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La Juive

Oper in fünf Akten
Libretto von Eugène Scribe
Musik von Fromental Halévy

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 25' (eine Pause)

Premiere  im Opernhaus Dortmund am 6. November 2022
(rezensierte Aufführung: 19.05.2023)




Theater Dortmund
(Homepage)
Unüberwindbarer Konflikt der Religionen

Von Thomas Molke / Fotos: © Thomas M. Jauk

Im Rahmen eines neu zu schmiedenden Rings des Nibelungen hat der Dortmunder Opernintendant Heribert Germeshausen ein Festival ins Leben unter dem Titel Wagner-Kosmos ins Leben gerufen. Zur Premiere der jeweiligen Wagner-Oper gibt es neben einem interdisziplinären Symposion auch bedeutende, zukunftsweisende Werke von Vorläufern, Zeitgenossen, Antipoden und Nachfolgern des deutschen Komponisten. Nach Gaspare Spontinis Opéra Fernand Cortez oder Die Eroberung von Mexiko im vergangenen Jahr steht nun Fromental Halévys La Juive auf dem Programm, die bereits 2022 kurz vor den Gedenktagen an die Novemberpogrome in Dortmund Premiere feierte und deren Dernière nun im Rahmen des Festivals zu erleben ist. Es mag schon erstaunen, dass der bekennende Antisemit Wagner, der die meisten Komponisten seiner Zeit nur mit boshafter Kritik und Häme bedachte, ausgerechnet den deutschstämmigen Juden Halévy überschwänglich feierte und sich von dessen Instrumentierung für seinen Ring, Lohengrin und Die Meistersinger von Nürnberg inspirieren ließ. Dass dann das hochgelobte Stück auch noch La Juive hieß, das Wagner bei einer Aufführung in Dresden 1838 ins Schwärmen brachte, legt nahe, dieses Werk in den Rahmen des diesjährigen Wagner-Kosmos zu stellen.

Halévys Grand Opéra zählt zu den bedeutendsten Werken dieses Genres und konnte nach der Uraufführung am 23. Februar 1835 einen so großen Erfolg verbuchen, dass es allein an der Pariser Oper die nächsten 60 Jahre über 500 Mal gespielt wurde. Die große Arie des Juden Éléazar am Ende des vierten Aktes, "Rachel, quand du seigneur" entwickelte sich zu einem Highlight, das zum Standardrepertoire namhafter Tenöre gehört. Erst mit dem Erstarken der Nationalsozialisten verschwand das Werk zu Beginn der 1930er Jahre von den Spielplänen. Wieso es nach dem Krieg in Deutschland zunächst nicht wieder ins Repertoire aufgenommen wurde, kann nur vermutet werden. Immerhin ist das Stück mit Blick auf den Charakter des Juden Éléazar nicht unproblematisch. Vielleicht traute man sich nach den Gräueltaten der Nationalsozialisten nicht, in Deutschland ein derartiges Bild eines Juden auf der Bühne zu präsentieren. So gewann das Stück erst in den 1990er Jahren hier wieder mehr an Popularität, nicht zuletzt durch die Verdienste des Tenors Neil Shicoff, der die Partie des Éléazar in zahlreichen Produktionen verkörperte. Auch für Dortmund hat das Werk eine besondere Bedeutung. Zum einen stellte der damalige Intendant John Dew es 1994 im Rahmen seiner Pflege großer französischer Opern auf den Spielplan. Zum anderen steht das Dortmunder Opernhaus genau an der Stelle, wo sich vor dem Zweiten Weltkrieg die jüdische Synagoge befunden hat. Wenn also auf der Bühne im zweiten Akt das Passahfest gefeiert wird und man sich bewusst macht, dass an diesem Ort vor über 100 Jahren Juden wirklich dieses Fest feiern konnten, stimmt das schon ein wenig nachdenklich.

