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  3. Barrie Kosky inszeniert Händels „Hercules“ in Frankfurt

Kultur Barrie Koskys Händel

Auch Ehen von Halbgöttern sind die Hölle

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Szene aus Georg Friedrich Händels „Hercules“ an der Frankfurter Oper Szene aus Georg Friedrich Händels „Hercules“ an der Frankfurter Oper
Szene aus Händels „Hercules“ an der Frankfurter Oper
Quelle: Oper Frankfurt
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Georg Friedrich Händels Oratorium „Hercules“ war vor gut 300 Jahren ein Flop in London. Der Star-Regisseur Barrie Kosky hat es jetzt in Frankfurt auf die Opernbühne gestellt. So gegenwärtig war das Stück noch nie.

Die Frau sitzt unter Schleiern, der halbnackt-muskulöse Mann scheint versteinert. Ein seltsames Paar hat da auf einem lila Sofa Platz genommen, das ganz allein auf einer dreieckigen, von hellhölzernen Wänden und einem ebensolchen Bühnenrahmen abgegrenzten Spielfläche steht.

Sie ist in ihrer Trauer verpuppt, er eigentlich noch gar nicht da, deshalb nur als Ersatzstatue vorhanden. Die beiden sind Dejanira und ihr Mann Hercules, Protagonisten des gleichnamigen Händel-Oratoriums, das erstmals an der Frankfurter Oper in einer Inszenierung von Barrie Kosky theatralisiert wird. Hier wird das Ende ihrer Ehe verhandelt – und es wird schlecht ausgehen.

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Auf immerhin drei Auftritte bringt es der griechische Halbgott Hercules im üppigen Opern- wie Oratorienschaffen Georg Friedrich Händels: Im 1727 uraufgeführten „Admeto“ darf er als rustikal-komischer, einfach muskelgestrickter Deus ex Machina die Königin Alceste in der Unterwelt gegen den Höllenhund Cerberus verteidigen.

1750 taucht er im „Musical Interlude“ namens „The Choice of Hercules“ neuerlich auf. Fünf Jahre vorher hat Händel dem Helden sogar ein abendfüllendes Oratorium gewidmet, einfach „Hercules“ geheißen und ein ziemlicher Misserfolg. Weil weltlichen Inhalts und mit einer eher knappen Chorpartie versehen, zählt es – wie die „Semele“ – zu den „Musical Dramas“, die sich durchaus auch für die Opernbühne eignen.

Nach einer spektakulären, seit 2004 von Aix-en-Provence aus international tourenden Produktion von Luc Bondy und William Christie mit Joyce DiDonato gab es das selten zu sehende, aber musikalisch so packende wie stringente Werk zuletzt 2022 bei den Händel-Festspielen am Staatstheater Karlsruhe – als komplexe Politparaphrase auf eine US-Präsidentschaft.

Die Rückkehr aus dem Krieg

Im „Hercules“ hat bereits die fluffige Ouvertüre einen hellen, straffen, rhythmisch glucksigen Händel-Sound, der unter Laurence Cummings auch weiterhin treibt und fesselt, obwohl das sagenhafte Geschehen traurig ist. Händel und sein Librettist Thomas Broughton erzählen das düstere, finale Hercules-Kapitel.

Der kehrt wieder mal aus einem Krieg zurück, anders als Penelope wartet seine Gattin Dejanira aber nicht ergebungsvoll auf die Rückkehr ihres Kriegsreisenden, sondern rast vor Eifersucht. Vor allem, weil Hercules schon mal vorab die gefangene Königstochter Iole schickt, in der Dejanira eine Nebenbuhlerin vermutet.

Als letztes Heilmittel fällt ihr ein Liebeszauber ein, den ihr der von Hercules zur Strecke gebrachte Zentaur Nessus empfohlen hatte: Sein aufgefangenes Blut, geträufelt auf ein Kleidungsstück, macht jeden müden Mann wieder munter. Leider eine Lüge aus Rache: Hercules sitzt in seinem Mantel in den Nesseln, reißt sich das ätzende Ding samt Haut vom Leib und stirbt unter Qualen, von seinem Vater Zeus als Adler in den Olymp geholt. Dejanira wird darüber wahnsinnig. Die Herrschaft übernehmen ab jetzt ihr Sohn Hyllus mit der von ihm angebeteten Iole.

Sie küssten und sie schlugen sich: Händel in Frankfurt
Sie küssten und sie schlugen sich: Händel in Frankfurt
Quelle: Oper Frankfurt

Gestützt auf Ovid, Sophokles und Seneca ist „Hercules“ ein reiches Werk mit knappen Arien, affektsatten Rezitativen und schlicht-schönen Chören. Klar, scharf, subtil wie im Schauspiel – und sehr heutig. Das macht Barrie Kosky schnell deutlich, der das mythologische Drama auf einen Ehekrieg mit fast tänzerisch durchgestalteten Choreinwürfen und -anfeuerungen verknappt. Das aber in exzellent eng geführter, subtil doppeldeutiger Personenregie.

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Der heimkehrende Hercules (basswuchtig, aber einfarbig: Anthony Robin Schneider) ist ein unerträglicher Macho, aber auch Dejanira, erst in Trauerschwarz, dann aggroblumenbunt gekleidet, lässt sich als Vernachlässigte die Butter nicht vom Brot nehmen. Hier stehen die Zeichen auf Kampf, man küsst und schlägt sich.

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Zumal auch das zweite Paar, der verwöhnte Sohn Hyllus (greinend: Michael Porter), der sich in die zunächst unwillige Iole (tückisch: Elena Villalón) verguckt, erst einmal auf eine Balance aus Abstoßung und Zuneigung kommen muss. Abgefeimt Öl ins Emotionsfeuer kippt die Hercules‘ Schwester Lichas (Kelsey Lauritano).

Das ist alles sehr dicht gearbeitet und raffiniert ausgeleuchtet, braucht wegen des zunächst statischen Stückcharakters aber Zeit, bis es auf Betriebstemperatur kommt. Doch die temperamentgespannte Paula Murrihy, mit der Kosky hier zum dritten Mal in Frankfurt unbedingt arbeiten wollte, nimmt die Dejanira als tolle Albtraumrolle für Mezzos an.

Großartig gestaltet in ihrem widerstreitenden Gefühlsspektrum, sich virtuos wie emotional fordern lassend – vom sehnenden Bangen der ihren Mann Entbehrenden bis zur atemraubend durchstrukturierten Scena di Follia, die zur angsterregenden, bisweilen den schönen Ton negierenden Wahnsinnsszene als großes Accompagnato-Rezitativ sich steigert.

Die Inszenierung als Liebesgabe für eine Protagonistin – auch schön. Und bis auf die im Finale albern Dampf ablassende Hercules-Statue gelungen.

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