1. Startseite
  2. Kultur
  3. Theater

„Orlando“ an der Oper Frankfurt: Das Ärgernis, das sie Liebe nennen

KommentareDrucken

Kateryna Kasper als Angelica, von Tänzerinnen flankiert. Foto: Barbara Aumüller
Kateryna Kasper als Angelica, von Tänzerinnen flankiert. © Barbara Aumüller

Die Oper Frankfurt zeigt Händels „Orlando“ in einer radikal reduzierten Inszenierung von Ted Huffman.

Dass Liebe dem Vernehmen nach Wahnsinn ist, wird normalerweise nicht zu ihren Ungunsten ausgelegt. Unter allgemeinem Beifall trägt sie meist den Sieg davon, und wenn dieser Sieg nur darin besteht, dass die Liebenden tot und die Schurken allein sind für den Rest ihres schändlichen Daseins. Keiner kann sie leiden. Dennoch ein teuer erkaufter Sieg, und doch wird die Liebe den Heldinnen und Helden eher ein- als ausgeredet. Nur die Staatsräson – denken Sie an den „Zarewitsch“ – ist ein hinlänglicher Grund zum Verzicht.

Ganz anders nun die Geschichte von „Orlando“, hier in der Oper von Georg Friedrich Händel, die ausnahmsweise einmal weniger bekannt ist als das Antonio-Vivaldi-Pendant „Orlando furioso“, beide nach dem seinerzeit beliebten „Rasenden Roland“ Ariosts.

Gerade bei Händel ist Orlandos Liebesabgewöhnung fast ein erzieherischer Akt, überwacht und dirigiert durch einen gewissen Zoroastro, in dem ein Verwandter Sarastros und letztlich Zarathustras zu sehen ist. Von so einem will man sich ungerne die Liebe austreiben lassen, andererseits ist Orlando außerordentlich unvernünftig. Man könnte ihn als Mann zeigen, der seine Ex-Freundin stalkt, die längst mit einem anderen glücklich werden will, der Mann aber ist ohne Einsehen. Wirklich bis zum Wahnsinn steigert er sich in seine Eifersucht, das letzte, was von seiner Liebe übrig ist. Er gerät außer sich mit Halluzinationen und allem Pipapo, tötet das Pärchen, und nur Zoroastros Zauberkräfte können das noch in Ordnung bringen. Fortan wird sich Orlando auf seine militärische Laufbahn konzentrieren – man könnte ihn als einen Warlord zeigen –, auch wenn in Frankfurt am Ende alles sanft in der Schwebe bleibt.

Hier inszeniert der Amerikaner Ted Huffman, zum zweiten Mal in dieser Saison, eine Corona-Folge und umso kurioser, als es sich bei der ersten Inszenierung um die Sarastro-Oper „Die Zauberflöte“ handelte. Händel liegt Huffman mehr, sein Frankfurt- (und Deutschland-)Debüt mit „Rinaldo“ im Bockenheimer Depot 2017 gelang so fulminant, dass ihn in der Stadt seither hohe Erwartungen begleiten und vielleicht auch verfolgen.

„Orlando“ trägt seine Handschrift, die Reduktion in der Ausstattung, der Einsatz von Tanz, aber auf der großen Bühne des Opernhauses wirkt das naturgemäß noch minimalistischer. Also: Es ist äußerst konsequent äußerst wenig zu sehen, darauf muss man sich einlassen, sonst wird das nichts.

Die Bühne von Johannes Schütz besteht aus vier gigantischen weißen, blickdurchlässigen, wie papierenen Wänden in vier breiten schwarzen Rahmen. Sie vierteilen die Bühne, sind in der Mitte an einer Stange befestigt und können offenbar leichthändig im Kreis gedreht werden. Vier Segel, die die Figuren bei Bedarf wie durch halbdichte Vorhänge trennen, vor allem vier Projektionsflächen für Georg Lendorffs luftige Laub-Videos und für Schattenspiele, die vom Neckischen ins Grausige übergehen, als Orlando die Nerven verliert. Dass Huffman eine Art Shakespearerischer Wald vorschwebte – er selbst erwähnt den „Sommernachtstraum“ –, glaubt man sofort. Tatsächlich sind die meisten Personen Fremde hier, sind desorientiert und dabei, sich neu zu finden. Wenn man so will und die eigene Fantasie in Gang setzt.

