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Le Conte du Tsar Saltane. Foto: Klara Beck
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Poetisch Geflochtenes – Nikolai Rimski-Korsakows Oper „Das Märchen vom Zaren Saltan“ in Straßburg

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Ein Baby, das plötzlich zu einem jungen Mann mutiert. Ein Schwan, der sich als schöne Prinzessin entpuppt und eine Stadt, die aus dem Nichts entsteht. Nikolai Rimski-Korsakows Oper „Das Märchen vom Zaren Saltan“ (1900) nach einer Erzählung von Alexander Puschkin ist ein echter Märchenstoff und bietet jede Menge szenischer Herausforderungen. Aber wie aktualisiert man eine so bilderreiche, naive Erzählung?

Dmitri Tcherniakov (Regie und Bühne) reduziert die opulente Geschichte an der Straßburger Opéra national du Rhin bei dieser Koproduktion mit La Monnaie (Brüssel) und Teatro Real (Madrid) auf ein zentrales Element. Eine Mutter erklärt ihrem autistischen Sohn, warum er ohne Vater aufwachsen musste. Deshalb erzählt sie ihm das Märchen. Und so beginnt der Straßburger Abend in der ernüchternden Wirklichkeit dieser Rahmenhandlung. Erst mit der Musik betreten die Märchenfiguren über zwei Stege aus dem Zuschauerraum die Bühne. Ein uniformierter, wohl genährter Hofstaat mit Pluderhosen, roten Bäckchen, weißen Bärten und schraffierten Kleidern (Kostüme: Elena Zaytseva). Diese Bojaren sind ihre eigene Karikatur – vor allem die böse Muhme Barbaricha (mit erdigem Mezzo: Carole Wilson) und die zwei ältesten Zarentöcher Powaricha (Bernada Bobro) und Tkatschicha (Stine Maria Fischer). Dass sich der Zar ausgerechnet für die jüngste Tochter Militrissa entscheidet, bevor er in den Krieg zieht, können diese drei nicht ertragen. Und lassen dem Zaren ausrichten, dass die Zarin eine Missgeburt zur Welt gebracht habe. Dieser verfügt aus der Ferne, dass sie mit ihrem Sohn in einem Fass aufs Meer geschickt werden müsse.

Unter seinem jungen Chefdirigenten Aziz Shokhakimov entführt das Orchestra philharmonique de Strasbourg auch musikalisch in eine Märchenwelt. Die Trompeten strahlen, die Holzbläser flechten Girlanden. Auch die mechanische Motorik in den turbulenten Massenszenen entwickelt Shokhakimov gekonnt. Waren bis zum ersten Akt Realität und Märchen noch getrennt, so verbindet Tcherniakow ab dem zweiten die beiden Welten. Kohlezeichnungen und kurze Zeichentrickfilme (Video und Licht: Gleb Filshtinsky) erzählen auf dem Gazevorhang von den Träumen des autistischen Jungen, der sein Gegenüber im Zarewitsch Gwidon findet. Aber er wird auch selbst Teil dieser Märchenwelt, wenn er unter den Vorhang kriecht und sich direkt in das teils modellierte, teils projizierte Bühnengeschehen begibt. Bogdan Volkov spielt und singt eindringlich diese Rolle des autistischen jungen Mannes, dessen Fantasie die Wirklichkeit ersetzt. Tatiana Pavlovskaya ist diesem einsamen Zarensohn eine empathische Mutter. Ihr Rollenporträt von Militrissa hat Wärme, Tiefe und auch dunkle Schattierungen.

Mit leichter Hand wechselt Regisseur Tcherniakov zwischen Realität, Märchen und der Verbindung von beidem. Gwidon kehrt auch immer wieder vor den Vorhang zurück zu seinen Spielsachen und schaut von außen auf seine eigene Geschichte. Berührend, wenn in der bunten, projizierten Insellandschaft eine echte Schwanenprinzessin liegt und so bezaubernd singt wie Julia Muzychenko. Man staunt mit Kinderaugen über diese poetische Produktion, die im Rahmen des Festivals Arsmondo Slawia (noch bis 14. Mai 2023) über die Bühne geht.

Am Ende kehrt der Zar (mit dunklem, geschmeidigem Bass: Ante Jerkunica) mit seinem Freunden zurück als reumütiger Vater, der seinen Sohn zum ersten Mal sehen möchte. Die Märchenfigur wird zu dem bärtigen Vater mit den lieben Augen, den der Junge schon in den Kohlezeichnungen ersehnt hat. Aber Gwidon ist überfordert. Und trommelt zu den jubelnden Schlussklängen mit den Fäusten gegen die Wand. Märchen bleibt Märchen. Kein Happy End in Straßburg.

  • Weitere Vorstellungen: 9./11./13. Mai in Straßburg/Opéra. 28. Mai in Mulhouse/Filature. Tickets unter www.operanationaldurhin.eu

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