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Die Oper Frankfurt mit einem Britten-Doppel – Stilsicherer verlieren

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Der verlorene Sohn, amüsierwillig. Foto: Barbara Aumüller
Der verlorene Sohn, amüsierwillig. Foto: Barbara Aumüller © Barbara Aumüller

Die Oper Frankfurt präsentiert Benjamin Brittens Kirchenparabeln „The Prodigal Son“ und „The Burning Fiery Furnace“ in glänzender Verfassung im Bockenheimer Depot.

Dass „The Prodigal Son“ und „The Burning Fiery Furnace“ nun als überaus gelungene Frankfurter Erstaufführungen im Bockenheimer Depot zu sehen sind, sagt einiges über die mangelnde Neugier auf scheinbar abgelegenere Werke Benjamin Brittens – die in England gleichwohl viel gespielt werden, wo Musiktheaterkultur sich vielerorts nämlich mit vordergründig betrachtet bescheidenen Mitteln und an ungewöhnlichen Orten behaupten muss. Drei von William Plomer getextete Stücke schrieb Britten in den 60er Jahren und nannte sie „Kirchenparabeln“, ein vielinterpretierter Begriff, jedenfalls etwas Kompaktes und Sinniges, nicht direkt eine Oper oder ein Oratorium, obwohl man sich über beide Bezeichnungen auch nicht gewundert hätte.

Von einem „Mysterienspiel“ ist im Geschehen selbst die Rede, ja, genau. Wer in diesen Post-Corona-Tagen von einer Großoper in die nächste taumelt, staunt darüber, wie Britten mit einer Handvoll Instrumente heilige und weltliche, naturhafte und seelische Atmosphären erzeugt – der Dirigent Lukas Rommelspacher hat neun Mitglieder des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters und einen Gastorganisten vor sich, apart ohne Geige, ohne Cello, dafür mit ausdifferenziertem Schlagzeug und Harfe. In Frankfurt wird das vom Bühnengeschehen allerdings auch blendend unterstützt.

Kirchenparabel Nr. 1, „Curlew River“, war 2005 am selben Ort zu sehen – hier basiert die Handlung direkt auf einem japanischen No-Spiel, was in den späteren beiden Stücken noch mit ostasiatischen Anklängen und formal eine Rolle spielt, angefangen damit, dass ausschließlich Männer auf der Bühne stehen. „The Prodigal Son“ und „The Burning Fiery Furnace“ bilden nun einen einleuchtenden Doppelabend. Zuerst die Erzählung zu Jesu Gleichnis vom verlorenen Sohn, wobei „The Prodigal Son“ zwar etwas später entstand, von Regisseur (und Haus-Debütant) Manuel Schmitt aber zu Recht als das übersichtlichere Werk identifiziert worden ist. Nach der Pause die Geschichte von den drei Jünglingen im Feuerofen aus dem Buch Daniel, die nämlich keinen anderen Gott anzubeten bereit sind und die Nebukadnezar darum umbringen lassen will. Sie überstehen die fürchterliche Hinrichtungsmethode schadlos.

Die vom Sohn empfundene Macht des (sich tadellos verhaltenden) Vaters und sein Aufbegehren gegen das Feststecken in einem faden Lebensplan spiegelt sich im großen Thema der Tyrannei und des passiven, aufopferungsvollen Widerstandes dagegen. Ohne einen guten Vater und einen mächtigen Gott wären beide Geschichten böse ausgegangen, die sich offensichtlich auch ohne jeden religiösen Bezug psychologisch und politisch, intuitiv und individuell verstehen lassen.

Schmitts Lesart bietet Unmittelbarkeit und Facettenreichtum in ungewöhnlicher Intensität. Die Bebilderung ist glasklar, zugleich eröffnet sie Interpretationsspielräume, in denen gesellschaftspolitische Überlegungen zu Gerechtigkeit, Macht, Ohnmacht Raum finden. Das Publikum hat aber auch einfach zwei Kunstwerke von einiger Schönheit und Genauigkeit vor sich.

