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Opern-Kritik: Deutsche Oper Berlin – Arabella

Laut, lustfrei, lehrreich

(Berlin, 18.3.2022) Eine Strauss-Völlerei mit Sachertorte, Dresdner Stollen und ganz viel Schlagsahne: Hamburgs designiertem Intendant Tobias Kratzer fehlt diesmal der genialische Regie-Dreh. Und GMD Sir Donald Runnicles lichtet den dumpfen Prunk des Orchesters der Deutschen Oper Berlin nur momentweise.

vonRoland H. Dippel,

Etwas aus der Zeit gefallen war das Frauenideal, was sich Hugo von Hofmannsthal in seinem letzten Textbuch für Richard Strauss ausgedacht hatte, schon in den letzten Jahren der Weimarer Republik. Fast fertig war die Partitur zur NS-Machtübernahme vor der Uraufführung 1933. Was für eine perfide Konstellation: Verse wie „Und du wirst mein Gebieter sein“ von den Lippen der Wiener Komtess Arabella zum finanziell potenten und heiratswilligen Gutsherren Mandryka aus Slowenien sind eine schwere Bürde für die Regie, gerade weil sie von Strauss besonders textverständlich und mit ungebrochenem Folklore-Bezug komponiert wurden.

Daran gibt es kein Rütteln: Diese Musik nimmt Arabellas Subordination voll ernst. Deshalb halten Operndirektionen seit Einzug der Genderreformen gegenüber Strauss‘ zehnter Oper etwas Abstand. Verständlicherweise. Aber Hamburgs designierter Opernintendant Tobias Kratzer traute sich und eröffnete mit dieser „lyrischen Komödie“ seinen dreiteiligen Strauss-Zyklus für die Deutsche Oper Berlin. Das Label Naxos zieht mit und zeichnet auf.

Enttäuschtes Publikum

Zur Saalschlacht reichte die Publikumsverbitterung nicht, beim Erscheinen von GMD Sir Donald Runnicles flaute auch der Beifall deutlich ab. Schuld ist das aktuell queer-freundliche Gesellschaftsklima und die am Ende dazu passende Flagge in pink-blau-weiß auf der Bühne. Aber auch musikalisch raffte sich der Abend nicht zu erwartbarer Höhe auf. Die Besetzung war fast im Gefälle des vom Regisseur den Figuren zugeordneten Sympathiepotenzials. Genial in Stimme und Spiel agierte Elena Tsallagova als in Livree gesteckte und emotional eindeutig kompetentere Schwester Arabellas. Diese Zdenka hob die Regie am Ende zu Recht auf die Gold-Position des Gender-Podestes. Mit ritterlichen Tenor-Strahlen wertete Robert Watson den Zdenka zugewiesenen und minimal hysterischen Offizier Matteo zum idealen Mann der Gegenwart auf.

Szenenbild aus „Arabella“ ab der Deutschen Oper Berlin
Szenenbild aus „Arabella“ ab der Deutschen Oper Berlin

Doris Soffel singt noch immer stark und genießt es als Mutter Adelaide, Arabellas abgewiesenen Verehrer Dominik (Kyle Miller) an die Hundeleine zu nehmen. Sara Jakubiak, die für Gabriela Scherer einsprang, lieferte in der Titelpartie den zeitkorrekt desillusionierenden Abschied vom Arabella-Silberklang vormoderner Zeiten. Russell Brauns etwas toxischer Mandryka erfuhr stimmliche Milderung durch eine leichte Indisposition. Sonderpreis für die besten Nebenpartien: Hye-Young Moon als Fiakermilli, die dank der beibehaltenen Dresdner Fassung mit der Pause zwischen zweitem und drittem Akt ein paar wertvolle Koloraturen mehr hatte, und Thomas Blondelle als Arabellas Verehrer Elemer mit den wilden Rappen. Die Spielsucht des Grafen Waldner änderte nichts an Albert Pesendorfers nobler Haltung für diese Charakterpartie.

Korsett, Smartphone, Blumen

Tobias Kratzers gute Idee: Wenn einem Strauss‘ Verbrämung der ersten Wiener Sissi-Jahre und deren Erfolg im „Dritten Reich“ nicht passt, betreibt man Zeitflucht. So wurde der Fiakerball im zweiten Akt zu einer flotten Revue für vier Tanzpaare, Solisten und den wenig singenden, aber prachtvoll agierenden DOB-Chor. Für diese 15-Minuten-Sequenz lichtete Runnicles den in den Rahmenakten doch recht schweren Grundton, den zu sämigen Fluss und die dumpfe Prunk des Orchesters der Deutschen Oper Berlin in angemessener Leichtigkeit für das von Strauss als Fortsetzung des „Rosenkavalier“ projektierten Stücks.

