Heldenruhm oder Liebesglück? Der Ritter Orlando kann sich nicht so recht entscheiden. Nach zahlreichen glorreich bestandenen Kämpfen will er sich nun auch in der Liebe versuchen. Seine Herzensdame Angelica allerdings ist ihm zwar dankbar für ihre Rettung (Frauen in Kämpfen zu retten, war bisher sein Hauptberuf), sie hat aber einen Andern erwählt. Das stachelt Orlandos Eifersucht an, und es tritt ein, was Zoroastro befürchtet hat, „dass man in der Liebe oft den Verstand verliert”. Dieser Zoroastro (ein Vorläufer von Sarastro) ist eine Art Lehrer und zugleich Magier, der Orlandos Liebeswahn nicht nur vorausgesagt hat, sondern zum Glück am Schluss auch heilen kann. So wird es auch in dieser Oper Händels trotz vielerlei Liebeswirren mit sogar tödlichen Folgen ein glückliches Ende geben, das übliche lieto fine eben.

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Zanda Švēde (Orlando)
© Barbara Aumüller

Was hier nach komischer Oper klingen mag und in der Vorlage von Ariost, dem vielfach zu Opernlibretti verarbeiteten Orlando furioso, auch ironisch erzählt wird, ist in Händels Fassung ab und an von leiser Melancholie durchweht. In der Produktion an der Oper Frankfurt, die nun fast genau auf den Tag 290 Jahre nach der Uraufführung auf die Bühne kam, dominiert auch mehr die Innenschau als äußerlicher Aktionismus.

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Kateryna Kasper (Angelica) und Tänzer*innen
© Barbara Aumüller

Diese Inszenierung besticht durch eine sensible Personenregie gepaart mit subtil musikalischer Gestaltung. Hier wird kein Regiekonzept exerziert, sondern der amerikanische Regisseur Ted Huffman verlässt sich allein auf die Figuren und ihre Musik. So kommt auch die Besonderheit dieser Oper schön zum Vorschein, weil Händel hier nicht vorrangig bloße Affekte ausstellt, sondern wahre Bühnencharaktere handeln und singen lässt. Nirgendwo in seinen Opern gibt es so viele instrumental begleitete Rezitative, in denen sich Seelenvorgänge spiegeln. Tanzende Genien umschweben die Figuren dabei und übertragen deren Gefühle dezent in anmutige Körpersprache.

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Monika Buczkowska (Dorinda) mit Tänzer*innen
© Barbara Aumüller

Dies kommt in Frankfurt besonders Orlandos Wahnsinnsszene zugute. Man könnte Bühnenzauber erwarten, wie er wohl bei der Uraufführung am King's Theatre am Londoner Haymarket geboten wurde. Hier aber sprechen nur der Gesang und das Orchester. Orlando ist die Mezzosopranistin Zanda Švēde, die schon von Beginn an eher mit sanfter als mit heldischer Stimme ihrer Rolle entsprach. In dieser Szene am Schluss des zweiten Akts bewältigt sie großartig, was Orlando alles erlebt. In einem langen accompagnato führen ihn seine verwirrten Gedanken in die Unterwelt, mit dem Höllenhund Zerberus vollführt er einen grotesken Kampf und in der abschließenden Arie schwankt er, ob seine Angebetete um ihn weinen wird oder nicht – so viele Gefühle, die die Sängerin zu einem gesungenen Drama formt. Und das Orchester unter Simone Di Felice steuert mit harten Abstiegen im Bass, fahlem Unisono der Streicher, abgerissenen Akkorden und dem Einsatz von Donner- und Windmaschine das Übrige bei – außerordentlich plastisch und in vollendet barocker Klangrede.

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Zanda Švēde (Orlando) und Kateryna Kasper (Angelica)
© Barbara Aumüller

Dazu braucht diese Inszenierung keine spektakuläre Ausstattung. Es gibt außer einem Dolch und einem Amulett (unerlässlich für die Erklärung der Handlung) keinerlei Requisiten. Genial ist die Bühnenkonstruktion: nichts weiter als ein Drehkreuz wie eine riesige Drehtür, die hier die ganze Bühnenhöhe ausfüllt und nicht allein zu reibungslosen Szenenwechseln dient, sondern auch als reales Liebeslabyrinth, in dem sich die Figuren bisweilen verirren oder als Projektionsfläche der Olivenzweige Arkadiens, dem bukolischen Ort, an dem die ganze Handlung spielt.

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Kateryna Kasper (Angelica) und Christopher Lowrey (Medoro)
© Barbara Aumüller

Angelica hat es hierhin zur Schäferin Dorinda verschlagen, wo sie gemeinsam den verletzten Krieger Medoro gepflegt haben; ein heikles Dreieck, denn Dorinda verhehlt ihre Sympathien für ihn nicht, aber Angelica hat sich mit ihm heimlich verlobt. Eine wunderbare Rolle für den Counter Christopher Lowery, der diesen Vielumworbenen wie einen galanten Edelmann gibt. Sein Kostüm (grüner Frack mit gemusterter Hose) ist ebenso empfindsam wie sein Gesang. Im romantischen Überschwang ritzt Medoro Angelicas und seine Namen in einen Baumstamm und singt dabei balsamisch schön sein „Auf immer vereint”.

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Božidar Smiljanić (Zoroastro) und Zanda Švēde (Orlando)
© Barbara Aumüller

Dorinda wird im weiteren Verlauf ihrer Zuneigung für diesen smarten Herrn entsagen. Die Sopranistin Monika Buczkowska gibt diese Schäferin brillant als Naturgirl mit einer Portion bodenständigen Humors und gewinnt dadurch in Spiel und Gesang wenigstens die Herzen des Publikums mühelos. „Das Meer der Liebe ist voller Klippen”, singt sie und tatsächlich umschifft Orlando diese nur mit Mühe. Vor allem Angelica bringt er dabei gehörig aus der Ruhe. Diese Rolle singt mit großartiger Stimmkultur und beeindruckendem Ausdruck Kateryna Kasper. In ihrer traumhaften rosa Robe wird sie zum eleganten Zentrum des Bühnengeschehens.

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Zanda Švēde (Orlando; liegend) und Tänzer*innen
© Barbara Aumüller

Nachdem der taumelnde Orlando sie und Medoro ermordet hat, tritt Zoroaster in der Not auf den Plan, erweckt das Paar wieder zum Leben und heilt den Ritter mit einem Elexir von seinem Wahn. Mit prächtigem Bassbariton gibt Božidar Smiljanić diesem modernen Zauberkünstler im gestreiften Anzug beeindruckendes Profil.

Nach dem allgemeinen Schlussjubel bleibt Orlando allein auf der Bühne zurück, nachdenklich und dem Publikum abgewandt. Welche Lehre er zieht, bleibt offen. Aber sein Ruhm als Beschützer lebt ja weiter. Und sei es als steinerner Roland vor dem Rathaus der Hansestadt Bremen.

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