Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
FULMINANTES HAUSDEBÜT VON ANNETTE DASCH - "Katja Kabanowa" von Leos Janacek in der Staatsoper/STUTTGARTFULMINANTES HAUSDEBÜT VON ANNETTE DASCH - "Katja Kabanowa" von Leos Janacek ...FULMINANTES HAUSDEBÜT...

FULMINANTES HAUSDEBÜT VON ANNETTE DASCH - "Katja Kabanowa" von Leos Janacek in der Staatsoper/STUTTGART

am 2. März 2023

In der subtilen Inszenierung von Jossi Wieler und Sergio Morabito (Bühne: Bert Neumann; Kostüme: Nina von Mechow) kommt es zu einer szenischen Verdichtung auf engstem Raum. Ostrowskijs Schauspiel, das der Oper von Janacek zugrunde liegt, zeigt ein starkes Spannungsverhältnis zwischen Katja und ihrer Umgebung. Dieser Klassiker der russischen Bühne wird dabei mit Janaceks schroffer Musik wirkungsvoll konfrontiert.

 

Copyright: Martin Sigmund

Aus der Kirche kommt die Kabanicha mit ihrem Sohn Tichon und ihrer Schwiegertochter Katja. Jossi Wieler und Sergio Morabito zeigen dabei immer wieder Bruchstücke einer religiösen Prozession, es kommt auch zu starken Regenfällen. Die Dunkelheit und Tristesse des Geschehens sticht hervor. Man sieht die Menschen an einem Grenzzaun, der den mit schwarzen Vorhängen behängten Hintergrund fast verschließt. Die herrische Alte veranlasst den willensschwachen Tichon, für zwei Wochen zum Markt nach Kasan zu reisen.

Dann schiebt sich eine Wohnung vor den Grenzzaun. Es kommt zu einer geheimnisvollen Verwandlung. Im Hause Kabanoff spricht Katja mit Warwara von ihren Träumen. Sie gesteht ihr, einen anderen Mann zu lieben. Tichon ist zur Abreise gekommen und richtet harte Worte gegen Katja. Die Mutter demütigt ihre Schwiegertochter. Dabei kommt es zu einer dramatischen Zuspitzung, die einer der Höhepunkte dieser Inszenierung ist. Warwara, die sich heimlich auf der Empore mit Kudrjasch trifft, rät Katja, mit Boris ebenso zu verfahren. Gleichzeitig trifft Katja in leidenschaftlicher Weise mit Boris zusammen.

Im dritten Akt steht das Gewitter in unheimlicher Deutlichkeit im Zentrum des Geschehens. Als Katja dem zurückgekehrten Tichon gegenübersteht, wird sie vom Sturm der Elemente so tief ergriffen, dass sie ihm auf den Knien gesteht, ihn mit Boris betrogen zu haben.  Das dramatische Geschehen verdichtet sich hier nochmals und hinterlässt eine elektrisierende Wirkung. Die Kabanicha fordert für Katja strengste Bestrafung. Warwara und Kudrjasch entziehen sich ihrem Zorn durch Flucht. Katja leidet sehr unter ihren Gewissensqualen und sehnt sich nach einem tröstlichen Wort von  Boris. Doch er sagt ihr nur, dass er zu einer weiteren Geschäftsreise nach Sibirien aufbrechen müsse. Mit ihrer Verzweiflung allein, sucht Katja den Tod in der Wolga. Sie verschwindet im schwarzen Bühnenhintergrund. Tichon klagt seine Mutter des Mordes an seiner Frau an und bricht über der Leiche zusammen.  

Neben alptraumhaften mittelalterlichen Bildsequenzen besticht diese Inszenierung vor allem durch ihre suggestive Personenführung. Alle Figuren sind so auf geheimnisvolle Weise miteinander verbunden. Das Staatsorchester Stuttgart vermag unter der einfühlsamen Leitung von Tito Ceccherini den magischen Naturklang der Tonsprache Janaceks in hervorragender Weise einzufangen. Das lyrisch reine Gefühl der Melodik überträgt sich hier beglückend auch auf die Singstimmen, wo insbesondere die kurzfristig eingesprungene Sopranistin Annette Dasch als Katja überzeugt. Sie kann der unverhüllten Erregung  ihres Liebesgeständnisses eine erstaunliche Präzision verleihen.

Es kommt zu keiner harmonischen Aufsplitterung, weil der Komponist ja auch auf leitthematische Zusammenhänge weitgehend verzichtet. Doch der dramatische Unterstrom der Musik kommt in ausgezeichneter Weise zur Geltung, überträgt sich auch auf die anderen Singstimmen. Davon kann Elmar Gilbertsson als Boris ebenso profitieren wie Rainer Trost als zuletzt verzweifelter Tichon. Vor allem bei den großen Chorszenen am Schluss kommt eine gewaltige Bewegungskraft ins Bühnenbild, die Gegenstände bewegen sich, das visuelle Geschehen verändert sich. Das hat fast eine gespenstische Wirkungskraft. Und es ist das stärkste Bild dieser eher schlichten Inszenierung.


