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Gounod: Roméo et Juliette | Chor der Oper Zürich, Statistenverein am Opernhaus Zürich | Ted Huffman (Regie), Andrew Liebermann (Bühnenbild), Annemarie Woods (Kostüme) | Foto: Herwig Prammer
Gounod: Roméo et Juliette | Chor der Oper Zürich, Statistenverein am Opernhaus Zürich | Ted Huffman (Regie), Andrew Liebermann (Bühnenbild), Annemarie Woods (Kostüme) | Foto: Herwig Prammer
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Glanzvolle Besetzung: Gounods „Roméo et Juliette" an der Oper Zürich

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In der letzten Zürcher Inszenierung von Charles Gounods Shakespeare-Oper „Roméo et Juliette" glänzten vor dreißig Jahren Francisco Araiza und Eva Lind. Jetzt ist Intendant Andreas Homoki stolz auf die im Opernstudio und Ensemble der Oper Zürich flügge gewordenen Stars Bejamin Bernheim und Julie Fuchs. Musikalisch exzellent, aber szenisch belanglos geriet die Neuproduktion in der Inszenierung von Ted Huffman.

Das große Liebesduett ist hier leider nur so lang wie „die Zigarette danach". Denn fast die Hälfte dieser Paradenummer, in der junge Lust und Liebe im Unisono ihre Erfüllung für eine kleine Ewigkeit feiern, war in der Zürcher Neuproduktion gestrichen. Dabei hat Charles Gounod diese mit den Textdichtern Jules Barbier und Michel Carré in seiner dramaturgisch genauen und musikalisch betörend bis glanzvoll gelungenen Shakespeare-Vertonung „Roméo et Juliette" überaus geschickt eingefädelt.

Gut, aber zu blass 

 
Gekuschelt und geknutscht wurde in dieser Lesart des Regie-Youngsters Ted Huffman für eher gesetzte Zuschauerzielgruppen nur wenig und eher schüchtern. Zu den Eröffnungstakten ihrer ersten wirklich intimen Szene kommen die Liebenden von Zürich überhaupt erst auf die Bühne. Juliette erscheint mit umgeschlungenen Tuch und Roméo streift sich sofort das noch immer bügelfrische Hemd über den freien Oberkörper.
Man bekommt in Zürich leider nicht mit, dass „Romeo et Juliette" die gallische Alternative zum zwei Jahre früher herausgekommenen Zukunftsmusikdrama „Tristan und Isolde" Wagners ist. Roméo et Juliette klagen bei Gounod wie Wagners bretonisch-keltisches Liebespaar über das Auseinandergerissen-Werden durch den schnöden Tag, beschwören ebenso die durch ihre Vereinigung geheiligte Nacht und sterben noch lückenloser, also im Sekundenabstand. Die Reize aus sinnlichem Schmelz und koloristischer Verzauberung sind bei Gounod möglicherweise sogar noch intensiver als beim Bayreuther Genie.

 

Ted Huffman beginnt seine Regie mit einem Kotillion, wie diese Tanzveranstaltung in seiner US-amerikanischen Heimat noch üblich ist. Das wirkt so wie ein ins Mittelständische verlegter Dance at the Gym aus Lenny Bernsteins Romeo-Adaption „West Side Story", von Huffman in Hinblick aufs Gefährliche und Greuliche einer radikalen Frühjahrsabspeckung unterzogen. Man kann nur hoffen, dass Annemarie Woods' Kostüme von ressourcenschonendem Nachhaltigkeitsideal geleitet waren. Diese fielen gegenüber dem Chic des Limmat-Premierenpublikums an Farben-Wut und Fashion-Mut entschieden ab. Leider ging Huffman ohne das Super-Tanzensemble gehörig die Regie-Luft für die Szenen aus, in denen psychischer Leidensdruck und intime Nähe unerlässlich sind. Juliettes „Amme" ist sogar dabei, wenn Juliette zum Betäubungsmittel greift, was keinen Sinn macht. Dafür wurde Katia Ledoux als Gertrude um ihren besten Auftritt im Balkon-Auftritt erleichtert.
Man wundert sich hier generell über das Blutvergießen unter feinen Menschen wegen Bagatellangelegenheiten. Da hätte sich Pim Veulings in seiner Choreografie durchaus mehr am Ur-„West Side Story"-Vorbild Jerome Robbins orientieren können, bei dem Tanz- und Aggressionseskalation verschwimmen. Angemessen prosaisch passte Franck Evins Licht-Design. Die berühmte Balkonszene muss nicht immer sein, wenn es eine wirklich sensible Gegenidee gibt. Mehr wiegt, dass bei Huffman die physische und psychische Handlungsklimax von Blick, Berührung, Kuss und Beischlaf – von Shakespeare und Gounod genau modelliert – etwas durcheinander gerät und wohl deshalb ohne szenische Intensitätssteigerung bleibt.

Tolles Ensemble

Musikalisch stimmte dafür alles. Die Zürcher Oper versprach mit den aus den eigenen Reihen entsprungenen Stars in den Titelpartien sehr viel und hielt auch einiges. Benjamin Bernheim als Roméo ist stimmlich und interpretierend ein Operntraum. Nur schade, dass er an diesem Abend dabei ausstaffiert wurde, wie man sich den Bankier Ihres Vertrauens aus der Limmat-Edelmeile vorstellt. Das passte allerdings zu Juliette. Minimale Anfangsunebenheiten hatte Julie Fuchs bei ihrem Partiendebüt als Juliette Capulet, wenn ihr Vater sie einführt wie zum Debütant*innenball und sie ihr hedonistisches Walzer-Credo anstimmt: „Ich will nur Spaß-Spaß-Spaß, bevor die große Liebe kommt." Am Ende gab es tobenden Applaus für alle. Nur im Chor-Walzer des Balls fehlte etwas Parfüm und Eleganz.

Roberto Forés Veses ist eher der Pult-Frontmann fürs Leidenschaftliche, nimmt ziemlich zugkräftige Tempi und dreht im großen Finale mit der Messerstecherei groß auf. Insgesamt lässt er dem von Ernst Raffelsberger eigentlich ideal einstudierten Chor der Oper Zürich einen vielleicht etwas zu ungebremsten Lautstärken-Lauf. Man hört die Erfahrung und fast routinierte Brillanz der Philharmonia Zürich bei einem Werk aus ihrem Kernkompetenz-Bereich. Sagenhaft ragten die Oboensoli, in denen sich die ganze Verführungsmacht Gounods fokussierte, aus der starken Orchester-Leistung. Der von ARTE aufgezeichnete Premierenabend bestach auch durch einige andere imponierende Besetzungen neben dem zentralen Paar. Svetlina Stoyanova nuckelt zu Beginn an der Champagnerflasche und singt die Stéphano-Couplets mit sinnlich packender Gestaltungskultur. Omer Kobiljak gibt einen idealen Tybalt mit hellen Stentor-Höhen, Yuriy Hadzetskyy einen Mercutio mit burlesker bis samtener Bariton-Linie. David Soar als Graf Capulet und Brent Michael Smith als von der Regie etwas blässlich gehaltener Pater Lorenzo machen das eindrucksvolle Ensemble für dieses in den letzten Jahren endlich auch in Mitteleuropa häufiger gespielte Opernwunder rund.  

 

Besuchte Vorstellung: Premiere am Ostermontag, 10. April 2023

 

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