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Éléazar (hier: Mirko Roschkowski, Mitte) ist gegen eine Verbindung zwischen Rachel (Barbara Senator) und Léopold (Sungho Kim, rechts).

Das Stück spielt zur Zeit des Konzils von Konstanz um 1414. Die zusammengekommene Menge fühlt sich von Éléazar provoziert, weil er an einem Sonntag in seiner Goldschmiede arbeitet. Das Eingreifen des Kardinals de Brogni verhindert, dass Éléazar verhaftet wird. Dennoch betrachtet Éléazar den Kardinal als seinen größten Feind, da dieser einst in Rom dafür verantwortlich war, dass Éléazars Söhne hingerichtet wurden und er selbst in die Verbannung gehen musste. Als de Brogni bei den folgenden Unruhen in einem Brand seine Familie verlor, konnte Éléazar die kleine Tochter de Brognis retten und zog sie unter dem Namen Rachel wie ein eigenes Kind auf.  Rachel verliebt sich nun als junge Frau in den Reichsfürsten Léopold, der sich zunächst als Jude ausgibt. Als er Rachel gesteht, dass er Christ ist, will sie mit ihm fliehen, wird aber von Éléazar überrascht. Dieser ist bereit, die Verbindung zu akzeptieren, wenn Léopold zum jüdischen Glauben konvertiert und Rachel heiratet. Das geht allerdings nicht, da Léopold bereits mit der Nichte des Kaisers, Prinzessin Eudoxie, verheiratet ist. Daraufhin klagt Rachel ihn öffentlich an, und Léopold, Rachel und Éléazar droht die Todesstrafe. Eudoxie fleht Rachel an, ihre Aussage zurückzuziehen. Éléazar überlegt, ob er Rachels wahre Identität preisgeben soll, um sie vor der Hinrichtung zu retten oder ob sein Hass auf de Brogni größer ist. Rachel widerruft ihre Anschuldigung gegenüber Léopold, um den Geliebten zu retten, ist aber selbst nicht bereit, zum christlichen Glauben zu konvertieren, um der Todesstrafe zu entgehen. Nach ihrem Tod verrät Éléazar de Brogni, dass er soeben seine eigene Tochter hat hinrichten lassen.

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Léopold (Sungho Kim, Mitte), Rachel (Barbara Senator) und Éléazar (hier: Mirko Roschkowski, rechts) werden von Kardinal de Brogni (Karl-Heinz Lehner, links) und Ruggiero (Mandla Mndebele, 2. von links) angeklagt.

Das Regie-Team um Sybrand van der Werf betont die Allgegenwärtigkeit des Religionskonfliktes, indem die Geschichte nicht in einer bestimmten Zeit verortet ist. Das Bühnenbild, für das van der Werf gemeinsam mit Martina Segna verantwortlich zeichnet, ist daher relativ abstrakt gehalten. Ein riesiger Einheitsraum mit kahlen Wänden deutet sowohl den Platz an, auf dem die Volksmenge zu Beginn des ersten Aktes zusammenkommt, als auch den Raum, in dem die jüdische Gemeinde im zweiten Akt das Passahfest feiert. Auf der linken Seite bieten gardinenartige Vorhänge eine Möglichkeit zum Auftritt. Auf der rechten Seite befindet sich eine Gittertür, hinter der sich Éléazars Werkstatt befindet. Zu Beginn der Oper stört er die geltende Feiertagsruhe nicht mit seiner Arbeit in der Werkstatt, sondern damit, dass er versucht, die Tür zu seiner Werkstatt zu öffnen und dabei gehörigen Lärm macht. Außerdem befindet sich auf der rechten Seite ein Wasserhahn, der direkt aus der Wand kommt. Hier wäscht sich der Kardinal die Hände, nachdem er sie zuvor Rachel gereicht hat, womit eine unterschwellige Form des Antisemitismus angedeutet wird. Ob der Rest eines goldenen Gitters, das sich im linken Bühnenhintergrund an der Oberseite der Rückwand befindet, eine Anspielung auf die alte jüdische Synagoge darstellen soll, die vor dem Zweiten Weltkrieg an dieser Stelle gestanden hat, kann nur gemutmaßt werden. In diesem Ambiente treten die Figuren in modernen Kostümen auf. Nur der Kardinal de Brogni und die übrigen Würdenträger der Kirche heben sich von der Menge ab. Der Kardinal trägt eine rote Robe, und der Stadtvogt Ruggiero und sein Kollege Albert erinnern in ihren weißen Umhängen mit den großen roten Kreuzen an Kreuzritter. Auch Léopold hat dieses Gewand bei sich, wenn er sich Rachel gegenüber als Christ zu erkennen gibt, während er vorher mit einer jüdischen Kippa aufgetreten ist.