Der Staatsopernchor (Einstudierung: Bernhard Moncado) bietet dabei eine exzellente Leistung. Seelen- und Naturstimmungen fließen ineinander über, geben auch den anderen Sängern starkes Profil und Leuchtkraft. Maria Riccarda Wesseling als Kaufmannswitwe Kabanicha (Kabanova) und Patrick Zielke als Kaufmann Dikoj liefern hier eindrucksvolle Charakterporträts. Kai Kluge als Kudrjasch, Ida Ränzlöv als  Pflegetochter Warwara sowie  Torsten Hofmann als Kuligin, Lehrer, Chemiker und Mechaniker ergänzen den gesanglichen Reigen stimmungsvoll. Die reizvolle Harmonik blüht bei dieser Wiedergabe geradezu auf.

Insbesondere den langsamen und ruhigen Beginn der Oper fängt der Dirigent Tito Ceccherini mit dem Staatsorchester Stuttgart wirkungsvoll ein. Dann bricht die Melodie ab und es kommt zu einem leidenschaflichen Aufruhr, der dynamisch sehr transparent gestaltet wird. Vor allem die Sänger können sich dabei gut entfalten. Insbesondere die thematische Intensität dieser Oper kommt dank Annette Dasch ausgesprochen eindrucksvoll zum Vorschein. Ihr Monolog steht im Gegensatz zu "Jenufa", ihre Einsicht führt sie in den Tod.

Nicht nur im dritten Akt sind alte Fresken erkennbar,  man denkt an das ewige Feuer in Gehenna. Göttliche Vergeltung wird mit Sforzando-Einsätzen der Hörner und Posaunen illustriert. Deutlich wird auch, dass hier ein Motiv in zwei gegensätzlichen Versionen das Geschehen beherrscht. Der Klangfarbenreichtum des Werkes wird gerade bei Katjas Szenen einfühlsam in Streicher- und Holzbläsertönen unterstrichen. Und auch die Liebesmusik des zweiten Aktes gelingt sehr unmittelbar und emotional. Holzbläser und Bratschen musizieren über einem bedrohlichen Orgelpunkt. Katja erliegt völlig der Hypnose, sie liegt mit dem Rücken auf dem Boden, bevor sie in den Fluss springt. Und die Solo-Oboe nimmt die Melodie von Tichons Trauer berührend auf.

Die Transformationen eines Themas in ein anderes gelingen hier mit großer Intensität. Und das bewegend-bestürzende Prestissimo-Ostinato mit Blechpassage und Paukenwirbel am Schluss betont die Grausamkeit des Geschehens fast abrupt. Für das gesamte Ensemble gab es begeisterten Schlussapplaus - insbesondere für Annette Dasch, die als Katja ihr Hausdebüt an der Staatsoper Stuttgart gab.  
 

 

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 27 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

BESEELUNG MECHANISCHER BEWEGUNGEN -- Les Ballets de Monte-Carlo im Forum am Schlosspark Ludwigsburg

Les Ballets de Monte-Carlo gastierte mit Jean-Christophe Maillots "Coppel-I.A." in Ludwigsburg. Die Uraufführung fand 2019 im Grimaldi Forum in Monaco statt. Die Geschichte von Leo Delibes'…

Von: ALEXANDER WALTHER

REIF UND ABGEKLÄRT -- Stuttgarter Philharmoniker mit Mozart und Bruckner in der Liederhalle STUTTGART

Leider fand die konzertante Aufführung von Puccinis "Madame Butterfly" aufgrund der Erkrankung des Chefdirigenten Dan Ettinger nicht statt. Es gab eine Programmänderung. Gleich zu Beginn faszinierte…

Von: ALEXANDER WALTHER

DIE SONNE ALS EINHEIT -- "Sonne/Luft" von Elfriede Jelinek im Kammertheater Stuttgart

Sonne und Luft stehen im Mittelpunkt dieses vielschichtigen Stücks von Elfriede Jelinek, das den Irrungen und Wirrungen des Menschen nachgeht. Der Umgang mit der Umwelt und dem Klimawandel spielt in…

Von: ALEXANDER WALTHER

ERGREIFEND UND TIEFGRÜNDIG -- Bach-Kantaten mit der Gaechinger Cantorey im Forum am Schlosspark Ludwigsburg

Das vorletzte Konzert der Reihe "Vision Bach" stand unter dem Motto "Zum Himmel wandern". Unter der inspirierenden Leitung von Hans-Christoph Rademann musizierte die Gaechinger Cantorey zunächst die…

Von: ALEXANDER WALTHER

EIN HAUCH VON RENAISSANCE -- "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" von Kurt Weill und Bertolt Brecht in der Staatsoper STUTTGART

Die Inszenierung von Ulrike Schwab wartet mit einer Überraschung auf, denn das "Jüngste Gericht" von Michelangelo ist Teil des einfallsreichen Bühnenbildes von Pia Dederichs und Lena Schmid. Die…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