Eine Johann-Strauß-Operette im Taschenformat: „Die Rache der Fledermaus“ in der Komischen Oper: herrliche Parodie und Hommage zugleich.

Alles anders. Alles entschlackt. Abgespeckt. Auf Sparflamme. Und doch, und gerade, ganz aufregend und neu. So hat man „Die Fledermaus“ von Johann Strauß noch nie erlebt. Kein üppiger Maskenball. Keine pompösen Kulissen. Keine Massen, die Walzer tanzen. Und kein Chor!

Ein paar Stühle und Sessel stehen auf der sonst leeren Bühne der Komischen Oper. Und 14 Damen und Herren, die uns die süffige Ouvertüre A-capella vorsingen. Als polyphoner Chor, der erst mal durcheinander singt. Da ist von Anfang klar: Hier ist nicht nur der Titel anders – der Abend heißt „Die Rache der Fledermaus“. Die Radikalkur ist Programm.

Die berühmte Strauß-Oper - komplett abgespeckt

Auf die Idee kam Regisseur Stefan Huber – der an der Komischen Oper schon die fast vergessenen Operetten „Clivia“ und „Roxy und ihr Wunderteam“ reanimiert hat –, als er „Die Fledermaus“ vor einigen Jahren in der Schweiz durchaus im üppig-gewohnten Plüsch und Pomp inszenierte. Zwei Wienerinnen beschwerten sich dennoch, dass die Sprüche fehlten, die zwar nicht im Originaltext standen, sich aber über die Jahre eingeschlichen hatten.

Das hat beim Regisseur eher künstlerisch-kreativen Trotz ausgelöst: Was, wenn man noch viel mehr weglassen, wenn man das Stück auf seinen inneren Kern reduzieren würde. Man muss den Wienerinnen also dankbar sein. Weil sie damit, wenn auch unbeabsichtigt, einen denkwürdigen Abend initiiert haben.

Von den 14 Ouvertürenden sind fünf Musiker: zwei Herren und das Frauen-Trio Zucchini Sistaz, die hernach auf ein Podium treten. Und sichtbar musizieren. Nur fünf statt 30 Musiker! Aber mit zahllosen Instrumenten. Keine Geigen zwar!. Aber dafür, was man sonst eher nicht hört bei Operetten, Gitarre, Ukulele, Jazztrompete, Trillerpfeife, Maultrommel. Das schnarrt. Das kratzt. Sorgt für ganz neuen Sound. In den sich auch mal angerissene Popsongs und Schlager einschleichen.

Lesen Sie auch:Opernszene im Umbruch: Aviel Cahn wird Intendant der Deutschen Oper

Sie sind die männlichen Parts der Geschwister Pfister: Hier aber spielen Tobias Bonn und Christoph Marti ein Ehepaar. Und Marti ringt seiner Sopranrolle guttural tiefe Töne à la Zarah Leander ab.
Sie sind die männlichen Parts der Geschwister Pfister: Hier aber spielen Tobias Bonn und Christoph Marti ein Ehepaar. Und Marti ringt seiner Sopranrolle guttural tiefe Töne à la Zarah Leander ab. © Michael Bigler

Vor dem Podest spielt sich die sattsam bekannte Komödie ab - die vermutlich jeder kennt, ist dies doch eine der erfolgreichsten und meistgespielten Wiener Operetten aus der Goldenen Zeit dieses Genres. Eine einzige Ansammlung von betrogenen Betrügern: der Lebemann Gabriel von Eisenstein, der für acht Tage ins Gefängnis muss, aber nicht gleich dahin geht, wie er seiner Gattin weismacht, sondern mit seinem besten Freund noch mal einen Abend mit fremden Frauen verlustieren will.

Gattin Rosalinde trauert ihm nicht hinterher. Sie wird auf denselben Maskenball des Prinzen Orlofsky gehen. Wie auch Adele, das Stubenmädchen der Eisensteins, das das ewige Bedienen satt hat und (im Kleid der Herrin) nach Höherem strebt. Auch der Gefängnisdirektor weilt unter den Gästen. Und alle unter falschen Identitäten. Erst viel Verstecken, dann viel Offenbarungen.

