Max schießt, und die Kugel soll, ohne dass er es weiß, Braut Agathe töten. Aber keine Sorge, alles geht gut.

Foto: William Minke

Keine Ahnung, wie sich Filmregisseur David Lynch zu der Freischütz-Inszenierung von David Marton verhalten würde. Vielleicht würde er die heftigen Missfallensbekundungen, die im Museumsquartier die Akklamationen deutlich übertönten, anfeuernd dirigiert haben. Womöglich würde er aber den flauen Applaus unterstützt haben. Keine Ahnung. In jedem Fall fände der US-Filmkünstler in dieser Version der romantischen Oper Spuren seiner sich originell an Traum und Albtraum orientierenden, surrealen Rätselästhetik.

Wie etwa in Lynchs Klassikern Lost Highway oder Mulholland Drive herrscht auch hier, wo gemeinhin schießwütige Jäger, Jungfrauenchöre und düstere Mächte aufeinanderprallen, die schaurige Atmosphäre des Uneindeutigen.

Die Frau und Max

Basis ist gleichsam die Traumrealität der Zentralfigur Agathe. Zusammen mit dieser gefühlsgebeutelten Frau, die Max ehelichen soll, wandert man gleichsam durch ihr Unbewusstes, das in markanten Szenen der Angst und der Sehnsüchte präsentiert wird.

Da verteilt Agathe auch an andere Herren ihre Zuneigungen. Auch liebkost sie zweideutig eindeutig tote Tiere. Zudem verwandelt sie sich, wenn das keine Fata Morgana war, selbst in den düsteren Engel Samiel. In ihrem Traum ist nichts lustig, aber eben alles möglich. Auch das an sich lustig-unbeschwerte Ännchen (solide Sofia Fomina) wird durch Metamorphose zu Agathe.

Damit ist immerhin dem Doppelgängermotiv der Romantik Genüge getan, was in Summe einen reizvoll vieldeutigen inszenatorischen Ansatz sinnvoll ergänzt.

Leider gleichzeitig

Eine Idée fixe ist allerdings das Kernproblem dieser Arbeit, alles passiert nämlich doppelt: Einerseits wird Carl Maria von Webers Freischütz als vor den spielenden Protagonisten ablaufende Livefilmoper präsentiert. Wie hinter einem Schleier sind jedoch zugleich fast immer die konventionellen Opernszenen zu sehen, die filmisch eingefangen und verdichtet werden sollen.

Es ist des Guten zu viel, ergibt eine unausgegorene Simultaneität, bei der das szenische Geschehen als lästige Störung des Films wirkt und das Filmische somit seiner Aura beraubt wird. Szene und Filmabbild hätten besser koordiniert werden müssen. So entstand das Gefühl einer belästigenden Überfülle, bei der auch insgesamt das Timing der Produktion bremsend wirkt.

Leider war das Finale, statt eine Rettung zu sein, wiederum eher trivial: In einer Wiener Alltagsszene spaziert die Kamera vom Karlsplatz Richtung Ring und entdeckt neben der Wiener Staatsoper auch Frau Agathe. Sie schlendert vorbei oder ist in einer Würstelbude zu sehen, wie sie Käsekrainer zubereitet.

Frau im Delirium

Sie ist jetzt also die "Jederfrau", ein beliebiges Wesen von heute. Nicht jedes Wesen könnte allerdings so singen wie Jacquelyn Wagner. Die Sopranistin schafft es, punktgenau, sauber und doch packend das Dringliche der Partie zu transportieren. Auch vermittelt sie als Agathe bei den Nahaufnahmen sehr eindringlich eine Frau im Delirium der ambivalenten Empfindungen. Wobei dies alle etwas Stummfilmartiges an sich hat.

Vokal respektabel die Männerwelt, in der die verdoppelte Agathe sich zu behaupten versteht: Als Max wuchtet Tuomas Katajala seine Wünsche und Zweifel mit leichtem Überdruck in den Saal. Grimmig und dramatisch tragfähig zeigt Alex Esposito, wie der auf Max’ Beziehung zu Agathe eifersüchtige Kaspar seine Intrigen schmiedet.

Das Timing fehlt

Guido Jentjens (als Kuno), Dean Murphy (als Ottokar) und Levente Páll (als Eremit) halten das gute Niveau. Der formidable Arnold Schoenberg Chor zeigt aber auch unfreiwillig, wie das Handwerkliche der Regie mitunter leicht danebenliegt: Wenn der Chor in filmischer Großaufnahme erscheint, stimmt das Timing zwischen dem, was man von ihm hört, und dem, was man von ihm an Aktion sieht, nicht.

Die Wiener Symphoniker werden von Dirigent Patrick Lange bereits in der Ouvertüre zu hart scheppernden Akzenten angehalten. In weiterer Folge wird es farbenreicher und dezenter, ohne jedoch den besonderen Farbzauber der deutschen Klangromantik evozieren zu können. Auch für den Dirigenten gab es schließlich also akustischen Tadel. Einige aber hatten es schon zu Pause vorgezogen zu gehen. (Ljubiša Tošic, 23.3.2023)