Szenenbild aus „Arabella“ ab der Deutschen Oper Berlin
Szenenbild aus „Arabella“ ab der Deutschen Oper Berlin

Beim Walzer-Abschied von Flirt-Kumpel Lamoral (Tyler Zimmerman) trägt Arabella Zigarettenspitze und Charleston-Kleid. Dann qualmt es hinten und räumen Nazi-Schergen flüchtig auf. Auch die Petticoats sind schnell weg. An der Rampe wälzt sich in höchster Erregung ein Männerpaar, wenn‘s bei Strauss ein bisschen atonal wird. Und schon sind wir dann bei der Socialmedia- und Körper-Bubble im 21. Jahrhundert, wo alle via Smartphone und genderkorrektes Kuscheln miteinander vernetzt sind. Das Ende gerät schwarzweiß: Zdenka und Matteo werden inthronisiert als ideales Paar der utopischen Zukunft, während Arabella und Mandryka anstelle des Glas- und Wasserrituals bei Hofmannsthal sich mit Wasserbespritzungen von der Bühne trollen. Das erboste viele.

Rahmenakte mit Sinnkrisen

Tieferer Grund für die Ablehnung war aber, dass Kratzer enttäuschte. Als Ausgangspunkt für Strauss‘ und Hofmannsthals Handlung konnte er diesmal keinen wirklich ernstzunehmenden Gegeneinfall entwickeln. Der erste Akt spielt also in einem Studio, wo zwei Zimmer für eine „Arabella“-Verfilmung aufgebaut wurden. Dunkles Holz, Damast-Tapete und Stoffblumen in üppigen Vasen. Rainer Sellmaier wütete im Material, als handle es sich um die TV-Ausstattung für eine Anneliese-Rothenberger-Show oder das Quiz „Erkennen Sie die Melodie“ vor 50 Jahren.

Szenenbild aus „Arabella“ ab der Deutschen Oper Berlin
Szenenbild aus „Arabella“ ab der Deutschen Oper Berlin

Drei Kamera-Girls sind am Start. Was sie aufzeichnen, sieht man auf einer Leinwand in Schwarzweiß mit entsprechender Vergrößerungsdramaturgie: Viel Geld wandert vom Brautkäufer-Bräutigam Mandryka in die Hände des Tochter-Mädchenhändlers Waldner. Tournüren und Kavaliersstöcke feiern im Set der gedeckten Farben Triumphe. Und Sara Jakubiak liefert als Arabella karikierte Gesten zwischen Provinz-Diva und Dauermigräne. Doch damit geißelt Kratzer nicht nur das Flair, sondern er beschädigt auch die schon durch Hofmannsthal eine Nuance zu zickig geratene Figur. Die Musik verliert bei dieser karikierenden Antipathie ihren hohlen Zauber.

Deshalb hat schon der erste Akt einen schalen Beigeschmack, den Kratzers intelligente Zeitreise im zweiten und die etwas zu didaktische Gender-Lehrstunde im dritten Akt nicht mehr zerstreuen können. Vielleicht sollte man für Strauss‘ „Arabella“ tatsächlich eine mittelfristige Aufführungsbremse einsetzen, bis wieder bessere Zeiten für sentimentale Zweisamkeits- und Ausschließlichkeitsromantik kommen. Mit wenigen Ausnahmen glich dieser Abend einer Völlerei mit Sachertorte, Dresdner Stollen und ganz viel Schlagsahne.

Deutsche Oper Berlin
Strauss: Arabella

Sir Donald Runnicles (Leitung), Tobias Kratzer (Regie), Rainer Sellmaier (Bühne & Kostüme), Jeroen Verbruggen (Choreografie), Stefan Woinke (Licht), Jonas Dahl & Manuel Braun (Video), Jeremy Bines (Chöre), Bettina Bartz (Dramaturgie), Albert Pesendorfer, Doris Soffel, Sara Jakubiak/Gabriela Scherer, Elena Tsallagova, Russell Braun, Robert Watson, Thomas Blondelle, Kyle Miller, Tyler Zimmerman, Hye-Young Moon, Alexandra Hutton, Jörg Schörner, Michael Jamak, Robert Hebenstreit, Thaisen Rusch/ Heiner Boßmeyer, Chor der Deutschen Oper Berlin, Orchester der Deutschen Oper Berlin

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