Das Bockenheimer Depot ist offensichtlich als Kirchenschiff verwendbar und wird auch so behandelt, wobei das Publikum auf beiden Seiten einander gegenüber längs zum Mittelschiff sitzt. Die Combo ist auf der linken Seite mittig eingepasst. Zwischen den beiden Tribünen hat Bernhard Siegl eindrücklich lehmige Streifen gezogen, mit denen sich im „Prodigal Son“ tatsächlich Ackerbau nachstellen lässt, beschienen von einer riesigen Sonnenscheibe vom Eingangsbereich aus. Wasser plätschert, landwirtschaftlich wichtig, nachher am Königshof ein dekadenter Eisblock zur Kühlung blauen Blutes. So viel Natureindruck ist selten im Depot, war vielleicht noch nie. Die Beleuchtung von Jonathan Pickers sorgt für Tageszeiten und eine derzeit kaum vorstellbare Gluthitzestimmung.

Neben der Sonne gibt ein gigantischer Lehmberg Rätsel auf. In einem für Depot-Verhältnisse enormen Vorgang wird nachher der sozusagen frisch gegossene babylonische Gott aus ihm herausgelöst wie eine Glocke. In der nun offenstehenden Hülle werden die Jünglinge ohne weiteres Aufhebens geröstet, es macht ihnen ja auch nichts aus. An der gegenüberliegenden Seite warten ebenfalls zwei Elemente, ein lockeres schwebendes Vaterhausgerüst und ein güldener flacher Wagen, auf dem im „Prodigal Son“ die Lustbarkeiten des Lebens heranrollen, in „The Burning Fiery Furnace“ der Hof Nebukadnezars. Von beidem ist dringend abzuraten, wobei es nirgendwo um Moral, überall um das private Wohlbefinden geht.

Das goldene Schwein, das nebst dem nun grell ausgestatteten Personal (Kostüme: Dinah Ehm) auf dem Wagen mitrollt, dient der sexuellen Findungsphase des verlorenen Sohnes, nachher wird es aufgesägt, beinhaltet Schweinefleisch in rauen Mengen und ist für die jüdischen Jünglinge ein Grund mehr, hier nicht mitzutun. Wer sich bei einer Ausstattung wünscht, dass Kraft, Ideen, Anschaulichkeit und Funktionstüchtigkeit sondergleichen hineingesteckt worden sind, kommt hier voll auf seine Kosten.

Auch für die Sänger ist das eine fabelhafte Grundlage, das Stilisierte verbindet sich mit der Möglichkeit zu einem entspannten Spiel, das Publikum immer ungewohnt nah. Beide Opern beginnen und enden mit mönchischem Gesang. Aus der heranschreitenden Gruppe, zu deren Bewegungssprache ein umwerfendes, gewiss überliefertes Innehalten und Zurückweichen gehört, lösen sich jeweils die Figuren. In beiden Stücken ist der Abt auch ein oder sogar der Schurke, so viel dazu, was Britten (der freilich kein Katholik war) unter einer Kirchenparabel versteht.

Es gibt keine uninteressante Person auf der Bühne, Choristen, Kinder, alle sind maximal involviert. Auf den Stimmen liegt kein Druck, nach den „Elektra“- und den „Francesca da Rimini“-Verausgabungen im Opernhaus ist das eine Beruhigungsphase für die Ohren.

Michael McCown, mit behändem Tenor und Körper stets eine Bühnenfreude, ist der Versucher des gelangweilten Sohnes und der König Nebukadnezar. Magnús Baldvinsson mit seinem sehr passenden, leicht angerauten Bass ist der autoritäre und doch freundliche Vater, um ihn herum flippen die richtig jungen Söhne, Jarrett Porter (als wütender Älterer) und Brian Michael Moore (als aus der Reihe tanzender, nein, stolpernder Jüngerer). Nach der Pause ist Bariton Danylo Matviienko in der insgesamt edlen Besetzung der finstere Astrologe und Porter der laszive Herold am babylonischen Hof.

Die geschlechterfluiden Festtagskleider in dieser Männerwelt täuschen nicht darüber hinweg, dass es gemeingefährlich zugeht. Moore, Barnaby Rea und Pilgoo Kang sind die drei Jünglinge, die das Tohuwabohu voller Gottvertrauen abwettern lassen. Immer ist der Ritus nahe, ebenso im kakophonisch wirkenden, aber ausgeklügelten Freudentanz nach der Heimkehr des verlorenen Sohnes. Asiatisch mutet es an, dass hier kaum ein Lehmstück zu bröckeln scheint, ohne dass die Regie es will.

Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot: 5., 8., 10., 12., 14., 17., 19. April. www.oper-frankfurt.de

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