Regisseur Kirill Serebrennikov verlegt Mozarts „Cosi fan tutte“ an der Komischen Oper ins Fitnessstudio.

Regisseur Kirill Serebrennikov hat sich als sein eigener Bühnenbildner für Mozarts „Cosi fan tutte“ an der Komischen Oper eine gedoppelte Bühne eingerichtet. Während zur keck gespielten Ouvertüre in der oberen Etage schicke Mädels Yoga machen, stemmen junge Kerle unten Gewichte und prügeln auf einen Boxdummy ein. Männer und Frauen leben in unterschiedlichen Sphären, aber keinesfalls mehr wie beim Hofdichter da Ponte in Neapel am Ende des 18. Jahrhunderts, sondern in einem Fitnessstudio. Darin ist viel Eitelkeit und Gefühllosigkeit unterwegs. Die witzige wie tiefgründige Inszenierung, das von Katharina Müller dirigierte Orchester und das wunderbar harmonierende Sängerensemble sahen sich bei der Premiere zu Recht bejubelt, ein Buhrufer für den Regisseur machte darauf aufmerksam, dass etwas nicht stimmig war.

Im Hausarrest in Russland entwarf der Regisseur seine Inszenierung

Unter Widrigkeiten hatte Serebrennikov seine Inszenierung 2018 am Opernhaus Zürich entworfen, damals saß er in Russland im zweijährigen Hausarrest fest. Sein Choreograph Evgeny Kulagin leitete die Proben im Westen, über seinen Anwalt konnte der Regisseur mit Videobotschaften die Arbeit voranbringen. In Berlin nun legte er selber Hand an und stellte sich am Sonnabend leibhaftig dem Schlussjubel und dem leidenschaftlichen Buhrufer entgegen.

Dabei bringt der Regisseur sein Publikum immer wieder zum Lachen oder zumindest zum Glucksen. Während der eine die Treue seiner Freundin beschwört, ist im Hintergrund die Toilettenspülung des Liebhabers zu hören. Während die eine unterm Kreuz am Fremdgehen zweifelt, stößt die andere in der oberen Etage im Bett bereits einen Lustschrei aus. Serebrennikov bricht mit einer Aufführungstradition. Bei Mozart prüfen Ferrando und Guglielmo die Treue, indem sie als Fremde verkleidet und über Kreuz zu ihren Verlobten zurückkehren.

Aus Mozarts Operntitel „Così fan tutte“ (übersetzt etwa: So machen es alles Frauen) wird in der Komischen Oper im Finale ein Cosi fan tutti (So machen es alle Menschen).
Aus Mozarts Operntitel „Così fan tutte“ (übersetzt etwa: So machen es alles Frauen) wird in der Komischen Oper im Finale ein Cosi fan tutti (So machen es alle Menschen). © Monika Rittershaus

Dieses Bäumchen-wechsel-dich-Spiel der beiden jungen Paare fällt jetzt aus, stattdessen schickt der Regisseur die beiden Männer-Models Amer El-Erwadi und Goran Jurenec als von außen kommende Verführer Sempronio und Tizio ins Rennen. Bei Mozart soll es sich bei den Fremden um zwei Albaner handeln, bei Serebrennikov erscheinen zwei Araber im Kostüm. Es ist schon komisch, wenn sich die Beiden wie bei der WM in Katar vorm Fernseher fläzen und Fußball schauen.

Serebrennikov lässt die beiden stumm agierenden Araber als aufdringliche Rüpel und Fleischfresser vorführen. Die beiden Frauen sind zunächst abgestoßen. Aber die beiden halbnackten Waschbrett-Bauch- und Muskelmänner wecken schließlich Gelüste. Es führt am Ende in eine orientalisch-bunte Hochzeitsvorbereitung hinein. Der Handlungsstrang ist originell, geht aber nicht auf.

Der Ukraine-Krieg ragt auf bedrückende Weise in die Inszenierung hinein, denn bei Mozart gaukeln die beiden Männer vor, in den Krieg ziehen zu müssen. Das ist in der Oper eher putzig und verklärend angelegt. Serebrennikov setzt eingespielte Filmsequenzen dagegen und nimmt das Sterben der beiden jungen Männer im Krieg voraus. Die beiden trauernden Frauen tragen die Urnen mit sich durch die Handlung, die beiden Männer sind oft wie Geister unsichtbar dabei.

Reale Situationen wechseln sich mit der Flucht in virtuelle Gegenwelten ab

Überhaupt nutzt Serebrennikov die gedoppelte Bühne, um seine Weltsicht als ein großes Wimmelbild des Innenlebens der Menschen vorzuführen. Es ist komplex und chaotisch. Reale Situationen wechseln sich mit der Flucht in virtuelle Welten ab, wenn etwa Fitnessstudio-Freund Alfonso ein Kriegsspiel auf dem Computer durchzieht. Auf der Wand wird zwischendurch ein Chatverlauf vom Handy eingeblendet. Man macht mal schnell Schluss. Selfies künden hingegen vom Glück des Miteinanders. Andererseits werden Frauenproteste vorgeführt und feministische Parolen wie „My Pussy, My Rules!“ (Meine Muschi, meine Regeln!) eingeblendet.

Der Regisseur hat offenkundig wenig Sympathie für Testosteron-Maschinen, sein Herz gehört den singenden Frauen. Zumindest darin stimmt er mit Mozart überein. Serebrennikov rückt schon die Fiordiligi von Nadja Machantaf in den Mittelpunkt. In der Sopranistin des Hauses hat er eine großartige Darstellerin gefunden, denn sie kann die ganze Gefühlsbreite der zaudernden Fiordiligi aussingen, wobei die Koloraturen gelingen, es in der Tiefe etwas grummelt. Ebenso bezaubernd präsentiert sich Susan Zarrabi als vergnügungssüchtigere Dorabella.

Die homogene, spielfreudige Sängertruppe führt in dieser Mozart-Neuproduktion wieder einmal vor, was den großen Reiz der Komischen Oper ausmacht. Es ist das Miteinander, alle Handelnden möglichst lebensecht auf die Bühne zu bringen. Mit seinem schön geführten Tenor überzeugt Caspar Singh als Dorabellas Verlobter Ferrando, Hubert Zapior ist als Guglielmo sonor unterwegs. Günter Papendell als Don Alfonso und Alma Sadé als Despina sind als abgeklärte Drahtzieher im Spiel. Katharina Müller führt am Pult das Sängerensemble behutsam und gekonnt abgestimmt durch die Oper, der Musik fehlt es – was leider zur russisch-dystopischen Regie passt – an Zärtlichkeit und den Glauben, dass es verwirrte Herzen geben kann.

Komische Oper, Behrenstr. 55-57, Mitte. Tel. 47997400 Termine: 24.3.; 10., 20., 30.4.; 18.5.