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Parsifal an der Wiener Staatsoper. Foto: Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Parsifal an der Wiener Staatsoper. Foto: Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
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Durchzittert und vergittert – Kirill Serebrennikovs „Parsifal“-Inszenierung in Wien

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Die Wiener Staatsoper als Werkstatt a la Bayreuth? Das Wort, das das Weiterarbeiten an einer Inszenierung meint, gehört auf dem Grünen Hügel zum gut gepflegten Image, dem die Realität mal weniger, mal mehr erkennbar auch entspricht. Im Falle von Richard Wagners „Parsifal“ in Wien kommt zum politisch erzwungenen Fall von Homeoffice bei der Erarbeitung der Inszenierung noch die von der Pandemie erzwungene Verlegung der Premiere in die zeitweise dominierende digitale Ersatzwelt. Mit dem Zuschauer daheim vorm Bildschirm.

Für den Pragmatismus bei der Arbeit, den das allen Beteiligten abverlangt, steht der Russe Kirill Serebrennikov geradezu exemplarisch. In Moskau bot er mit seinem Gogol-Theater ab 2012 einem rebellisch subversiven Geist eine Bühne, wurde 2017 verhaftet, unter Hausarrest gestellt. Trotzdem arbeitete er unverdrossen weiter. Nachdem er 2020 zu drei Jahren bedingter Haft verurteilt wurde, konnte er im April 2022 Russland schließlich verlassen. Seit einem Jahr lebt er in Berlin, wo er unter anderem an der Komischen Oper seinen DaPonte Zyklus gerade mit „Cosi fan tutte“ begonnen hat.

Für eine Serie von insgesamt fünf Vorstellungen steht jetzt in Wien der „Parsifal“ wieder auf dem Programm, den er 2021 noch von seinem Moskauer Homeoffice a la Putin (sprich Hausarrest) aus inszeniert hat. Das Ergebnis gehörte zu den spektakulärsten der ins Netzexil verbannten Premieren der lähmenden Monate, in denen die Pandemie(-bekämpfung) das Räderwerk des Opern- und Theaterbetriebes zeitweise fast zum Stilltand brachte.

In Wien bot sich jetzt am Gründonnerstag wieder die Gelegenheit, die szenische und musikalische Qualität dieses in den wichtigen Partien mit anderen Sängern einstudierten „Parsifal“ in der gut verkauften Staatsoper live und ohne ein zwischengeschaltetes Medium mit dem Eindruck der digitalen Premiere zu vergleichen. (Am Karfreitag sind in Wien sämtliche Theater geschlossen, während gleichzeitig alle Geschäfte geöffnet haben – seltsame katholische Logik.) Aber einen „richtigen“ Karfreitagszauber gibt’s diesmal eh nicht. Dass Serebrennikov selbst nicht vor Ort war, lag, wie zu hören war, einzig daran, dass er in Paris schon an seinem „Lohengrin“ arbeitet, mit dem dort die nächste Spielzeit eröffnet werden soll. Der Status dieses aus Russland rausgeekelten Regisseurs ist mittlerweile mit „Im-Westen-angekommen!“ wohl am treffendsten beschrieben.

Wie jeder Künstler trägt er seine Herkunft und Heimat natürlich mit sich. Als Russe wird er hierzulande – wie gefühlt mittlerweile jeder seiner Landsleute – quasi genötigt, erstmal ein Bekenntnis gegen den Krieg abgeben, ist sogar (wie in Hamburg) mit Boykottforderungen ukrainischer Aktivisten konfrontiert. Aber selbst, wenn er sich nicht äußern würde, stünde seine Arbeit für sich.

Die trist graue, von latenter Gewalt durchzitterte und vergitterte Gralsgesellschaft der auch von ihm entworfenen Ausstattung hat er mit einem hochprofessionell gemachten, deprimierenden filmischen Einblick in die Welt russischer Gefängnisse und des postsowjetischen Verfalls konfrontiert. Das wagnersche Spiel mit religiöser Symbolik ist hier zumeist auf die Haut der Gefangenen tätowiert und wird von denen zur Schau gestellt. Der Gralskelch als greifbarer Gegenstand taucht allenfalls bei der Kontrolle von Paketen auf, die die Gefangenen bekommen. Serebrennikov hat dem Werk im Grunde die Verbindung zur religiösen Sphäre, die bei Wagner dominiert, entzogen und dafür die Sehnsucht und Suche nach irdischer Befreiung und nach Vergebung von Schuld gesetzt. Damit hat er sich am Ende doch wieder einer religiösen Fragestellung genährt.

Seine Gralswelt jedenfalls ist ein Gefängnis. Mit Gittern, Hofgang, Gruppenhierarchien, Drogen und Tattoos. Mit einer Fixierung auf die Körperlichkeit eines Männlichkeitskultes, zu dem latente und explodierender Gewalt ebenso gehören, wie ein strukturell wegsehendes Personal. Obwohl das Ambiente und der Drehort der dazu wie ein zu groß geratener Übertitel eingespielten Filmsequenzen russisch wirken (und sind), ließe sich das genauso als Variante aus den USA oder aus autoritären Staaten denken. Ebenso die Klingsor-Welt, die hier in die Redaktion eines Printmagazins verlegt ist, dessen bestes Reporterinnen- und Fotografinnenpferd im Stall eine ehrgeizige Kundry ist. Die ist im Gefängnis als respektierter Gast auf Motivsuche, und angelt sich dort den jungen Parsifal für eine Titelstory. Sie lädt ihn in die Redaktion ein. Dort, im zweiten Aufzug, macht sie aus ihm ein Modell. Und hätte gerne mehr. Hier in der Blumenmädchen-Redaktion muss er sich nicht nur Kundrys Avancen erwehren.