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Éléazar (hier: Mirko Roschkowski) in einem Gewissenskonflikt

Nach der Pause hat sich der Raum dann in einen festlichen Saal verwandelt. Eine riesige Blumenkugel hängt aus dem Schnürboden herab und die Bühne ist mit zahlreichen geschmückten Stühlen ausgestattet. Der Chor trägt nun feine Abendgarderobe. Statt der für die Grand Opéra obligatorischen Balletteinlage gibt es eine Filmeinspielung an der Rückwand. Die Gesellschaft schaut dabei zur Musik, die wie bei einer alten Schallplattenaufnahme knistert, den erfolgreichen Eroberungszug eines Kreuzritters. Damit wird wohl auf Léopolds Sieg gegen die Hussiten angespielt. Wieso Rachel allerdings bei der Übergabe des von ihrem Vater angefertigten Schmuckstückes an Prinzessin Eudoxie wie ein knallgelbes Bonbon in einem ausladenden Tüllkleid auftritt, erschließt sich nicht. Für die anschließende Kerkerszene wird dann der Bühnenboden hochgefahren. Vor einer feuerroten Rückwand mit angsteinflößenden Monsterköpfen gestaltet van der Werf in einer eindringlichen Personenregie die Szenen zwischen Eudoxie und Rachel, de Brogni und Rachel, de Brogni und Éléazar und Éléazars folgenden großen Monolog, in dem er überlegt, ob er seine Tochter Rachel wirklich seiner Rache an de Brogni opfern will. In der Projektion eines alten Familienbildes wird er dabei an das vergangene Glück erinnert, was ihm eine Entscheidung noch erschwert. Für den fünften Akt ist dann das Volk auf der Bühne zusammengekommen, um der Hinrichtung beizuwohnen. Jetzt erst wird Rachel aus ihrem furchtbaren Kostüm befreit und im weißen Unterrock abgeführt. Wenn Éléazar dann am Ende den Kardinal an den Kopf schleudert, dass er gerade seine eigene Tochter hat töten lassen, erscheint Rachel als ans Kreuz Geschlagene in einem Lichtkegel im Hintergrund.

Wie bei dem Schlussbild, wenn de Brogni und Éléazar zusammengekauert in einem Lichtstrahl vor der Bühne ihren Verlust betrauern, fragt man sich auch vor der Pause am Ende des zweiten Aktes, ob es hier überhaupt angebracht ist zu klatschen. Éléazar hat hier gerade Bilder von entfesselter Gewalt gegen Juden vor seinem geistigen Auge Revue passieren lassen. Mit schonungsloser Brutalität sieht man, wie ein als Kardinal gewandeter Teufel aus der Tiefe emporsteigt und mit einem langen Schwert und Unterstützung der Masse Jüdinnen und Juden wie Tiere die Treppe hinab in den Bühnenboden drängt. Zuvor werden die Jüdinnen und Juden mit grellen Lichtkegeln ausgemacht, und auch Éléazar befindet sich am Ende in einem derartigen Kegel vor der Bühne. Da sitzt der Schock eigentlich so tief, dass man nicht weiß, wie man diese Bilder verarbeiten soll. Vielleicht bietet aber auch gerade der Applaus eine Befreiung aus dieser Starre, zumal dies alles vom Ensemble bewegend und eindrucksvoll umgesetzt wird.

