1. Startseite
  2. Kultur

„Götterdämmerung“ in Stuttgart: Brauchen wir eine „Ring“-Pause?

KommentareDrucken

Patrick Zielke als Hagen mit dem Stuttgarter Staatsopernchor
Kein Dämon, sondern ein cooler, psychisch angeschlagener Bösewicht: Patrick Zielke als Hagen (li.) mit dem Stuttgarter Staatsopernchor in der Inszenierung von Marco Štorman. © matthias baus

Zwischen Endzeitspiel und ein Kessel Mythos: Stuttgart beendet mit der „Götterdämmerung“ seinen disparaten „Ring“. Und wirft damit grundsätzliche Fragen auf.

Einfach Vorhang zu. Pausieren, das Hirn freikriegen für neue Ideen, für neue Ansätze, wie man dem umfangreichsten, bedeutungsprallsten Opus der Musiktheatergeschichte Herr und Frau werden könnte. „Man sollte dieses Werk mal ruhen lassen, am besten weltweit.“ Sprach Klaus Zehelein vor elf Jahren, damals als Intendant der Bayerischen Theaterakademie. Und redete sich leicht: Um die Jahrtausendwende hatte der legendäre Theaterermöglicher als Intendant der Stuttgarter Oper die vielleicht letzte nennenswerte Innovation für Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ gezeigt. Jede der vier Opern von einem anderen Regisseur inszeniert, das war ein Crescendo furioso von Joachim Schlömer („Rheingold“) über Christof Nel („Walküre“) und Jossi Wieler/Sergio Morabito („Siegfried“) bis zu Peter Konwitschny („Götterdämmerung“).

Doch Zehelein blieb einsamer Wüstenrufer. Sich den „Ring“ ans Revers heften, als Großtat der eigenen Ära, diese Intendantenkrankheit grassiert weiterhin. Mit den bekannten Folgen von der verzweifelten Suche nach neuen Deutungswegen (die sich oft als Sackgassen entpuppen) bis zur Überlastung des Hauses. Ein Opernsystem im „Ring“-Krampf – zumal es nicht nur an Ideen mangelt, sondern auch an adäquaten Gesangskräften. Berlin, Dortmund, natürlich Bayreuth, sogar das Landestheater Niederbayern, das wären die aktuellen Anstrengungen, demnächst folgen Bayerische Staatsoper (mit Regisseur Tobias Kratzer) und Scala.

Für jede „Ring“-Oper ein anderes Regie-Team

Ein Totempfahl, Säulen à la Forum Romanum, der Altar einer Fünfzigerjahrekirche inklusive Neonröhren-Leuchter, die Arena eines Parlaments, dazwischen Volk in antiken Togen und über allem ein wucherndes Holzbündel als Rest der Weltesche: Der Zitatenverhau auf der aktuellen Stuttgarter Bühne passt ausgezeichnet zur Lage an der „Ring“-Front. Die „Götterdämmerung“ als Resterampe, als ein Kessel Mythos. Diese Saga, so suggeriert die Szenerie von Demian Wohler, ist an ein Ende gekommen. Im Finale, man ahnt es nach wenigen Spielminuten, wird alles entsorgt sein. Auch die Bilder von Sascha Schneider (1870-1927) mit ihren schwülen, schwülstigen Göttern und Helden, die einst zur Illustration von Karl-May-Büchern gedacht waren.

Die aktuelle Stuttgarter „Ring“-Idee köchelt bekanntlich Zeheleins Suppe auf. Jeder Teil ein anderer Regie-Ansatz (inklusive der Wiederbelebung von Wielers „Siegfried“), in der „Walküre“ durfte sogar pro Akt ein anderes Team ran, Letzteres mit besonders bedauerlichen Folgen. Was als Befreiung gedacht war, als Aufspüren neuer Sichtweisen ohne die Last, die gesamten 15 Stunden schultern zu müssen, funktioniert bei der schwäbischen Großtat nur bedingt.

