Hinreißende Komödie: Donizettis „Regimentstochter“ im Look naiver Malerei in der Oper Duisburg

Dt. Oper am Rhein/La Fille du régiment/ Foto: Jochen Quast

„Die Regimentstochter“ („La fille du régiment“) ist ein reifes Alterswerk Gaetano Donizettis, eine Komödie vom Sieg der Liebe über gesellschaftliche Konventionen. Die Inszenierung von Emilio Sagi vom 23. Januar 2000 hat nichts von ihrer Frische verloren. Im Stil naiver Malerei von Fernando Botero, der Bühnenbild und Kostüme geschaffen hat, entfaltet sich ein witziges biedermeierliches Panorama mit Anklängen an Jacques Offenbach. Elena Sancho Pereg ist eine hinreißende Marie, Andrés Sulbarán ein höhensicherer Tonio. Das Werk wurde im 19. Jahrhundert in der Pariser Opéra Comique immer am 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, gespielt. Die Inszenierung von Emilio Sagi ist eine Koproduktion der Opéra de Monte Carlo und des Grand Théatre de Genève mit der Oper am Rhein und atmet französischen Esprit. (Gesehene Vorstellung am 7. Mai 2023/Theater Duisburg)

 

„Opéra comique“ heißt nichts anderes, als dass es eine Nummernoper mit gesprochenen Dialogen ist, entsprechend dem (deutschen) Singspiel, aus dem sich später die Operette entwickelte. Das Libretto von Jules Henri Vernoy de Saint-Georges und Jean-François Alfred Bayard hat kein literarisches Vorbild, das Thema entsprach 1840 voll dem Zeitgeist. Donizetti kreierte mit der „Regimentstochter“ den Vorläufer der französischen Operette: Die Adeligen machen den Eindruck von Schauspielern, die gelegentlich auch singen. Die Musik ist spritzig und eingängig, die Militärmusik mit Trommeln und Trompeten und die lärmenden Chöre sind leicht verständlich und drücken einen naiven Patriotismus aus. Es war die Zeit des erwachenden Nationalismus, und Paris etablierte sich als führender Opernstandort in Europa. Donizetti zog 1838 nach Paris, und seine „Fille du Régiment“, Auftragskomposition der Pariser Opéra Comique, eroberte gleichzeitig mit seiner „Lucia di Lammermoor“ und drei weiteren Opern, die in Vergessenheit geraten sind, die französische Hauptstadt im Sturm.

Die Handlung beginnt in der Zeit des dritten Koalitionskrieges 1805 mit der Belagerung eines Dorfs in den Tiroler Bergen durch französische Truppen, und die Dorfleute schildern im Eingangschor große Angst vor den französischen Soldaten. Aber darum geht es nicht. Das Militär ist ein Topos der Commedia dell´Arte mit etwas tumben Offizieren, die aber das Herz auf dem rechten Fleck haben. Wie auch in Donizettis „Liebestrank“ lässt sich der jugendliche Liebhaber vom Militär anwerben, um eine Chance zu haben, seine Liebste zu heiraten. Dabei bedachte man durchaus, dass der Einsatz im Krieg lebensgefährlich war, er riskierte also sein Leben für sie. Tonio, der Tiroler Bauernbursche, wird Soldat im 21. Regiment, weil Marie ihrer „Familie“, der Truppe, versprochen hat, nur einen der Ihren zu heiraten. Marie ist als Findelkind von dem Sergeanten Sulpice aufgezogen worden und ist die ganze Zeit mit dem Regiment im Krieg gewesen. Entsprechend rau sind ihre Sitten. Die Soldaten des Regiments sind alle ihre „Väter“.

Dt. Oper am Rhein/La Fille du régiment/ Foto: Jochen Quast

Kaum ist Tonio angeworben, da taucht in den Kriegswirren die Marquise de Berkenfeld auf, die ihre verlorene Nichte sucht. Es stellt sich heraus, dass Marie diese gesuchte junge Frau ist, und dass sie die einzige Erbin der reichen Marquise ist. Blutenden Herzens trennen sich die Soldaten von Marie und geben sie in die Obhut der vermeintlichen Tante. Im Haus der Marquise lernt Marie feines Benehmen und soll mit dem einfältigen Herzog von Crakentorp verheiratet werden. Sie leidet schwer darunter, dass sie nicht mehr mit ihrem Regiment zusammen ist. Der Marquise zuliebe, die ihr offenbart hat, dass sie ihre Mutter ist, willigt Marie in die Hochzeit mit dem Herzog ein. Der Notar ist schon eingetroffen, da erscheint in letzter Minute Tonio, der mittlerweile zum Sergeanten aufgestiegen ist, und bittet die Marquise um die Hand ihrer Nichte. Die Marquise verweigert die Zustimmung, sieht sie doch Maries Glück in einer guten Partie. Marie und Tonio können voneinander nicht lassen. Er offenbart der adeligen Gesellschaft Maries „Vergangenheit“. Jetzt ist auch die Mutter umgestimmt, und so erobert Tonio seine Soldatenbraut zurück. Marie und Tonio singen die erlesensten Belcanto-Arien, gespickt mit halsbrecherischen Koloraturen und exponierten Spitzentönen. Donizetti traf mit seinem für Paris komponierten Werk den französischen Geschmack auf den Punkt und schuf mit seiner witzig funkelnden Musik einen musikalischen Spaß der Spitzenklasse. Noch im selben Jahr erarbeitete er eine italienische Fassung als Opera Buffa mit gesungenen Rezitativen.

