Furioser, fulminanter Triumph: Barrie Koskys „Cage aux Folles“in der Komischen Oper mit Stefan Kurt als grandiosem Travestie-Star.

Peter Zander

Huch. Da könnte sich mancher Abonnent glatt an seinem Sekt verschlucken. In „La Cage aux Folles“ – seiner ersten Produktion an der Komischen Oper, seit er dort nicht mehr Intendant ist – geht Barrie Kosky in die Vollen. Da gibt es nicht nur Chichi, Glitzer und Budenzauber, wie man es von ihm gewohnt ist. Sondern auch eine ganz deftig-zotige Bildsprache.

Die Wohnung des Travestiestars Zaza ist ein einziges Phallus-Land. Da finden sich riesige Porzellanvasen im Form erigierter Glieder (die später auch als Rammbock benutzt werden). Und die Sitzgelegenheiten sind derart gestaltet, dass man sich quasi auf Hoden niederlässt. Und die Wandtapete ziert eine Zeichnung der Schwulenikone Tom of Finland, die eine explizite S/M-Szene unter Männern darstellt, im XXL-Format. La Cage aux Folles? Hier wird es zu La Cage aux Phalles.

Großartige Schauwerte – die Kostümabteilung durfte sich austoben

Aber natürlich weiß auch der Abonnent längst, was ihn bei Kosky erwartet, der sich mal als schwules jüdisches Känguru bezeichnet hat. Dass „La Cage aux Folles“ seine erste Produktion an diesem Hause ist, das er in neue Höhen katapultiert hat, ist wFohl kein Zufall, eher ein Statement. Ein schwules Musical, das keineswegs, wie man glauben könnte, Staub angesetzt hat. Gerade in diesen Zeiten, da Geschlechterrollen und normatives Verhalten aufgebrochen werden und über non-binäre Geschlechter und Genderfluidität diskutiert wird, ist der „Käfig voller Narren“ aktueller denn je.

So stecken hier nicht nur Männlein unter der knappen Damenbekleidung der „Cagelles“ genannten Tänzer, sondern auch Weiblein. Und nicht immer kann man das unterscheiden. Die femininsten Cagelles sprechen mit den tiefsten Stimmen. Aber auch der erzkonservative Politiker, der dieses bunte Treiben als Sündenpfuhl verteufelt und damit Stimmen am rechten Rand gewinnen will, ist heute – leider – immer noch traurige Aktualität. Man kann herzhaft lachen über dieses herrlich queere Musical. Aber die zunehmende Homophobie in der Gesellschaft ist immer mitgedacht. Und wird hier als Überwindungsfantasie gleich exorziert. Ein praller Abend für mehr Toleranz.

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Deftige Bildersprache: Die Privatwohnung ist bestückt mit Phallus-Vasen und Hoden-Sofas. Und einer Wandtapete eines Tom-of-Finland-Illustration.
Deftige Bildersprache: Die Privatwohnung ist bestückt mit Phallus-Vasen und Hoden-Sofas. Und einer Wandtapete eines Tom-of-Finland-Illustration. © dpa | Jens Kalaene

Muss man die Geschichte von „La Cage aux Folles“ noch erzählen? Sollte es wirklich Berliner geben, die sie nicht kennen, diese Komödie um ein älteres Schwulenpaar, das eine schillernde Travestiebühne betreibt, aber dann ein konservatives Hetero-Pärchen vorgaukeln muss, um die künftigen erzreaktionären Schwiegereltern des Sohns nicht zu schockieren? Verrät man zu viel, wenn man sagt, dass das Happy End hier nicht darin besteht, dass das junge Paar sich findet – sondern dass zwei ältere Herren sich küssen?

Wohl kaum. „Ein Käfig voller Narren“ war schon als Kinofilm – als erster queerer Film überhaupt – ein Welterfolg. Und das Bühnenmusical von Jerry Herman (Musik) und Harvey Fierstein (Buch) mit seinen Ohrwürmern, die sich einschmeicheln und einen nicht mehr loslassen, feierte 1985 seine europäische Erstaufführung ja ebenhier, in Berlin, am Theater des Westens, wo Intendant Helmut Baumann zehn Jahre lang in der Rolle der Zaza glänzte. So nachhaltig, dass sich seither nur die Bar jeder Vernunft einmal an einer neuen „Cage“ versuchte. Was 2014 aber leider ziemlich in die Hose ging.

Man wähnt sich zuweilen im Friedrichstadt-Palast: Ovationen schon für das Intro

Nun aber kommt Barrie Kosky. Und was man in den 80er-Jahren nur frivol andeuten konnte, das brennt er in grandios bunte und plakativ eindeutige Bilder. Und das von Anfang an. Wenn der Vorhang sich hebt, sieht man nicht einen Käfig voller Narren. Man sieht lauter Käfige voller Paradiesvögel, die dann von Chor und Tänzern aus den Gattern befreit werden. Für ein derart entfesseltes Intro, dass man glaubt, man sei hier nicht in der Behrenstraße, sondern ein paar hundert Meter weiter. Der Friedrichstadt-Palast jedenfalls könnte es nicht besser hinkriegen. Schon für diese erste Nummer gibt es Ovationen.