Optisch ist es sehr ansprechend und sehr karg, das grandiose junge Ensemble wird ausgestellt, was auf der einen Seite glänzend funktioniert, andererseits im geradezu oratorisch handlungsarmen Verlauf schon eine Herausforderung ist. Wunderbar dabei die Kostüme von Raphaela Rose, die den Herren romantische Anzüge gibt – nur der Zauberer ist eine heutige, etwas halbseidene Type –, für die Damen ein reizendes Clownskostüm (die pfiffige Dorinda) beziehungsweise einen Traum in Lachsrosa (die himmlische Angelica).

Die kleine Tanzgruppe trägt strenges Schwarz wie am Hofe König Philipps von Spanien, bewegt sich in Jenny Ogilvies Choreografie zurückhaltend, hat aber eine starke Präsenz: Zoroastros Helferlein, mitleidige oder kühle Beobachter und Beobachterinnen, gelegentlich – ja, davon hätte man vielleicht doch gerne etwas mehr gesehen – Katalysatoren, um die Affekte, vor allem Orlandos Zorn, in Gang zu setzen. Sie zwicken und sie stupsen ihn. Jeder Mensch denkt, Gefühle seien das echteste und verlässlichste an ihm und ganz sein eigen. Weit gefehlt.

Ein Abend für die Musik, das machen Huffman und sein Team mit alledem auch klar. Simone Di Felice dirigiert das historisch informierte Opern- und Museumsorchester, das einen besonders schlanken, aber durchaus nicht kargen, sondern geschmackssicheren Barockklang produziert, sozusagen à la 1733 – in dem Jahr wurde „Orlando“ mit mittlerem Glück in London uraufgeführt.

Auf der Bühne lediglich eine tiefe Männerstimme, der Bass Zoroastro, den der entspannt in unterste Lagen sackende Bassbariton Božidar Smiljanic übernimmt. Die Mezzosopranistin Zanda Švede ist der tiefernste Orlando, dem den Abend über nicht nach Lachen zumute ist. Bleich und tapfer – unerwiderte Liebe erfordert noch mehr Heldenmut als erwiderte – durchleidet er Enttäuschung, Raserei und psychischen Zusammenbruch und genießt sie die schwermütigen Arien und die tollkühne Irrsinnsszene mit Taktwechseln, Tanzrhythmen und einem Temperament, das in Händels Zeit beunruhigte. Und heute beunruhigt es im Grunde auch noch. Vielleicht gerade, weil es nicht laut und eklatant wird. Auch außer sich zu sein, ist ein innerer Vorgang.

Die Sopranistin Kateryna Kasper, deren Stimme immer goldener, dunkeltöniger, aufregender und noch angenehmer wird, ist Angelica, die mit Orlando verlobt war, aber nun liebt sie Medoro. Nicht weil sie ein Luftikus ist, sondern weil die Liebe so sein kann. Beständig, aber nicht immer demselben Menschen gegenüber. Medoro ist der Countertenor Christopher Lowrey, Hausdebütant und einziger Gast im Gesangsquintett, der eine etwas herbere Klangfarbe einbringt, während Monika Buczkowska als Dorinda, welch Freude, weniger zwitschert als eine Portion echter, lichter, durchaus auch sarkastischer, moderner Komik in die verbreitete Trübnis bringt. Sie ist die Stimme der Vernunft, denn auch sie hat auf Medoro ein Auge geworfen, zwei Augen. Hilft halt nichts.

Während die Inszenierung auf ihre Weise radikal ist, erzwingen sich das Wohltemperierte und die Bescheidung durch Zoroastro den vorläufigen Sieg. Die Liebenden können friedlich ihrer Wege gehen und interessieren nicht weiter, Dorinda gehört das letzte Wort. Und der geheilte Orlando hört vielleicht auf seinen Mentor. Vielleicht aber auch nicht.

Oper Frankfurt: 4., 10., 12., 18., 25. Februar, 4., 10., 12. März. www.oper-frankfurt.de

Auch interessant

Kommentare