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„Francesca da Rimini“ an der Oper Frankfurt: Das unglücklichste Ehepaar der Welt

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Francesca zwischen dem ungeliebten Lanciotto (r.) und dem Vater, dem das alles sehr leidtut Foto: Barbara Aumüller
Francesca zwischen dem ungeliebten Lanciotto (r.) und dem Vater, dem das alles sehr leidtut. © Barbara Aumüller

Verzweiflung, Qual, der nächste Wutanfall: Saverio Mercadantes sehr selten gespielte „Francesca da Rimini“ an der Oper Frankfurt.

Da die Musik weiterspielt, kann sich die Oper mehr Stillstand erlauben als manche andere Kunstform. Auch Determinismus gehört dazu, nach wenigen Takten der Ouvertüre von „La Traviata“ wird kaum noch jemand annehmen, dass Violetta Valéry den Abend überleben könnte. Ohne tiefes Ach und Weh wäre eine Oper nicht schön.

Man tut aber nicht nur an dieser Stelle gut daran, die Oper und das Leben nicht zu verwechseln, erstens. Zweitens kann die Oper es auch überspannen, das gesungene Leid, und ausgerechnet den perfekt proportionierten „Rigoletto“ traf unter älteren Verwandten einst das Verdikt, Gilda jammere zu lange in ihrem Sack. Das ist eine Aussage, die nicht auf der Höhe der Situation ist, und letztlich vor allem demonstriert, wie hartgesotten das Abopublikum früher war. Und wie klein das Repertoire der Opernhäuser.

Denn wer glaubt, Gilda brauche zu lang, der kennt Francesca nicht, seinerzeit ein beliebter Opernstoff: Liebesleid, Jammer, Tod, und dies über einen langen Abend gestreckt. Bekannter ist Riccardo Zandonais „Francesca da Rimini“ von 1914, die beispielsweise die Deutsche Oper Berlin im Lockdown als Streamingpremiere herausbrachte (die Bühnenpremiere von Christof Loys Inszenierung ist nun für Mai angekündigt). In der Versenkung hingegen verschwand Saverio Mercadantes gleichnamige Oper, wie auch der Komponist heute kaum noch ein Begriff ist. 1830/31 als Auftragsarbeit entstanden, kam sie erst 2016 zur Uraufführung. Man hört eine Knapp-vor-Verdi-Musik, mit Bellini-Belcanto und gelegentlichem Rossini-Schwung.

Mercadante (1795-1870) war ein bekannter Mann in der italienischsprachigen Musikszene, „Francesca da Rimini“ sollte anlässlich einer königlichen Hochzeitsfeier seinen Ruhm in Madrid befördern. Es ist, wenn man darüber nachdenkt, immer wieder kurios, dass ausgerechnet die unglücklichste Ehe aller Zeiten für einen solchen Anlass vertont wurde, andererseits birgt die Geschichte auch eine der großen isoldenesken Liebesgeschichten.

Francesca da Rimini ist eine historische Figur, aber wie so oft musste erst Dante darüber schreiben, damit ihr die Prominenz zuteilwurde, die sie verdient. Dante trifft sie und ihren Geliebten Paolo in der Hölle, wo sie bündig berichtet, dass sie und Paolo sich bei der gemeinsamen „Lanzelot“-Lektüre näher und noch näher kamen. „Ein Kuppler war das Buch, und der’s verfasste – An jenem Tage lasen wir nicht mehr“. An jenem Tage lasen sie nicht mehr, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.

Giovanni Boccaccio lieferte später entscheidende Informationen nach, die auch den Opernlibretti ihr Fundament gibt: Das ehebrüchige Paar ist ein Spielball der Familien – damit die schöne Francesca den hässlichen Bruder Paolos heiratet, wird der hübsche junge Mann vorgeschickt und der Eindruck vermittelt, er sei der vorgesehene Bräutigam. Erst im Ehebett, es ist ungeheuerlich, soll Francesca den Betrug begriffen haben. Als hätte Sophie von Faninal versehentlich den Ochs von Lerchenau geheiratet, nein, schlimmer.

Entscheidend jedenfalls, dass dem Ehebruch die legitime Liebe vorausgegangen ist, wie Don Carlo einst seiner späteren Stiefmutter Elisabeth versprochen war. Die Ehepartner werden betrogen, aber schwerer wiegt, dass zuvor die Liebe selbst betrogen worden ist. Das nimmt sie übel, da kennt sie nichts, da kommt man nicht mehr raus. Mercadantes Oper zieht daraus ihre finstere Unruhe: Francesca und Lanciotto sind das unglücklichste Ehepaar der Welt, die Freudlosigkeit zehrt die Lebenskräfte auf, und Johannes Leiackers Bühne für Hans Walter Richters Inszenierung im Frankfurter Opernhaus wird das Bett nie los, in dem Francesca schläft, Romane liest und leidet.