Das Endzeitspiel, das Regisseur Marco Štorman nun für die „Götterdämmerung“ erdachte, wird immerhin mit jeder Minute Spieldauer konziser. Wie Zitate ihrer selbst bewegen sich hier die Figuren durch die disparate Welt. Es darf gelacht werden über den aufgekratzten Siegfried, der einer DDR-Fernsehshow entsprungen scheint. Auch Brünnhilde müht sich um Humor als Fallhöhe zum späteren Pathos. Aber am meisten interessiert eigentlich der Bösewicht.

Hagen ist bei Štorman ein Fall für die Psychocouch. Kein Dämon, sondern cooler, gemütlicher Mephisto, der sich in seinen schlechten Momenten als sein eigener Vater Alberich denkt – und zu Beginn des zweiten Akts, ein spannender Moment, gleich beide Rollen singt. Dem großartigen Patrick Zielke glückt singschauspielernd die dreidimensionalste Figur. Hagen wird fast zum Sympathieträger und in den letzten Opernsekunden unter der herniederfahrenden Weltesche begraben.

Brünnhilde und Siegfried überleben

So disparat wie die Zeichenhaftigkeit dieser Aufführung ist, so offen, nicht ganz zu Ende gedacht bleibt auch manche Figur. Für die Brünnhilde ist Štorman nicht furchtbar viel eingefallen. Christiane Libor bringt kein überpräsentes Soprangeschütz mit, singt nie forciert, riskiert auch Lyrismen. Siegfried bleibt munterer Springball, kein ernst zu nehmender Held – was Daniel Kirch sichtlich Spaß macht. Konditionell kommt er gut durch, sein gedeckter Tenor ist Geschmackssache. Ernst und schwarz wird es, als der Held und sein neuer Blutsbruder Gunther (Shigeo Ishino) in dunkelrosa Mao-Anzügen die verratene Brünnhilde in die Ecke treiben. Immer wieder sind das szenische Verdichtungen, die den ganzen Abend nur bedingt tragen.

Bei Generalmusikdirektor Cornelius Meister spürt man den engen Kontakt zum eigenen Stuttgarter Staatsorchester – im vergangenen Sommer gab es bekanntlich auch Unmut für sein Bayreuther „Ring“-Dirigat. Dass er sich viele Gedanken um Details und Übergänge macht, hört man. Stringent ist das nicht unbedingt und oft rein symphonisch empfunden: Sängerinnen und Sänger kämpfen da auf verlorenem Posten und werden zur Vokalbeilage. So klangbewusst und kraftvoll vieles entwickelt wird, so musikalisch blass bleibt ausgerechnet der Schluss.

Da schwingt sich Brünnhilde zu Siegfried auf ein hereingefahrenes Einhorn, um als eigener Mythos zu überleben. Eine hintergründige Pointe. Doch als Kinder mit Taschenlampen in den letzten Takten den unheilvollen Ring entdecken, wegwerfen und nach einem Ausweg suchen, schmeckt das wieder schal: Alles schon mal da gewesen. Wagners „Ring“ also auserzählt? Womöglich bleibt nur die konzertante Lösung, auf dass sich jeder seiner persönlichen Bilderflut aussetzt. So wie es in Bayreuth 2026, zum 150. Geburtstag der Festspiele, aus finanziellen Gründen drohen könnte. Aber das ist eine andere, eine schlimme Geschichte.

Auch interessant

Kommentare

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wir erweitern den Kommentarbereich um viele neue Funktionen. Während des Umbaus ist der Kommentarbereich leider vorübergehend geschlossen. Aber keine Sorge: In Kürze geht es wieder los – mit mehr Komfort und spannenden Diskussionen. Sie können sich aber jetzt schon auf unserer Seite mit unserem Login-Service USER.ID kostenlos registrieren, um demnächst die neue Kommentarfunktion zu nutzen.

Bis dahin bitten wir um etwas Geduld.
Danke für Ihr Verständnis!