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„Die Frau ohne Schatten“ in Baden-Baden: Der Alptraum eines Mädchens

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Das Mädchen und die Madonna. Foto: Martin Sigmund
Das Mädchen und die Madonna. Foto: Martin Sigmund © Martin Sigmund

Lydia Steier erdet in Baden-Baden „Die Frau ohne Schatten“, Kirill Petrenko dirigiert die Berliner.

Es entbehrt nicht der Ironie, dass die Oper „Die Frau ohne Schatten“ zu einer Zeit entstand, als Millionen Soldaten in den Schlachten des Ersten Weltkriegs starben. Der Dichter Hugo von Hofmannsthal und der Komponist Richard Strauss laborierten indes an einer Geschichte, in der allenthalben das ungeborene Leben jammert, die Kinderlein, die die Frauen auf der Bühne entweder nicht bekommen können oder nicht bekommen wollen. Diese letztlich auch banale Gemengelage wird dabei mächtig mystifizierend aufgezwirbelt. Daraus entsteht eine Gemengelage zwischen konservativem Biedersinn und Musikrausch, die nicht immer befriedigt und zum Teil Rätsel aufgibt, deren Lösung man nicht unbedingt entgegenfiebert (dies wäre auch vergeblich).

Dem stets erschütternd aufmerksamen Ulrich Schreiber fielen in seiner „Kunst der Oper“ nicht nur die unfreiwillig bizarren Momente im Libretto auf. Er bemerkte auch, dass der Musik ausgerechnet zum Höhepunkt der Handlung – dem Verzicht der Kaiserin auf einen unlauter beschafften Fremdschatten – gar nicht so viel einfällt. Gesprochene Passagen sind in der Oper zwar fast immer spannungssteigernd, aber in diesem Fall ein bisschen lapidar. Ulrich Schreiber wies ferner darauf hin, dass das Traumduo sich einerseits über das Ergebnis sehr zufrieden äußerte, dass Hofmannsthal andererseits im Anschluss eine Prosa-„Frau ohne Schatten“ schrieb und Strauss sich selbst die Ehe-Komödie „Intermezzo“.

„Die Frau ohne Schatten“ zu musizieren, ist ein Kraftakt mit Riesenorchester, Chören, in der erheblichen Solistenschar finden sich fünf anspruchsvolle Hauptrollen. Das macht die Oper wahrlich zum Fall für Festspiele, jetzt die Osterausgabe in Baden-Baden. Kirill Petrenko dirigiert die Berliner Philharmoniker – dazu den Chor des Nationalen Musikforums Wroclaw sowie Cantus Juvenum Karlsruhe – mit völliger Übersicht und gut austarierten Klangverhältnissen. Die Gewalt der Musik wird nicht gesucht, das überbordend Transzendente nicht ausgereizt. Das passt zu der geerdeten Inszenierung und wird vielleicht von ihr befördert.

„Die Frau ohne Schatten“ zu inszenieren, ist weiterhin ein Abenteuer. Lydia Steier kann dabei an ihre märchenhaften, erzählfreudigen Arbeiten anknüpfen. Auf breiter Treppe sind der Kaiser und seine aus der Geisterwelt stammende, schattenlose (nämlich unfruchtbare, auf dem Weg zum „richtigen“ Frausein steckengebliebene) Kaiserin ein von Katharina Schlipf glamourös eingekleidetes Paar. Vielleicht aus Hollywood, vielleicht aus einer Operette. Wenn der Kaiser zur Jagd aufbricht, sieht er jedenfalls aus wie Graf Danilo auf dem Weg ins Maxim. Die Musik klingt auch gleich ein wenig so. Das ist die Macht des Bildes.

Die Werkstatt des Färber-Ehepaares – die Färberin will partout keine Kinder, auch bei ihr stimmt also etwas nicht – hat Paul Zoller aufwendig als Baby-Geschäft eingerichtet. Alles in Rosa, in großen Auslagen die Babys, die gleich in Tüten mitgenommen werden können. Im Hintergrund sieht man in gekachelten, adretten Zellen ältere Arbeiterinnen, die mit der Herstellung bzw. Aufzucht befasst sind. Der überkomplexe oder halbgare dritte Akt mit den Prüfungsszenen und dem Happyend hin zu Liebe und Gebärfreudigkeit wird mit allerlei Madonnen- und Heiligen-Bildern katholisch gemacht. Zoller arbeitet mit drehbaren Bühnenelementen, an den Seiten Spiegel. Auf offener Bühne sind dadurch effektvolle Kulissenwechsel möglich, Durchblicke und Spiegelungen zeigen festspielwürdig und sinnig zugleich, wie sich die Welten überlagern.

Bei Steier zudem noch die Welt einer ausgedachten Rahmenhandlung: Sie spielt in einem von Nonnen beaufsichtigten Schlafsaal. In einem der Betten wacht alsbald ein zagendes Mädchen (Vivien Hartert) auf und träumt oder fantasiert all dies. Die wachhabende Nonne wird kurzerhand zur Geisterwelt-Amme, die versuchen wird, der Färberin den Schatten abzuschwatzen, um ihn der Kaiserin zuzuführen. Eine Sankt-Georgs-Statue tritt vom Podest und ist der Bote des Geisterkönigs Keikobad, Vater der schattenlosen Kaiserin.

So hübsch das eingefädelt ist, so wackelig wird das im Verlauf des langen Abends. Das Mädchen als leidende, verzweifelte Beobachterin, nachher auch Betroffene – wenn die Mädchen im Schlafsaal zu Teenager-Müttern werden, deren Babys wegadoptiert werden sollen? –, ist die eigentliche Hauptfigur. Aber sie gibt freilich zugleich noch mehr Rätsel auf, als es die Oper ohnehin tut. Steier will eine Klammer, und eine Alptraum-Fantasie ist dafür stets geeignet. Aber hier verhindert das auch ein tieferes Eindringen in die Psychologie der Figuren, die nurmehr als imaginierte Gestalten durch den Abend segeln. Die junge Darstellerin steckt zudem so viel imposante Kraft in die Rolle, dass man sich beim Schlussjubel fast Sorgen um sie macht.

Das zentrale Quintett derweil bestechend souverän: Elza van den Heever ist eine rührend arglose Kaiserin mit lichtem, heiterem Sopran, Michaela Schuster die charismatisch spielende und mit immer noch mächtigem Mezzo singende Amme, Miina-Liisa Värelä die hier sehr rustikale Färberin, der man die angesagte Erkältung nicht anhörte. Clay Hilley, der Kaiser, ist als tadelloser Tenor zu erleben, Wolfgang Koch, Färber Barak, als sanfter Bariton.

Festspielhaus Baden-Baden: 5., 9. April. www.festspielhaus.de

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