„Francesca da Rimini“ ist in dieser extrem produktiven Frankfurter Opernsaison eine Frucht von Bernd Loebes Doppelrolle als Frankfurter und Erler Intendant – bei den dortigen Tiroler Festspielen war im Dezember Premiere, der Abend wirkte erstaunlicherweise kompakter und spannender. Dass man die gewaltige schwarze Spiegelfläche von Leiackers Bühne zumindest vorne im Parkett nicht sehen kann, mag ein Nachteil sein. Die geschmackvolle Bühne verliert dadurch, selbst wenn sich der weiße, nachher schwarze Bühnenkasten hinten öffnet und den Blick auf einen Nachbau von Caspar David Friedrichs „Abtei im Eichwald“ freigibt (wo Tänzer und eine Tänzerin die Hauptfiguren irrlichternd doppeln). Aber vor allem nimmt die Musik selbst, hier nun unter der Leitung von Ramón Tebar, weniger Fahrt auf, als ihr gut tut. Das Elegische und die ganze Zerquältheit der unglücklichen Figuren ergibt sich schon von selbst, das leicht Breiige und Unentschlossene, das sich in der Premiere zum Teil hören ließ und mit Koordinationsproblemen zwischen Chor und Orchestergraben verband, bekommt ihr nicht.

Ja, sie sind wirklich sehr, sehr unglücklich, auch ist das Unglück bereits geschehen, die falsche Ehe geschlossen. Nur Lanciotto, der Unglückswurm, steht noch auf dem Schlauch und begreift erst nach und nach, wie umfassend ihn seine Frau nicht liebt – einen Verräter braucht es, damit er begreift, dass sein eigener Bruder der Rivale ist. Es hat etwas Charakteristisches für die Oper wie für die Inszenierung, dass der fiese Denunziant zwar der ganzen Zeit auf der Bühne herumscharwenzelt – Brian Michael Moore tut, was man nur tun kann, wenn man an sich wenig zu singen hat –, aber für das Drama letztlich unwesentlich ist.

Denn dafür reicht ein fatales Viereck: Jessica Pratt in Schneeweiß und (höchst widerwillig) Rosenrot (Kostüme: Raphaela Rose) ist Francesca, eine Partie in Daueraufregung, mit brutalen Spitzentönen. Pratt kann das, es ist imposant, es ist sportiv, es ist eigentlich schon nicht mehr schön. Theo Lebow ist der rasende Lanciotto, der von einem Wut- und Verzweiflungsanfall in den nächsten taumelt, der helle Wahnsinn auch dies. Lebows Tenor muss seine ganze Strapazierfähigkeit und Beweglichkeit aufbieten, und er hat eine Menge davon. Beide sind Paradebeispiele für den von Mercadante dem reinen Belcanto gegenübergestellten „Canto dramatico“.

Von anderer Natur hingegen die Partie Paolos, unerwarteter-, aber reizvollerweise eine Hosenrolle, zudem ist der junge Mann / die wunderbare Kelsey Lauritano recht gefasst und singt verhältnismäßig mild und schön. Lauritanos Mezzo ist ein Labsal im Getümmel. Der vierte Unglücksrabe ist Francescas Vater, der Mann, der dachte, seine Tochter werde das schon verkraften: Erik van Heyningen bietet einen kultivierten Bariton, szenisch bleibt er blass. Gewissermaßen wird er – obwohl doch Hauptverursacher des Dramas – dem stark aufgewerteten Chor (unter der Leitung von Tilman Michael) zugeordnet: Menschen, die zuschauen, die buchstäblich mitleiden, die zur Untätigkeit verdammt sind.

Und wer etwas tun könnte – im schlimmsten Fall: Hand an sich legen – zögert gleichfalls Stunde um Stunde. Als Gift und Dolch ins Spiel kommen, zaudert Paolo, was er nehmen soll, traut sich nicht, es ist rührend. Als es zu spät ist, greift der Vater noch kriegerisch ein, um die Tochter zu retten. Es ist seit je das Timing, das ein Drama zur Tragödie macht.

Das Publikum respektvoll und am Ende wohl ein wenig erschöpft. Vereinzelte Buhs für die Regie, die sich aber nicht recht erklären lassen. Vielleicht nimmt der Abend insgesamt im Laufe der Serie noch etwas mehr Schwung auf.

Oper Frankfurt: 5., 11., 15., 18., 25. März, 2., 8. April. www.oper-frankfurt.de

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