Nach mehr als drei Jahren Abwesenheit kehrt Jules Massenets Manon nun wieder für eine Vorstellungsserie in den Repertoire-Alltag an der Wiener Staatsoper zurück, wobei insbesondere der musikalische Aspekt des Abends Anlass zur Freude bot.

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Pretty Yende (Manon)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Das Staatsopernorchester ließ unter Dirigent Bertrand de Billy nämlich süffig die Funken sprühen, wobei die Interpretation zwar nicht unbedingt durch überbordende Emotionalität bestach, aber dafür mit technischer Finesse und klanglicher Opulenz punktete. So flirrte die Musik mal expressionistisch, um sich danach wieder in ausladenden Bögen romantisch zu ergießen oder in zartem Pianissimo zu verhauchen. So sorgte De Billys fein akzentuiertes Dirigat gepaart mit dem beinahe unverschämt schönen Klang des Orchesters in dieser Vorstellung für schimmernde Highlights.

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Michael Arivony (Lescaut)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Nicht weniger Glanz wurde vom großteils ausgezeichnet disponierten Sängerensemble auf der Bühne beigesteuert, allen voran Pretty Yende in der Titelrolle. Zunächst brauchte ihre Stimme zwar ein bisschen Zeit, um voll auf Betriebstemperatur zu kommen – in der ersten Szene am Bahnhof gerieten einige Phrasen noch etwas zeratmet und vibratolastig, was sich allerdings in gewisser Weise durchaus charmant mit der darstellerischen Interpretation der von der Reise euphorisierten Manon verband. Mit jeder Minute auf der Bühne blühte Yendes Sopran in Folge mehr und mehr auf und begeisterte mit fokussierten Höhen – die spielerische Leichtigkeit, mit der sie etwa ihre Arie im dritten Akt gestaltete, war nicht weniger als beeindruckend! – und einer karamelligen Mittellage, mit der sie der Figur neben jugendlicher Frische auch tiefgründigere Facetten verlieh. Und spätestens als Manon in Saint Sulpice alle Register der (vokalen) Verführungskunst zog, war ihr nicht nur Des Grieux, sondern auch das Publikum völlig verfallen.

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Pretty Yende (Manon) und Charles Castronovo (Chevalier Des Grieux)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Charles Castronovo brachte an ihrer Seite keinen schwärmerisch unbedarften Chevalier Des Grieux auf die Bühne, sondern gestaltete einen zwar leidenschaftlich verliebten, aber dennoch halbwegs rational denkenden Charakter. Sein dunkel timbrierter Tenor entfaltet sich insbesondere in der Mittellage schön, denn dort kommt er ins Fließen und lässt dabei auch vielschichtige Farben hören, mit denen er der Figur vokal Facettenreichtum verleiht. Die Höhen gelangen an diesem Abend zwar einwandfrei, die Stimme wurde allerdings fallweise hörbar eng, weshalb der ganz große Effekt der Spitzentöne dann doch ausblieb, was insbesondere bei „Fuyez, douce image” schade war.

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Pretty Yende (Manon) und Charles Castronovo (Chevalier Des Grieux)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Für Michael Arivony kommt die Rolle des Lescaut wohl noch etwas zu früh, denn so ganz gelingt es ihm an diesem Abend nicht, der Figur Ecken und Kanten zu verleihen. Darstellerisch wirkte er einfach zu harmlos, um diesen Strizzi-Cousin glaubwürdig zu vermitteln und stimmlich ging er immer wieder gegenüber dem Orchester unter. Außerdem fehlte es seinem im Grunde schön timbrierten Bariton an den dunkleren Klangfarben, um die Rolle vielschichtig zum Leben zu erwecken.

Mehr freundlich wohlwollende Väterlichkeit denn Respekt einfordernde Strenge strahlte Dan Paul Dumitrescu als Graf Des Grieux sowohl stimmlich als auch darstellerisch aus; die vielen kleinen Rollen sowie auch die Damen und Herren des Chors lieferten durchwegs ausgezeichnete Leistungen ab, wobei insbesondere Miriam Kutrowatz als Pousette mit strahlendem Sopran und starker Bühnenpräsenz hervorstach.

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Pretty Yende (Manon)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Nicht mithalten mit dem hohen musikalischen Niveau konnte allerdings der szenische Aspekt, denn die Inszenierung von Andrei Serban erledigt ihre Aufgabe seit 2007 zwar zuverlässig, aber nicht sonderlich bildgewaltig oder originell. Mittels Projektionen wird das Bühnenbild etwa zum Bahnhof, zur Dachwohnung, zu den belebten Straßen von Montmartre und zu einem tristen Zwischenstopp am Weg nach Le Havre. Das funktioniert in einigen Szenen zwar sehr gut, aber eben nicht immer, denn Glamourfaktor stellt sich zwischen Pappaufstellern und grauen Kuben selbst dann nicht ein, wenn ihn die Handlung eigentlich vorgibt. Zusätzlich scheint die Personenregie mit jeder Wiederaufnahmeserie der letzten 16 Jahre unpräziser geworden zu sein, sodass die Charaktere oftmals schablonenhaft bleiben, und man auch beim tragischen Ende nicht wirklich geneigt ist, mit ihnen mitzulieben und zu leiden. Dass sowohl Yende als auch Castronovo in der stimmlichen Gestaltung der Schlussszene kein emotionales Feuerwerk zündeten, führte schließlich dazu, dass man das Opernhaus zwar von der Musik und dem Gehörten begeistert, aber emotional relativ unberührt verließ.

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