Damit auch wirklich klar ist, dass es sich hier um eine überdrehte Komödie handelt, bei der die Soldaten und einfachen Leute als ehrlich und korrekt, die Adeligen als versnobt und vertrottelt dargestellt werden, hat man dem naiven Maler Fernando Botero das Bühnenbild und die Kostüme übertragen. Alles ist knallbunt und ganz stilisiert. Auf dem Marktplatz steht eine riesige nackte Nana-Skulptur. Boteros Masche ist es, alle Menschen als dick und rundlich darzustellen, was eine enorme Verfremdung bedeutet, vor allem bei den exerzierenden Soldaten. Nur die Duchesse de Crakentorp ist dünn wie eine Bohnenstange.

Dt. Oper am Rhein/La Fille du régiment/ Foto: Jochen Quast

Die Personenführung Emilio Sagis ist ausgefeilt, alles ist durchchoreografiert. Vor allem die Bewegungen des souverän agierenden Chors, der Dorfbewohner, Soldaten und die Festgesellschaft im Haus der Marquise darstellt, sind so koordiniert, dass sich die Gruppe synchron bewegt. Es wirkt wie Karneval im Rheinland, wenn gesetzte übergewichtige Herren in Fantasieuniformen exerzieren, und das ist wohl auch beabsichtigt. Antonino Fogliani dirigiert die mit französischem Esprit aufspielenden Duisburger Philharmoniker temperamentvoll und ausdrucksstark. Der von Gerhard Michalski einstudierte Chor exerziert schneidig und stellt Dorfbewohnerinnen, Soldaten und die Adelsgesellschaft dar.

Elena Sancho Pereg ist eine hinreißende Marie mit perlenden Koloraturen und bombensicheren Spitzentönen, die die anfangs etwas unerzogene Göre glaubhaft rüberbringt. Sie hat etwas von einem Naturkind wie Papagena, wird dann aber von der Marquise domestiziert. Andrés Sulbarán ist ein französisch geprägter Tenor mit schönem Legato und perfektem Passaggio. Die neun hohen C´s in seiner Auftrittsarie kommen auf den Punkt. Auch Tonio ist ein naiver Naturbursche, dem es am Anfang fast zum Verhängnis wird, dass er ständig um das Regiment herumschleicht, weil er hofft, Marie zu treffen. Um Haaresbreite wird er verhaftet und erschossen, denn man hält ihn für einen Spion. Tatsächlich hatte der Bauernbursche Marie zuvor gerettet, als sie beinahe in einen Abgrund gestürzt wäre, und sich umgehend in sie verliebt. Günes Gürle als Sergeant Sulpice ist ein spielfreudiger Bassbariton, dem man den Haudegen abnimmt. Alle eint die herzliche Zuneigung zu Marie, und es bricht dem Regiment das Herz, als Marie von ihrer Tante mitgenommen wird, um das Erbe anzutreten.

Susan Maclean als Marquise de Berkenfeld und Valentin Ruckebier als ihr Begleiter Hortensius sind herrlich bigott. Ihr Salon mit Klavier und Hauspersonal bedient alle Klischees adeliger Repräsentation. In weiteren Rollen glänzten Florian Simson als Duchesse de Crakentorp, Matteo Guerze als Le Duc, Žilvinas Miskiinis als Le Corporal, Ingmar Klusmann als ein Bauer und Norbert Krauthausen als Majordomo, der aussieht wie Donizetti. Cécile Tallec als Pianistin lässt Melodien von Jacques Offenbach erklingen.

Es ist eine wundervolle Komödie mit französischer Leichtigkeit und pfiffiger Musik. Freunde des Belcanto kommen voll auf ihre Kosten, und alles wird gut. Lange anhaltender Applaus im nahezu ausverkauften Haus. Die Produktion wird in der kommenden Spielzeit wieder aufgenommen.

 

 

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