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Im Wald, da sind die Träume: „Dido and Aeneas“/„Erwartung“ an der Bayerischen Staatsoper

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Ausrine Stundyte und Victoria Randem
Verpackt für die Reise ins Jenseits: Dido (Ausrine Stundyte, li.) und Belinda (Victoria Randem) in der problematischen Inszenierung von Krzysztof Warlikowski. © Bernd Uhlig

Selbstverständlich kann man Purcells „Dido and Aeneas“ und Schönbergs „Erwartung“ verklammern. Dafür, das zeigt sich an der Bayerischen Staatsoper, bräuchte es aber eine andere Regie und eine andere Sopranistin.

Den Optimismus hätte man gern. Zwölf Tornados, so warnt es aus den Lautsprechern, sind angekündigt. Doch diese durchgeknallte Truppe zieht es trotzdem in den Winterwald zum Party-Bungalow. Es schneit nicht nur von oben, sondern auch in die Nasen. Weiterer Stoff nebst Alkohol ist im halluzinogenen Spiel. Wenn da nicht diese Spielverderberin wäre, nennen wir sie Dido. Eine Außenseiterin, gern im Abseits und dadurch im Mittelpunkt. Irgendwas mit einem langhaarigen Kerl scheint sie zu haben, nennen wir ihn Aeneas. Der kann immerhin einen britischen Humber-Oldtimer reparieren und muss mal mit Dido im Bett gelandet sein. Ansonsten: Man weiß es nicht.

Auch wenn der musikstilistische Bogen fast bricht – Purcells „Dido and Aeneas“ und Schönbergs „Erwartung“ lassen sich durchaus zusammenspannen, wie es die Bayerische Staatsoper in dieser Premiere vorführt. Zwei tödliche Beziehungsverläufe, zwei verratene Frauen, weil es die Kerle zu anderem oder einer anderen treibt (Handlung am Ende des Artikels). Regisseur Krzystof Warlikowski deutet sogar eine Verbindung an. Aus Eifersucht knallt Dido am Ende der Purcell-Stunde Aeneas und ihre Vertraute Belinda ab. Später, in der dreißigminütigen „Erwartung“, begegnet sie per Wahnanfall in der Sitzgruppe den Leichen erneut – um schließlich bei den Wiederbelebten als drittes Rad an der Tafel zu sitzen.

Für Logik ist Warlikowski die falsche Adresse

Wer nach Plausibilität, nach Stringenz und Logik fragt, war bei Warlikowski schon immer an der falschen Adresse. Wer sich dagegen durch situative Psychospiele treiben lassen will, durch Assoziationsräume, durch eine Art surreale Konkretheit, der findet auch in dieser Premiere Bilderfutter. Wie immer lässt Warlikowski bewusst Fragen offen. Doch um manch notwendige Antwort drückt er sich. Vor allem um Zentrales: Warum Dido nach 60 Minuten als seelisch Todwunde das schönste Lamento der Operngeschichte anstimmt, was das Drama dieser Frau ist, was sie überhaupt mit dieser kaum entwickelten Männerfigur verbindet, all das wird in keiner Sekunde vorbereitet.

In den schwächsten Momenten liefert Warlikowski mit Ausstatterin Malgorzata Szcześniak nur modernistische Folie und raunende Illustration. Und oft gibt es handwerkliche Mängel, wenn sich das Bühnengeschehen in diffusen Aktionen verliert. Für Fokussierung sorgen dann nur noch, Castorf lässt grüßen, Simultanvideos. Überhaupt krankt der Abend an Entscheidendem: Für Purcells „Dido and Aeneas“, diesem kleinen Wunder an Dramen-Destillat und musikalischer Reduktion, ist das Nationaltheater schlicht zu groß. 2001 brachte die Staatsoper das Stück im Cuvilliéstheater mit der großartigen Anna Caterina Antonacci heraus, jetzt verpufft Purcells Energie.

Allein durch den Spielort wird die Regie zur Monumentalisierung, zum Aufpumpen gezwungen. Und manchmal betrifft das auch die musikalische Fraktion. Andrew Manze, Barock-Experte, trifft auf ein Bayerisches Staatsorchester, das sich dank jahrzehntelanger (zwischendurch unterbrochener) Praxis sicher in solchen Partituren bewegt. Purcell wird saftig und farbsatt musiziert, ohne dickflüssig zu werden. Manze verwendet viel Augenmerk auf atmende, vibratofreie Phrasierung. Der klein besetzte, in den Graben verbannte Chor geht gut, gelegentlich etwas rau mit.

Effektvolles Breakdance-Ballett zwischen beiden Stücken

Und doch klingt vieles nach einem Eichstrich zu weit. Wie Purcell Intensität durch Intimität gewinnt, wie es bei ihm zu extremen Emotionsausschlägen auf engstem Raum kommt, das entgeht der Aufführung. Manze, der Staatsopern-Debütant, bleibt immerhin auch bei Schönberg sattelfest. Wo es eher um Koordination statt Interpretation geht, lotst er das nun vergrößerte Ensemble sicher durch die vertrackte Partitur.

Hochproblematisch die Besetzung der Doppel-Hauptrolle. Für „Eine Frau“ in Schönbergs „Erwartung“ bringt Ausrine Stundyte eigentlich den passenden Sopran-Zuschnitt mit. Die Partie bewegt sich meist in der Mittellage, Exaltiertes wird mit wenigen Ausbrüchen zum hohen B und H abgehandelt. Was bedeutet: Die Litauerin könnte viel mehr mit Klangfarben und Text arbeiten. Doch was man erlebt, ist diktionsarmer, in manchen Lagen gefährlich stumpfer Gesang. Ihre vorausgegangene Dido driftet mit vibratoreichem Großkaliber und diffuser Intonation sogar in den Stil-Unfall. Das eröffnet viel Raum für Victoria Randem als Belinda. Sie drängt mit ihrer singspielenden Sinnlichkeit die Kollegin fast an die Wand. Günter Papendell deutet mit grauer Emphase einen gepeinigten Aeneas an. Was die Tragödie seiner Figur ist, erfährt man nicht.

Für zehn Hallo-Wach-Minuten und als Kitt zwischen Purcell und Schönberg steuerte Komponist Pawel Mykietyn ein Zwischenspiel bei. Rockiges in Endlosschleife und der Soundtrack für spektakuläre Breakdance-Einlagen. Während Dido im roten Schlaf-Leichensack dem Jenseits (oder der nächsten Vision) entgegendämmert, schaltet ihre Partytruppe den Turbo zu. Alles tanzt sich durch einen per Video angedeuteten Graffiti-Tunnel, bevor das Geschehen wieder in Warlikowskis Unschärfe verebbt. Wetterfrösche können irren. Das war ein Lüftchen.

Die Handlung:
„Dido and Aeneas“: Dido, Königin Karthagos, hat sich in den trojanischen Helden Aeneas verliebt – obwohl sie geschworen hatte, nach dem Tod ihres Mannes nie einen anderen zu heiraten. Durch einen Trick der Furien wird Aeneas gesagt, er müsse nach Italien segeln. Nach dessen Abfahrt stirbt Dido.
„Erwartung“: Eine Frau sucht im Wald den Geliebten. Sie findet ihn ermordet und hält Zwiesprache an der Leiche.

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