Regisseurin Nadja Loschky zeigt Ambroise Thomas’ „Hamlet“ an der Komischen Oper als surreales Wahnsinnsstück.

Jubel und noch mal Jubel gab es in der Komischen Oper bei der Premiere von Ambroise Thomas’ Oper „Hamlet“ am Sonntag. Das Publikum fühlte sich offenbar bestens unterhalten. Mehrfach gab es für Sänger Applaus und Bravorufe auf offener Bühne. Das Regieteam um Nadja Loschky hat sich einiges einfallen lassen. Andauernd laufen Geister, Verrückte oder Doppelgänger durchs Bild, so das man manchmal den Überblick verliert. Bühnenbildner Etienne Pluss hat dem dänischen Königshaus eine Art Herrenhaus mit großer Treppe entworfen, das sich auch für britische Krimikomödien eignen würde. Eine ziemlich statische Oper wird in viel Bewegung aufgelöst.

Es mag viele gute Gründe geben, die 1868 an der Pariser Oper uraufgeführte und später weitgehend vergessene fünfaktige Oper des französischen Komponisten Ambroise Thomas auf die Bühne zurückzuholen, und einen Grund, es besser nicht tun. Zweifellos steht „Hamlet“ für die abgründigen Shakespeare-Adaptionen Mitte des 19. Jahrhunderts – und Ophelia bekommt darin als Frau mehr Gewicht. Die Partitur ist bei aller musikalischen Elegie voller Raffinesse bis hin zur erstmaligen Verwendung des gerade erst vom Belgier Adolphe Sax entwickelten Saxophons. Dagegen spricht, dass diese Grand Opera an einem dreieinhalbstündigen Abend zu viele unfüllbare Längen offenbart.

Nadja Loschky ist in der Shakespeare-Oper weniger unterwegs, um wahrhaftige, vielleicht sogar zeitgemäße Gefühle freizulegen. Sie hat ein tragikomisches, etwas dekoratives Geisterstück auf die Bühne gebracht. Es ist eine fantasievolle Mischung aus einem Mary-Poppins-Märchen und surrealistischen Gemäldemotiven des belgischen Malers René Magritte. Im dritten Akt, wenn sich Sandberge im verfallenden Herrenhaus auftürmen, der Nebel wallt und ein Kronleuchter am Boden liegt, fühlt man sich ein wenig an das Musical „Phantom der Oper“ erinnert.

Am dänischen Königshof tragen alle Garderobe in Bordeauxrot

„Hamlet“ spielt offenbar in einem Geisterhaus im frühen 20. Jahrhundert, am Hof ist Garderobe in Bordeauxrot (Kostüme: Irina Spreckelmeyer) vorgeschrieben. Es dauert einige Zeit, die Herrscher und Höflinge auseinander zu halten. Die wichtigen Frauen tragen Blond. Gleich zu Beginn steigen drei mysteriöse Herren mit Hut und Regenschirm, die an Magritte erinnern, aus dem Fußboden ins Haus ein. Diese Anzugträger sollen die Totengräber des Königshauses sein, und sie laufen immer wieder durchs Bild. Bis zum Ende hin sind sie auf eine stattliche Zahl angewachsen. Die Regie hat gekonnt in die Trickkiste des Vergnüglichen gegriffen.

In dieser Produktion hat der Wahnsinn Methode. Jeder fühlt sich von Wahnsinnigen umgeben, die sich aber völlig normal benehmen. Wie du und ich. Das scheint bei amtierenden europäischen Königshäusern ähnlich zu sein, weshalb sich Millionen Menschen an ihren Skandalen erfreuen. Shakespeares dänischer Prinz versteckt seine wahren Gefühle hinter dem Wahnsinn. Regisseure müssen deshalb unter der Oberfläche die Gefühle freilegen wollen. In dieser Produktion rennt Hamlet zerstörerisch mit Spitzhacke umher und ist dauerhaft unerträglich.

Königin Gertrude (Karolina Gumos), König Claudius (Tijl Favejts) und Yorick, der Narr (Kjell Brutscheidt).
Königin Gertrude (Karolina Gumos), König Claudius (Tijl Favejts) und Yorick, der Narr (Kjell Brutscheidt). © Monika Rittershaus

Der britische Bariton Huw Montague Rendall ist ein großartig geschmeidiger Hamlet-Darsteller. Aber Größe vermittelt die Rolle nicht. Vielleicht sollte man, wie Regisseure gerne nach ihren Frauenrollen befragt werden, einmal das vorgeführte Männerbild der Regisseurin und ihrer beiden Dramaturginnen betrachten. Hamlet ist ein schmuddliger Prinz, der nicht erwachsen werden will. Er trägt zu kurze Hosen und Hosenträger und erinnert an den jungen Otto Waalkes.

Hamlet hat eindeutig ödipale Züge, der davon träumt, wie der mörderisch-intrigante König Claudius (stattlich: Tijl Faveyts) es mit der Mutter gleich auf der Treppe treiben will. Später wird Hamlet seine Mutter auf einem Bett fast vergewaltigen. Mezzosopranistin Karolina Gumos ist am Premierenabend die Königin, die pralle Lebensenergie einbringt.

Mit der schönen Ophélie, die hier an Prinzessin Lillifee erinnert, kann Hamlet so gar nicht. Zwischendurch taucht „Der Geist“ der ermordeten Königs, dem Jens Larsen seinen stattlichen Bass und eine widerliche Figur verleiht, auf. Er fordert Hamlet zur Rache auf, beiläufig offenbart sich eine Gewaltbeziehung zwischen Vater und Sohn. Hamlet ist also rundum traumatisiert. Um handlungsfähig zu sein, hat ihm die Regisseurin ein Alter Ego zur Seite gestellt. Dafür wird der berühmte Schädel bei Shakespeare wiederbelebt: Schauspieler Kjell Brutscheidt spielt den Narren Yorick im tuntigen Glitzerkleid, darf zu Beginn ein Liedchen singen und fröhlich in die Handlung eingreifen.

Dirigentin Marie Jacquot trägt die gute Solistenschar auf den Händen

Seinen wunderbar tragfähigen und wandlungsfähigen Bariton kann Huw Montague Rendall vorführen. Stimmlich ist er kein wahnsinniger Haudrauf. Die amerikanische Sopranistin Liv Redpath hat als Ophélie ihren großen, bejubelten Auftritt in der Wahnsinnsarie, wenn sie virtuos und höhensicher ihre Koloraturen vorführt. Sie tritt mit einigen kopflosen Anzugträgern ab, und man weiß, da läuft etwas schief. Beeindruckend lebendig kann Marie Jacquot am Pult die Partitur ausrollen. Die 33-jährige Dirigentin meidet weitgehend den lyrischen Atem der Musik, sondern lässt das Orchester dramatisch zupacken. Die großartige Solistenschar wird von ihr auf Händen getragen.

Komische Oper, Behrenstr. 55-57, Mitte. Tel. 47997400 Am 23., 28.4.; 6., 14., 20., 31.5.