Dass Parsifal selbst zum Teil eine Projektion des Begehrens ist, wird durch seine Verdopplung als (im Film und live) stumm spielender junger Mann (Nikolay Sidorenko macht das großartig) und als singender, sich erinnernder reifer Mann plausibler als sonst. In der Logik von Filmen, die mit Zeitreisen spielen, ist die Begegnung einer Person mit ihrem Alter Ego aus der anderen Zeitschiene meist das implodierende Ende des Gedankenexperiments – hier ist das Zum-Raum-wird-hier-Zeit.

In mehrfacher Hinsicht beklemmend ist vor allem, wie Serebrennikov die Schuld, die Parsifal mit dem Töten des Schwans in der filmischen Parallelerzählung in das banal-brutale Milieu übersetzt. Der junge Parsifal hat im Film eine Rasierklinge (als letztes Mittel um sich Übergriffen gegenüber zu erwehren?) auf seiner Zunge versteckt, wenn er zum Duschen geht. Als sich ihm ein junger, androgyner Albino-Jüngling mit Flügeltattoos auf dem Rücken nähert und ihn (nicht gewalttätig, sondern zärtlich) umarmt, schneidet er ihm in einer Bewegung im Affekt mit der Rasierklinge die Kehle durch. Diese Metaphorik kann man vom Stück aus genau so gut (bzw. beklemmend) wie von der zunehmend homophonen russischen Wirklichkeit aus denken …

Wenn Kundry im zweiten Aufzug schließlich die Waffe, mit der sie zunächst auf den sich ihr verweigernden Parsifal zielt, dann plötzlich (auch im Affekt) auf Klingsor richtet und ihn erschießt, mag diese quasi komplementäre Affekthandlung noch als ein radikal verzweifelter Akt von Selbstbefreiung gelten. Das erklärt auf der Stückebene zwar wie Kundry selbst als Gleiche unter Gleichen (im dritten Aufzug) unter die Gefangenen der Gralswelt gerät, es gehört aber zugleich in die assoziative Ebene der Inszenierung, die das Werk Wagners in die Abgründe der Wirklichkeit projiziert. Das mag Puristen nicht gefallen, ist aber ein Vorzug der Arbeiten dieses Regisseurs.

Das musikalisch szenische Erlebnis von Graben und Bühne ergibt live jedenfalls einen im Ganzen in sich stimmigen Bilder- und Gedankenstrom. Auch wenn manches gewohnte Klischee fehlt und die Gralsenthüllungen vor allem ein musikalisches Ereignis sind, zu dem Philippe Jordan die Wiener Philharmoniker gleichsam von der Kette lässt und dabei sogar deutlich akzentuierte Bläserspitzen in Kauf nimmt. Was umso gewaltiger wirkt, als er auch die leisen Momente gerade im zweiten Aufzug zwischen Kundry und Parsifal genüsslich auskostet. Jordan dirigiert aber bildlich gesprochen, anders als Christian Thielemann, den Bayreuther Deckel über dem Orchestergraben nicht mit, ist nicht auf rauschhafte Trance aus, was nicht nur am Tempo liegt. Dieser gleichsam betont weltliche Parsifalsound geht im Ganzen ein erfreuliches Bündnis mit dem szenischen Zugriff ein.

Die Besetzung entspricht in allen Positionen dem Niveau, wie es von einem Haus wie der Wiener Staatsoper zurecht erwartet wird. Franz-Josef Selig ist mit seinem profunden Bass ein in sich ruhender, souveräner Gurnemanz, der sich mit eloquenter Autorität zwischen den Grals- bzw. Gefängnisinsassen bewegt und dort auch mit seinen versierten Fertigkeiten als Tätowieren für Ausgleich sorgt. Michael Nagy als ein ausdrucksstarker Amfortas verkörpert glaubhaft Titurels, von Wolfgang Bankl energisch aus dem Off beigesteuerte Mahnung, dass er im Dienste seine Schuld zu büßen habe. Bassbariton Derek Walton trifft den Klingsorton, ohne, dass der Boss, den er verkörpert, gleich ins Diabolische überhöht wird. Besonders von Interesse waren die beiden „Neuen“ im Zentrum dieser Inszenierung. Klaus Florian Vogt, dessen Qualitäten als Lohengrin oder Walther von Stolzing unbestritten sind, hat es offenbar darauf angelegt, aller Wagnerwelt zu beweisen, dass er auch eine so tragisch aufgeladene Gestalt wie den Parsifal – vom reinen Toren bis zum wissenden Gralskönig – mittlerweile Maßstäbe setzend drauf hat. Mit seinem ersten Parsifal in Wien ist ihm das überzeugend gelungen. Keine Tricks oder Manierismen, kein Schwächeln – ein Parsifal der Spitzenklasse. Ekaterina Gubanova (bei der es sogar ein Rollendebüt ist) ist eine Kundry von dazu passendem Format. Nicht nur mit ihrer wunderbar strahlenden, in der Höhe gleichwohl fokussierten Stimme, auch im Spiel gelingt ihr der Spagat vom mythischen Urweib in die Gegenwart, den ihr die Regie abverlangt, durchweg überzeugend. Auch die Blumenmädchen und alle übrigen Rollen sind handverlesen besetzt, der Chor in exzellenter Form.

Am Ende strömen auf der Bühne alle Gefangenen ins ungewiss Freie und Parsifal bleibt resigniert sinnend zurück. Das Publikum kann das Haus am Ring mit der Gewissheit verlassen, dass es ein musikalisches Großereignis in einer zum Weiterdenken verführenden Inszenierung erlebt hat.

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