Die musikalische Umsetzung bei der Dernière lässt keinerlei Wünsche offen. Für die Partie des Éléazar ist Anton Rositskiy als Gast verpflichtet worden. Mit höhensicherem und strahlendem Tenor meistert er die anspruchsvolle Rolle großartig und unterstreicht darstellerisch den ambivalenten Charakter der Figur. Die große Arie zum Ende des vierten Aktes avanciert zu einem musikalischen Glanzpunkt des Abends und wird zu Recht vom Publikum mit großem Jubel bedacht. Barbara Senator begeistert in der Titelpartie mit leuchtendem Sopran und klaren Höhen, die die Reinheit der Figur hervorheben. Bewegend zeichnet sie den Leidensweg der Titelfigur. Wenn sie das Angebot ihres Vaters, gerettet zu werden und ihn allein in den Tod gehen zu lassen, brüsk ablehnt, geht Senators innige Interpretation unter die Haut. Karl-Heinz Lehner gestaltet den Kardinal de Brogni mit dunklem Bass und profunden Tiefen einerseits als große gefürchtete Autorität, der andererseits aufgrund seines schlechten Gewissens Éléazar gegenüber und seiner ihm unerklärlichen Gefühle für Rachel Milde walten lassen will. Am Ende ist er genauso gebrochen wie Éléazar. Sungho Kim verfügt als Léopold über einen hellen, lyrischen Tenor mit weich fließenden Bögen. Enkelada Kamani punktet als Prinzessin Eudoxie mit beweglichen Koloraturen und kräftigen Höhen. Ein musikalischer Glanzpunkt ist ihre Szene mit Rachel im vierten Akt, wenn sie um Gnade für den Geliebten bittet. Hier finden Senator und Kamani stimmlich und darstellerisch zu einer bewegenden Innigkeit. Mandla Mndebele gibt den Stadtvogt Ruggiero mit leicht polterndem Bariton und boshaftem Spiel.

Weiterer Höhepunkt des Abends ist der von Fabio Mancini um den Projekt-Extrachor erweiterte Opernchor Dortmund. Fulminant überzeugt der Chor bei den Massenszenen im ersten, dritten und fünften Akt stimmlich durch große Homogenität und gewaltigen Klang und unterstreicht darstellerisch die Feindschaft, die zwischen Christen und Juden auf der Bühne herrscht. Die Dortmunder Philharmoniker runden unter der Leitung von Philipp Armbruster den Abend musikalisch aus dem Graben nuanciert ab, so dass es zu Recht großen Applaus für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Halévys Oper ist leider immer noch hochaktuell und verdient eine Auseinandersetzung auf der Bühne, vor allem wenn sie so eindringlich gelingt wie in Dortmund.

 

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Philipp Armbruster

Inszenierung und Bühne
Sybrand van der Werf

Bühne
Martina Segna

Kostüme nach Entwürfen von
Annette Braun

Licht
Kevin Schröter

Videodesign
Alexander Hügel

Choreinstudierung
Fabio Mancini

Dramaturgie
Daniel C. Schindler

 

Dortmunder Philharmoniker

Opernchor Theater Dortmund &
Projekt-Extrachor

Statisterie Theater Dortmund

 

Solistinnen und Solisten

*rezensierte Aufführung

Prinzessin Eudoxie
*Enkeleda Kamani /
Nina Minasyan

Rachel
Barbara Senator

Éléazar
Mirko Roschkowski /
*Anton Rositskiy

Kardinal de Brogni
*Karl-Heinz Lehner /
Denis Velev

Léopold
Sungho Kim

Ruggiero
Mandla Mndebele

Albert
Daegyun Jeong

Haushofmeister des Kaisers
Hiroyuki Inoue

Ein Henker
Carl Kaiser

 


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