch entsprungen, sind überzeichnet, driften aber niemals in reine Blödelei ab. Das ist die große Stärke der Produktion. Sie ist kurzweilig, findet aber auch Hintersinn.

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Die Liebe zu drei Orangen
© Monika Rittershaus

Wie viel Tragödie auch immer in der Komödie steckt, symbolisieren nicht zuletzt auch zwei menschengroße Bücher gleich zu beginn. Mit ihnen streitet der Chor – das Publikum symbolisierend – was denn nun an diesem Abend gegeben werden soll. Der zeitlose Kampf zwischen Erkenntnis und Unterhaltung. Nicht alle Mittel der Produktion haben die Zeit seit ihrem Entstehen allerdings gut überdauert. Vor mehr als zwei Dekaden mag das blaue Anmalen von weißen Sängern, die schwarze Charaktere darstellen, vielleicht fortschrittlich gewirkt haben. Im Jahr 2023 weiß man aber, dass das sogenannte Bluefacing am Ende doch nur eine Weiterführung verpönter rassistischer Praktiken ist.  

Am Ende ist die fast 150. Aufführung von Die Liebe zu den drei Orangen an der Komischen Oper wieder einmal ein Beleg für eine der größten Stärken dieses Hauses: sein spielfreudiges Ensemble. Rupert Charlesworth gibt den naiv-trotzigen Prinzen, Jens Larsen den gesetzt-verzweifelten König mit kräftigem Bass. Als nimmermüder Truffaldino beweist sich Ivan Turšić als ihr Pendant. Bis in die kleinen Rollen zeigen alle Sänger*innen Spaß an ihren Charakteren, der ansteckend wirkt. Im Mittelpunkt dabei steht auch der Chor mit seiner überwältigenden Präsenz, die vor allem schauspielerisch seines gleichen sucht. Zusammengesetzt aus Mitgliedern des Ernst Senff Chors und Chorsolist*innen und Kompars*innen der Komischen Oper Berlin beobachten und kommentieren sie das Geschehen und greifen gleich mehrfach darin ein, um dem Stück eine neue Richtung zu geben. 

Hatte bei der Premiere 1998 noch der im vergangenen Jahr verstorbene Michail Jurowski im Graben gestanden, fällt diese Rolle in der finalen Vorstellungsserie Hendrik Vestmann zu. Der estnische Dirigent kehrt das surrealistische Element der Partitur hervor. Dabei legt er großen Wert, die Sänger*innen nicht zu übertönen, um zugleich den berühmten Marsch in all seiner schmissigen Rasanz auszukosten. Noch zwei allerletzte Male ist das am 29. Januar und am 4. Februar zu erleben – die Jagd auf die Restkarten lohnt sich.

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