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Kultur „Die Frau ohne Schatten“

Der Strauss-Triumph

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Beherzt in Baden-Baden: „Die Frau ohne Schatten“ Beherzt in Baden-Baden: „Die Frau ohne Schatten“
Beherzt in Baden-Baden: „Die Frau ohne Schatten“
Quelle: Martin Sigmund
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„Die Frau ohne Schatten“ hatte Richard Strauss’ „Zauberflöte“ werden sollen. Doch heute gilt die verquaste Märchenoper über Frausein und Mutterwerdung als unspielbar. Die Regisseurin Lydia Steier, die Berliner Philharmoniker und Kirill Petrenko riskierten das Stück in Baden-Baden. Es wurde zum Ereignis.

Nonnen und junge Frauen in einem Schlafraum, dazwischen eine kerzenbeleuchtete Reproduktion von Leonardos Petersburger „Madonna Litta“ und ein geschnitzter Heiliger Georg, der dem Drachen seine Lanze in den Leib rammt. Nicht unbedingt das Ambiente, in dem man den Beginn des auf den „südöstlichen Inseln“ angesiedeltem, orientalischem Monumentalmärchenspiels „Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal erwarten würde. Es wirkt also einigermaßen rätselhaft, aber spannend.

Doch es kommt im Baden-Badener Festspielhaus, wo die Berliner Philharmoniker ihre Osterfestivaleröffnung zelebrieren, noch besser: Fred Astaire und Ginger Rogers tänzeln auf einer Glitzertreppe cheek to cheek, ein bunter Revuevogel sitzt auf einem Trapez, und Showgirls tanzen durch ein pastellbuntes Broadway-Ambiente sich eindrücklich drehender Kulissen. Sogar eine Barbiebabyfabrik gibt es!

Die schafft einen gewissen Bezug zum freudianisch überspannten wie überladenen Vokalmysterium – diesem damals wie heute problematischen Psychodrama über Frausein und Mutterwerdung. Und über den aufziehenden Ersten Weltkrieg als sich ankündigendes Ende einer Gesellschaftsordnung.

Eine zweite „Zauberflöte“ hätte dieses Opus summum werden sollen. Es tat und tut sich aber schwer mit seinem zeigefingernd-misogynen Inhaltsballast um eine Kaiserin aus dem Zauberreich, die nicht fruchtbar ist und deshalb keinen Schatten wirft. Nun möchte sie sich mithilfe ihrer dämonischen Amme den Schatten der Menschenfrau des Färbers Barak verschaffen. Letztlich lässt sie ihn ihr aber: Durch Verzicht erhält sie selbst einen – und die Liebe ihres fast versteinerten Mannes zurück.

Die amerikanische Regisseurin Lydia Steier wagt eine beherzt weibliche Sicht auf dieses unmögliche Stück – und gewinnt. Weil sie geschickt eine zweite Ebene einzieht, die sich erst zu Beginn des dritten Aktes wirklich erklärt. Aus der Anfangssituation im Kloster löst sich nämlich ein Mädchen, das nun miterlebt, wie sich der Georg zum Boten aus dem Geisterreich verlebendigt, wie die eben noch vorlesende Nonne zur Amme mutiert (Michaela Schuster – grotesk gut, aber weitgehend schreiend).

Auf dem Weg in die postnatale Depression

Und weil das Mädchen offenbar mit Musical-Filmen sozialisiert ist, vermischen sich die Erinnerungen daran mit ihren Albträumen. Später wird klar: Das Kloster ist ein gefühlloser Ort, wo ledige Mütter entbinden und ihre Kinder an fremde Eltern geben. Das Mädchen aber hatte wohl eine Totgeburt und fantasiert sich jetzt in eine postnatale Depression.

Dem verquasten Stück freilich tut ein wenig Entertainment-Leichtigkeit zwischen den grauslichen Fertilitätstraumata unheimlich gut. Man muss aber erst mal den Mut haben, etwa den immobil-unfasslichen Kaiser in Gestalt des pfundigen, erst schwergängig, dann silbern trompetenden Clay Hilley in einen Frack gequetscht zum Tänzeln zu bringen – Chapeau! Auch Elza van den Heevers süß zwitschernde Kaiserin macht als Filmsirene im hellrosa Tülltraum bella figura und stemmt sich beherzt schwindelfrei durch ihre eskapistisch hohe Rolle.

Blick auf Lydia Steiers Bühne in Baden-Baden
Blick auf Lydia Steiers Bühne in Baden-Baden
Quelle: Martin Sigmund

Sängerisch am tollsten: die unverkeifte, warm majestätisch tönende Miina-Liisa Värelä als Färberin in Pantherprint und rosa Kittelschürze – die strenge Mama der Puppenmanufaktur; während Gatte Barak (inzwischen eher genügsam: Wolfgang Koch) den Vertrieb organisiert.

Hier tanzen nicht nur die Puppen, sondern auch die grellbunten Kunden wie die schwarzen Schatten, während die Kulissen pausenlos rotieren. Der Falke, von dem die Kaiserin geführt wird, spreizt als „Moulin Rouge“-Diva die Federn. In der Unterwelt, wo sich schließlich die beiden Paare finden, mischen sich mit Märtyrerinnen-Abordnungen und der Hüterin der Tempelschwelle als Schmerzensmadonna dumpfer Katholizismus und heidnischer Swing zum Anti-Oberammergau. Und während zum Finale die eigentlich grauenvolle Mutterkreuzhymne in C-Dur sich emporschraubt, sucht das verzweifelt buddelnde Mädchen (darstellerisch bannend: Vivien Hartet) auf herbstlich nackter Bühne ihr totes Kind.

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Das Strauss-Glück wird vollkommen: Weil sich in dieser intelligenten, virtuosen, alle Gewerke an diesem Nichtopernhaus fordernden Inszenierung – der besten aller bisherigen Osterfestspiele – im Graben ähnliches Können feingeistig temperamentvoll hören lässt. Und auch der Chor des Nationalen Musikforums Breslau sowie der Cantus Juvenum voll dabei sind.

Ähnlich wie vor zehn Jahren bei seiner ersten Stückbegegnung am Münchner Nationaltheater, lässt Kirill Petrenko den ersten Akt zunächst auf kleiner Esoterikflamme kochen. Die Berliner Philharmoniker machen sich vor der hypertroph größten Orchesterpartitur der Operngeschichte mit vielfältigem Schlagwerk, geteilten Streichern, zwei Celestas und Glasharmonika souverän klein. Aber nicht für lange.

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Simple Dur-Melodien wechseln sich ab mit intrikat ausgekosteter Polyphonie in stetig entfernteren Tonarten. Raffinierte Reibungen kitzeln das Gehör, Tutti-Explosionen und hauchzarte Cello- wie Geigensoli. Sogar der ewige Strauss-Rivale Franz Lehár irrlichtert plötzlich mit Walzerahnungen durch Keikobads Geisterbahn. Eine wunderbare Klangvisitenkarte.

Selbst Gesänge der Ungeborenen werden so ertragbar. Und man versöhnt sich als guilty pleasure mit einem inhaltlich heute kaum mehr spielbaren, aber anregend polystilistisch klangmodernen Stück.

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