Voltaire wusste es; Arbeit hält drei große Übel fern: die Langeweile, das Laster und die Not. Man kann Dmitri Schostakowítschs Lady Macbeth von Mzensk natürlich mit „Sex, Gewalt und Mord“ überschreiben, aber der Handlungsfaden ist – wie auch die zugrundeliegenden Novelle von Nikolai Leskov – nach Voltaires Diktum gestrickt: Es beginnt alles damit, dass sich die unglücklich, aber wohlhabend verheiratete Katerina Ismailowa furchtbar langweilt, und über das Laster einer Liebschaft mit ihrem Untergebenen Sergej zu morden beginnt.

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Elena Mikhailenko (Katerina Ismailowa)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper

Zuerst kommt der despotische Schwiegervater durch Rattengift zu Tode, was sich noch mit aufgewärmten Pilzen erklären lässt. Vielleicht war er auch durch Sergejs Auspeitschung nach der Entdeckung der Affäre (dem Auslöser für Katerinas Rache) überanstrengt. Den faden Ehemann bringt das Liebespaar bei der Rückkehr von einer Geschäftsreise schon gemeinsam um, aber nach Entdeckung der Leiche durch einen Angestellten – just bei der Hochzeit von Katerina und Sergej – ist es Schluss mit Lust und Liebe. Sergejs Liebe erlischt vermutlich noch bevor die beiden das Straflager erreichen, nicht aber seine Lust auf Frauen… Am Ende steht Katerina vor den Trümmern ihres Lebens und ihrer Liebesillusion, und bringt sich und ihre Nebenbuhlerin Sonetka um.

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Elena Mikhailenko (Katerina Ismailowa) und Dmitry Golovnin (Sergej)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper

Das alles könnte man sehr roh und graphisch inszenieren, doch war das 2009 nicht die Herangehensweise von Matthias Hartmann an der Wiener Staatsoper. Viel wird abstrahiert (oft wird die Bühne nur von Katerinas ausgeleuchteten Bett dominiert), einiges sogar unterspielt – die Stockhiebe bremsen weit über Sergejs Rücken, und die von Gutsarbeitern sexuell massiv bedrängte Axinja „schützt“ Hartmann mit einer stählernen Kiste auf Rollen. Wie sie darin herumgeschubst wird, ist ohnehin genug Sittenbild und Metapher, wie früher mit Frauen umgesprungen wurde (und leider oft auch noch wird). Mehr Drastik ist gar nicht notwendig, denn die gelungene Personenführung und Schostakowitschs Musik, die alle Gefühlsschattierungen in diesem Stück mit einer überwältigenden Direktheit darstellt, komplettieren den Eindruck ohnehin.

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Elena Mikhailenko (Katerina Ismailowa) und Günther Groissböck (Boris Ismailow)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper

Das Werk wurde bei seiner Premiere Anfang 1934 begeistert aufgenommen, kaum zwei Jahre später aber von Stalin verdammt und in der Prawda als „linkes Chaos anstelle von natürlicher, menschlicher Musik“ verunglimpft, während der zeitgenössische Kritiker der New York Sun „Schlafzimmer-Musik“ bzw. „pornografische“ Musik hörte. Ja, in dem Stück geht es an zumindest zwei Stellen eindeutiger als im Rosenkavalier-Vorspiel zu, aber das gilt auch für seine musikalischen Gewalt- und Liebesdarstellungen. Sie sind einfach treffend, und in ihrer schrägen Rhythmik und mit pointiert gesetzten Dissonanzen so raffiniert gemacht, dass die bekannte Essenz einer Situation wie im Surrealismus überhöht dargestellt wird. Die Peitschenszene lässt fühlen, dass Derartiges im vorrevolutionären Russland auch Volksbelustigung war, und die offenbar vom Alkohol abgestumpften Polizisten, welche die auch nicht nüchtern zelebrierte Hochzeit crashen, sind ohnehin pure Satire.

Alexander Soddy zelebriert am Pult des Staatsopernorchesters einen Farben-, Rhythmus- und manchmal auch Lautstärkenrausch; dennoch verwirklicht er sein Ideal eines transparenten Klanges. Die tadellose Koordination von Graben, Bühnenmilitärmusik, Chor und Sänger*innen verdient ebenso Bewunderung wie die feinen Soli und kammermusikartige Passagen.

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Dmitry Golovnin (Sergej) und Maria Barakova (Sonjetka)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper

Musikalisch stimmte an diesem Abend stimmte einfach alles, zumal von der Titelpartie bis hin zur kleinsten Nebenrolle Spitzenleistungen zu hören waren. Elena Mikhailenko gibt eine sinnliche Katerina, die in ihrem Mut und ihrer Selbstbestimmtheit an Carmen erinnert, und in ihrer Ergebenheit – schließlich ist Sergej ihre erste große Liebe – an Desdemona. Der metallische Kern ihrer Stimme ist für die Partie perfekt und durchdringt das Orchester mühelos – eine stupende Darbietung. Dmitry Golovnin lässt einen vorlauten Sergej hören, schließlich gewinnt er seine Katerina nicht mit zärtlichem Turteln, sondern durch Herausforderung. Katerinas Ehemann Simowi gibt Andrei Popov mit der Aura des Geschäftsmanns, der privat nichts auf die Reihe bekommt und erst in seiner Eifersucht Profil zeigt.

Günther Groissböck singt den Familientyrannen Boris, der mit Katerina lieber selbst für Nachkommen sorgen würde. Mit dem Gecken von Sohn im Samtanzug kann er nicht zufrieden sein, doch muss er sich darauf beschränken, der Schwiegertochter Vorwürfe zu machen. Mit Boris hat Groissböck eine weitere Ungustl-Partie erobert – so abstoßend, dass man unbedingt hinschauen und -hören muss.

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Dmitry Golovnin (Sergej) und Elena Mikhailenko (Katerina Ismailowa)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper

Als sexuell schwer belästigte Axinja gibt Evgeniya Sotnikova eine extrem beklemmende Darstellung. Beklemmend auch, wie Maria Barakova als Sonetka sich für ein Paar Strümpfe prostituiert, welche ihr Sergej im Straflager mit einer List direkt von Katerinas Beinen besorgt. Sonetka verfällt Sergej ebenso wie Katerina, macht aber einen fatalen Fehler: die niederträchtige Verhöhnung der Betrogenen bezahlt sie mit ihrem Leben.

Thomas Ebenstein gibt eine phänomenale Darstellung als Der Schäbige samt Trinklied, und Evgeny Solodovnikov die Karikatur eines Popen: Nach Boris‘ Tod schwingt letzterer das Tanzbein, und sein Lob auf Katerinas Schönheit bei der Hochzeit ist so befremdlich wie der prügelnde Umgang der Polizisten mit ihren Gefangenen (etwa Carlos Osuna als spontan festgenommener Lehrer) unter der Führung von Attila Mokus als Polizeichef. Extrem berührend ist die Darbietung von Dan Paul Dumitrescu als Alter Zwangsarbeiter: Ein Stern von Menschlichkeit und Würde in der Finsternis des Straflagers. Ein denkwürdiger Opernabend mit viel Applaus für großes Musiktheater.

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