Aber dann kommt Albin, der als Zaza der Star der Travestiebühne ist, und schminkt sich ganz allein am Garderobentisch. Es ist die Nagelprobe für jeden Zaza-Darsteller, wenn er so zur Primadonna der Travestie mutiert. Und also auch für Stefan Kurt, den man eher aus Film und Fernsehen kennt. Wenn er „Mascara“ intoniert, wird schnell klar, dass er stimmlich nicht an einen Helmut Baumann heranreicht. Auch nicht an den Tenor Peter Renz, der seinen Partner und Varieté-Conférencier Georges spielt und etwas Operette ins Musical bringt. Aber der Schauspieler Kurt weiß das wettzumachen mit einem unglaublich tiefen, ehrlichen, auftrumpfendem Spiel.

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Pompöser Auftritt mit güldenem Hofstaat: Zaza als Queen Elizabeth I.
Pompöser Auftritt mit güldenem Hofstaat: Zaza als Queen Elizabeth I. © dpa | Jens Kalaene

Und er spielt nicht nur das Doppelgesicht Albin/Zaza, er wandelt sich immer weiter. Mal macht er auf späte Hilde Knef, mal auf den britischen Dandy Quentin Crisp. Dann wickelt er das Publikum mit frivolen Witzen um die Finger wie die Travestiekünstlerin Mary und wird wie diese zur veritablen Rampensau.

Später zitiert er Marlene Dietrich bei deren letzten Konzert oder zieht gar pompös wie Queen Elisabeth I. mit ganzem Hofstaat ein. Lauter Augenschmäuse. Aber am stärksten ist auch diese Zaza, wenn sie kurz vor der Pause die Cagelles verscheucht, die Perücke vom Kopf reißt und ganz solo „Ich bin, was ich bin“ intoniert: die Hymne auf Selbstermächtigung und Anderssein.

Gipfeltreffen zweier Zazas: Stefan Kurt im Duett mit Helmut Baumann

Am Bühnenbild hat Kosky diesmal etwas gespart. Das kennt man ja sonst nicht von ihm. Da wurde wohl auch schon der baldige Umzug ins Schiller Theater mitgedacht. Dafür durften sich die Kostümbildner umso mehr austoben mit immer neuen, wahnsinnigen, mal mehr, mal weniger verhüllenden Gewändern. Nicht nur für die Tänzer, auch für den ganzen Chor.

Und dabei geht es immer auch um Vögel-Metaphern: angefangen mit den Vogelkäfigen, die sich direkt vom amerikanischen Originaltitel „The Birdcage“ ableiten, und den Federboas der Cagelles. Die hüpfen immerzu, ein buchstäblicher Running Gag, als schnatternde Hühner über die Bühne, um sich dann wieder in stolze Schwäne zu verwandeln. Und das alles vor knallbuntem Dschungelbild von Papageien. Ein Sinnbild für diese diverse Parallelwelt.

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Die Phallus-Vasen werden auch mal als Abwehrwaffen gegen den erzkonservativen Poltiker Dindon (Tom Erik) benutzt.
Die Phallus-Vasen werden auch mal als Abwehrwaffen gegen den erzkonservativen Poltiker Dindon (Tom Erik) benutzt. © dpa | Jens Kalaene

Die irrwitzigen Ensemblenummern und Stefan Kurt als Zaza sind die zwei großen Schauwerte dieses Abends. Aber es gibt noch eine dritte mit der Restaurant-Besitzerin Jacqueline. Die ist sonst eine eher undankbare Nebenrolle. Hier aber wird auch sie von einem Mann gespielt. Und zwar von Helmut Baumann, der einstigen legendären Berliner Zaza.

Das wird ein Renner für das Haus

Für seinen ersten Auftritt gibt’s gleich Szenenapplaus. Atemberaubend, wie er da in hohem Alter – am Dienstag wird er 84 – noch auf Stöckelschuhen stolziert. Und dann singen Zaza und Jacqueline von jeher ein Lied gemeinsam. Doch hier kriegt das einen doppelten Boden. Und bereitet echte Gänsehaut. Weil da irgendwie zwei Deluxe-Zazas duettieren.

Ein fulminanter, furioser Abend. Am Ende regnet es güldnen Glitter, auch aufs Publikum. Und kaum einen hält es noch auf dem Sitz. Alle werden gefeiert, Kosky, sein Star Kurt, die Cagelles, die Musiker unter Koen Schoots. „La Cage“, so viel ist jetzt schon klar, wird ein Renner für das Haus, auch für die Zwischenstation Schiller Theater. Man sollte sich baldigst um Tickets kümmern. Und darf schon auf einen weiteren Clou hoffen. Als nächstes plant Kosky, wie man in der Pause erlauschen durfte, das Musical „Chicago“.