Eine lange Reise ins Reich der Alpträume. Myschkin (Dmitry Golovnin, li.) lernt Rogoschin (Dmitry Cheblykov,re.) kennen.

Rittershaus

Dass im Theater an der Wien Mieczyslaw Weinbergs Oper "Der Idiot" zu hören ist, verdankt sich wohl auch den Bregenzer Festspielen, die den Komponisten wiederentdeckt haben. Die Premiere seiner "Passagierin" gab 2010 den Impuls, Weinberg (1919 – 1996) dem Vergessenen zu entreißen, wobei natürlich auch das beharrliche Bemühen von Meistergeiger Gidon Kremer geholfen hat, den 1919 in Warschau geborenen und schließlich nach Russland vor den Nazis geflohenen Komponisten ins Bewusstsein zu rücken. Übrigens wurde Weinberg interniert, nur der Tod von Diktator Stalin rettete ihm das Leben...

"Der Idiot", nach Fjodor Dostojewskis Roman ist die letzte Oper Weinbergs. Sie wurde 1986 komponiert und dem Freund und Leidensgenossen der Stalinära Schostakowitsch gewidmet. Erst 2013 folgte allerdings die vollständige Uraufführung in Mannheim, welche auch der nunmehrige Dirigent Thomas Sanderling leitete.

Eleganz und prägnant

Man spürt in der Interpretation die Kompetenz und Verbundenheit. Sie führt im Museumsquartier zu intensivem Musizieren. Zusammen mit dem ORF-RSO-Wien erweckt Sanderling die mit bohrender Repetitorik, zarten Traumsequenzen und dramatisch-grellen Aufschaukelungen durchzogene, mitunter auch etwas zäh dahinfließende Musik mit Eleganz und Prägnanz.

Die Inszenierung von Vasily Barkhatov konzentriert sich surreal geprägt auf den ewigen Kreislauf von gekränkter Leidenschaft, Geldgier, Gewalt und Selbstverletzung. In einem alten Eisenbahnwaggon träumt sich der seelisch versehrte Myschkin auf einer langen Reise durch die Schneelandschaft ein Milieu herbei, das sich an Zuneigung, Abneigung, Intrige und Perfidie abarbeitet. Im Lauf der Inszenierung wächst die Geschichte zur Analyse einer desillusionierten Gesellschaft heran, die an fast nichts mehr glaubt.

Alle retten will er

Der reine Tor, Myschkin, der alle retten will, ist in dieser Welt der inneren Leere und des suizidalen Fatalismus jene unschuldige Lichtgestalt, welche die Morschheit und Dünkelhaftigkeit seiner Umgebung offenlegt.

Die Regie hat es mittels Drehbühne geschafft (Bühnenbildner Christian Schmidt), elegante Szenenwechsel zu erschaffen. Es entstand ein zum Schluss dramatisch sich aufbäumendes Kammerspiel der Gefühlsversehrten, bei dem die Gesellschaft eine Art Hölle darstellt, in der sich Ereignisse unentwegt rituell zu wiederholen scheinen.

Dabei werden die Fenster des Waggons zu Filmleinwänden, in denen sich die Gesichter der Frauenfiguren als Kontrapunkt zur Szene positionieren oder atmosphärische Impressionen beisteuern. Eine elegante präzise Arbeit, mit individueller Zeichnung der Figuren.

Lauter gute Stimmen

Gesungen wird vom Gesamtensemble hervorragend: Dmitry Golovnin ist mit seinem markant klaren und impulsiven Tenor ein Myschkin, dessen Sensibilität als Stärke wie auch als selbstgefährdende Fragilität subtil zum Tragen kommt. Sein Gegenüber Rogoschin legt Bassbariton Dmitry Cheblykov mit kontrollierter Ruppigkeit und vokal tadellos an.

Ekaterina Sannikova liefert als Nastassja impulsiv bis exaltiert singend das Porträt einer Frau mit selbstzerstörerischen Zügen. Vokal von hoher Präsenz Gegenspielerin Ieva Prudnikovaite als Aglaja, die wie alle inklusive Regisseur mit Applaus bedacht wurden. (Ljubisa Tosic,29.4.2023)