Ein Bild des Elends – die Bühnengestaltung der Staatsopernpremiere von Monteverdis "Il ritorno d'Ulisse in patria".

Foto: APA/WIENER STAATSOPER/MICHAEL PÖHN

Für Bühnenbild und Kostüme zeichnete Anna Viebrock verantwortlich

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Ganz am Ende geschah sie dann doch noch, die erlösende Annäherung zwischen Ehemann und Ehefrau. Kate Lindsey hatte zuvor in Zeitlupe ihre stylishe Sonnenbrille abgenommen, die sie in den zwanzig Jahren der Absenz ihres Gatten vor den Freiern beschirmt hatte wie jene von Jackie O. sie vor den Paparazzi. Der abgewrackte Georg Nigl erging sich in langsamen Kreisbewegungen ungläubigen Glücks. "Sì", säuselten die beiden superleise als Odysseus und Penelope, und es wirkte wie eine tastende Erneuerung ihres Eheversprechens. Dazu packte der Concentus Musicus unter der Leitung von Pablo Heras-Casado seine allerzartesten Klänge aus, und für einen kurzen Moment waren wahrscheinlich alle im hufeisenförmigen Rund der Wiener Staatsoper komplett glücklich.

Der Moment währte nur kurz ...

Das war in den dreieinhalb Stunden zuvor nur bedingt der Fall gewesen. Zum Finale der über drei Spielzeiten verteilten Monteverdi-Trilogie haben Jossi Wieler und Sergio Morabito dessen Il ritorno d'Ulisse in patria in Szene gesetzt. Der Routinier aus der Schweiz und der Chefdramaturg des Hauses haben das grundsätzlich nicht schlecht gemacht: Neben den Radikalperformern Nigl und Lindsay boten auch die anderen Sänger markante, ansprechende Leistungen im darstellerischen Bereich. Die Götter durften als abgehobene Superreiche First Class fliegen; die Phäaken, Odysseus' Fluchthelfer, hatten in deren Allmachtbereich als Simone de Beauvoir und Co mit ihrer Forderung nach menschlicher Selbstbestimmung nur einen Kurzauftritt.

Penelopes Webstuhl war der vorhersehbare Drehpunkt des unansehnlichen Bühnenbilds.
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Blöd nur, dass Anna Viebrock dem Regiegespann ein staubiges Möbellager als Bühnenbild angedreht hat. Die Deutsche, langjährige Schöpfergöttin der Bühnenwelten von Christoph-Marthaler-Inszenierungen, wurde damit zur Totengräberin der Erstaufführung dieses Werks an der Staatsoper. Viebrocks Bühnenbild hing dieser Produktion wie ein Mühlstein um, mit Penelopes Webstuhl als vorhersehbarem Drehpunkt. Dem hässlichen Gerümpel gelang das Kunststück, augenblicklich jedwede darstellerische Energie zu absorbieren und einen beharrlichen Kontrapunkt der Hässlichkeit zur Poesie der Musik zu schaffen, die der Concentus Musicus Wien und Heras-Casado aus dem Orchestergraben hochzauberten.

Üppiges Klangmahl

Denn es war schon ein mittelgroßes Wunder, welch üppiges, überreiches Klangmahl der Spanier da aus den kargen Zutaten des Opernmanuskripts schuf (es befindet sich in den Beständen der Österreichischen Nationalbibliothek). Zum Skelett von Gesangsstimmen und Bass kreierte der 45-Jährige einen Notentextkörper dazu, der mit hoher Klanggefälligkeit zu erfreuen wusste. Taten es in den Anfängen der Originalklangsuche oft Cembalo und Cello als Begleitung für die Rezitative, so wurde die Continuo-Gruppe hier auf stolze 15 Instrumente aufgestockt. Das erfreut und unterhält die Zuhörenden speziell dann, wenn ein Werk wie dieses 1640 für Venedig geschriebene fast ausschließlich aus rezitativischen und ariosen Passagen besteht.

Orchestergraben wie ein Whirlpool

Und so verwandelte sich der Orchestergraben oft in einen Whirlpool, in dem es nur so wurlte und sprudelte, aus dem sich wie aus einem Füllhorn schmeichelnde Klänge in die Ohren des Publikums ergossen. Kein Wunder, dass es Dirigent und Orchester waren, die am Ende den hellsten, euphorischsten Applaus zu hören bekamen. Nigl und Lindsey wurden natürlich auch abgefeiert. Der österreichische Bariton gab den Odysseus als traumatisierten Kriegsheimkehrer und Choleriker, bei dessen Wutausbrüchen er fallweise zu sehr presste. Als Königin der feinen Töne präsentierte sich Kate Lindsey, wenn sie bei ihrem eröffnenden Klagemonolog auch flammend auszuzucken wusste.

Georg Nigl als cholerischer Odysseus
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Brav und tadellos Josh Lovells Telemaco, Hiroshi Amako turtelte als Eurimaco mit Penelopes Dienerin Melanto (mit spitzer Prägnanz: Daria Sushkova) als auch als Anfinomo mit Penelope selbst. Andrea Mastroni gab den Mitfreier Antinoo als auch einen zornesbebenden Neptun mit marianengrabenhafter Tiefe. Robert Bartneck war ein solider Hirte Eumete, Jörg Schneider gab mit dem Iro quasi den Ur-Falstaff der Opernliteratur, und das so glaubhaft wie Helene Schneiderman die Amme Ericlea. Gewinnend Anna Bondarenko als Juno und Daniel Jenz als Jupiter.

Odysseus göttliche Supporterin Minerva (gut: Isabel Signoret) wurde von Viebrock (auch Kostüme) als Kampfpilotin mit schlumpfblauem Gesicht ins szenische Gefecht geschickt. Als Einziger ließ Katleho Mokhoabane stimmlich keine Wünsche offen: Als Freier Pisandro begeisterte der Südafrikaner (Mitglied des Opernstudios) mit Geschmeidigkeit, Glanz, Beweglichkeit und Durchschlagskraft: göttlich. (Stefan Ender, 3.4.2023)