Ein Running Gag: „Nicht Singen!“ – „Singen ist gegen die Hausordnung“

Das war so die Art, wie man sich vor 150 Jahren amüsierte. Oder das gar als Kritik an der verkommenen Wiener Gesellschaft ansah. Bei all den Evergreens, die der Komponist da in nur 42 Nächten geschrieben haben soll - gerade das antiquierte Frauenbild und die ausgestellte toxische Männlichkeit vergällen heute den Spaß an der „Fledermaus“. Kann man das überhaupt noch ungebrochen spielen?

So aber geht’s. In dieser komprimierten Form ist sie Hommage, Parodie und Kritik zugleich. Und immer, wenn‘s zu melodienselig wird, ein Running Gag, scharf gekontert: „Nicht singen!“ „Was ist das denn für ein tenoriges Gedusel?“ Oder, in der letzten Szene, die im Gefängnis spielt: „Singen ist gegen die Hausordnung.“ Das auf einer Opernbühne zu hören, darf man schon doppelbödig nennen.

Lesen Sie auch: Stefan Kurt brilliert an der Komischen Oper in „La Cage aux Folles“

Der Publikumsliebling der Produktion: Stefan Kurt springt hier in viele Rollen auf einmal - und gibt nach der Pause auch den Pausenclown, mit einer herrlichen Nummer, die nichts mehr mit der Operette zu tun hat.
Der Publikumsliebling der Produktion: Stefan Kurt springt hier in viele Rollen auf einmal - und gibt nach der Pause auch den Pausenclown, mit einer herrlichen Nummer, die nichts mehr mit der Operette zu tun hat. © Marcus Lieberenz/Bildbühne

Die gehörnte Rosalinde ist hier übrigens die einzige, die eine Maske trägt. Masken hat man in drei Jahren Corona ja auch zur Genüge erlebt. Das Rollenspiel ist hier eher anderer Natur – geschlechterübergreifend. Schon bei seinen früheren Inszenierungen in der Komischen Oper hat Huber mit den Geschwistern Pfister gearbeitet. Tobias Bonn alias Toni Pfister gibt hier den feierwütigen Eisentstein, und Christoph Marti alias Ursli Pfister, der schon die Clivia spielte, ist nun Rosalinde und bringt den sonst hellen Sopran zu gutturalen Zarah-Leander-Tiefen.

Dafür wird Prinz Orlofsky nun von einer Frau gespielt: Stephanie Dietrich ist derzeit auch an der Neuköllner Oper in „Radioland“ in einer Hosenrolle zu sehen und ringt dieser Prinzenrolle ungewöhnlich spitze Töne ab. Der Star des Abends ist gleichwohl Gabriela Ryffel als hinreißendes Stubenmädchen Adele. Der Publikumsliebling aber ist Stefan Kurt, der auf dieser Bühne derzeit auch in „La Cage aux Folles“ Triumphe feiert, hier gleich in mehrere Rollen springt – und nach der Pause auch den Pausenclown gibt. Als Frosch mit einer herrlichen Einlage, die so gar nichts mehr mit Johann Strauß zu tun hat.

Ein großer Spaß – für Strauß-Fans, Strauß-Skeptiker – und Operetten-Einsteiger

Ein wundervoller Spaß. Wobei dieses Gastspiel aus Winterthur in seiner intimen Form auch auf eine kleinere Bühne wie der Bar jeder Vernunft gepasst hätte, wo einige der Darsteller ja auch zuhause sind. Eine Operette im Taschenformat! Das beweist: Sparmaßnahmen können doch was Gutes haben. Die sattsam bekannten Melodien jedenfalls klingen in dieser Bearbeitung berückend frisch. Und belohnt wird man auch, dass hier nicht, wie sonst oft, Sänger nur eitel an der Rampe stehen. Nein, hier wird richtig gespielt, wird dem Affen Zucker gegeben und herrlich übertrieben.

Diese „Rache der Fledermaus“ ist nicht nur ein Spaß für Strauß-Fans. Sondern gerade auch für die, für die diese Operette immer schon zu kitschig, bourgeois oder verstaubt war. Aber auch Menschen, die eher Berührungsängste mit dieser Bühnenform haben, könnten so zur Operette herangeführt werden. Das zeigte sich am Premierenabend am Freitag: Das waren mal nicht nur die üblichen Opernbesucher im Saal, die da frenetisch Beifall klatschten.

Komische Oper, Behrenstr. 55-57, Mitte. Kartentel.: 3047997400. Nächste Termine: 12., 17., 19., 20. Februar, 3. März.