Der Schmerz der Ehrlichkeit im roten Fresko – „Rigoletto“ in der Staatsoper Unter den Linden

Staatsoper unter den Linden / Saalansicht/ Berlin/ © Gordon Welters phone +49 170 8346683 e-mail: mail@gordonwelters.com http://www.gordonwelters.com
Staatsoper unter den Linden / Saalansicht/ Berlin/ © Gordon Welters

Die Staatsoper Unter den Linden begrüßt im Spätfrühling eine Kooperation mit der Metropolitan Opera New York, die im Juni 2019 erstmals auf der Berliner Bühne aufgeführt wurde: Verdis Rigoletto inszeniert von dem US-amerikanischen Regisseur Bartlett Sher. In New York als Vorstellung des Silvesterabends 2021 gespielt, lockt sie nun auch bei frühsommerlichen Temperaturen das deutsche Publikum. (Rezension der gesehenen Vorstellung v. 4.6.2023)

 

Bartlett Shers Inszenierung spielt fast gänzlich in den Räumlichkeiten des Herzogs von Mantua, einem Ballsaal verziert mit Säulen und rot-lastigen Fresken voller abstrakter Gesichter und Szenen. (Bühne Michael Yeargan). Frauen, ihre Kleider schimmernd und perlig wie Champagner, werden vom Herzog und seinen Höflingen umgarnt. Dass etwas Verkommenes in der Gesellschaft der Reichen und Schönen schwelt, lassen die Kostüme einiger Höflinge erahnen: kniehohe Lederstiefel, Reiterhosen und Jacken in schwarz sowie silberne Gürtelschnallen bei den Herren wecken Assoziationen an faschistische Uniformen. (Kostüme: Catherine Zuber). Diese ästhetisch-bedrohliche Gesellschaft des Hofes verlässt man bildlich sowie wortwörtlich kaum, denn Rigolettos Haus und Sparafuciles Kneipe werden als halbe Querschnitte realistischer Häuser mit zwei Stockwerken von der Seite ins Bild geschoben.

Staatsoper Berlin/RIGOLETTO/Foto: Brinkhoff/Mögenburg

Sher spielt, leider ohne größere Pläne zu verfolgen, mit einem subtilen Farbschema – die heißblütige und erhabene Gesellschaft am Hofe missbraucht ihre Macht, wie es ihr passt und wird mit der Farbe Rot assoziiert, sichtbar durch den Mantel des Herzogs, seine Fresken und den roten Streifen auf Rigolettos Wams, der jedoch mehr als Leibeigener des Herzogs zum Hof gehört statt als vollwertiges Mitglied. Blau, das im Christentum als weiblich assoziiert wird, findet sich stets in Gildas Kostüm und lässt die Kulisse in einem ruhigen Licht erstrahlen, wenn die elterliche Liebe aufblühen darf. Sparafucile und Maddalena bedienen sich in ihren Kostümen hingegen unterschiedlichen Grüntönen und bilden ihre eigene, ganz unabhängige Partei.

Die Funktion dieses Farbschemas bleibt jedoch stets im Illustrierenden. Dass Maddalena sich dem Herzog hingezogen fühlt, singt sie ohnehin; ihre feuerrote Perücke hätte es nicht gebraucht, genauso wenig wie das rote Blitzgewitter, wenn sich Gilda im Vordergrund der Szene vor der Kneipe entscheidet, für ihren betrügerischen Schwarm zu sterben – eine Szene, die im Übrigen mit dramatischen Gesten und Lichteffekten als übermäßig plakativ hervorsticht in ihrer Betonung, dass dies Gildas ganz eigene feste Entscheidung ist, wenngleich nicht eine vernünftige. Ein Farbschema als Anzeiger wechselnder Loyalitäten sowie die traditionelle und sehr gediegene Ästhetik der Inszenierung bestechen daher visuell – aber nicht der Verdacht, dass man in der exakt gleichen Kulisse höchst praktisch eigentlich auch Macbeth, Simon Boccanegra oder ein beliebiges anderes Verdi-Drama aufführen könnte, das eines imponierenden Saales bedarf. Die bösartig lustige und daher tragische Essenz des Rigoletto fängt Shers Inszenierung per se kaum ein. Das Unwirkliche und Groteske dieses Opernplots blitzt gelegentlich hervor, wenn adelige Töchterdiebe mit Zorro-Masken nachts mit Taschenlampen umherschleichen, doch von gezielter, gar scharfzüngiger Parodie im Tarnmantel der traditionellen Ästhetik ist diese Inszenierung sehr weit weg.

Dennoch gelingen viele Szenen dank starker Auftritte gerade im zweiten Akt. Wie Rigoletto den selbstbewussten Höfling Marullo (Carles Pachon) kniend anfleht, ihm seine Tochter zurückzugeben, weckt im Kontext der schneidigen, ansatzfaschistischen Uniformen am Hofe böse Assoziationen zu historischen Ideen, wer als vollwertiger Mensch zur Gesellschaft zählen darf – Rigoletto mit seiner körperlichen Fehlbildung, dem Buckel, jedenfalls nicht.

Staatsoper Berlin/RIGOLETTO/Christopher Maltman (Rigoletto) und Nadine Sierra (Gilda)
Foto@ Brinkhoff/Mögenburg

Dabei liefert Christopher Maltman als Titelfigur eine Parade an Menschlichkeit; in seinen Sticheleien spielt er scharfkantige Fassade und bitter-einsames Inneres des Hofnarren gleichzeitig – paranoid, aber nie unverständlich; finster, doch ganz eigen liebenswert. Sein gewichtiger Bariton, dunkel und frei knarrend, scheut keine komplexe Phrasierung, um das große emotionale Spektrum der Rolle abzudecken, gerade in den schwierigen Momenten wie dem zärtlichen „Piangi, fanciulla“, vielleicht einem heimlichen Herzstück der Oper. Dieses vokale Engagement gepaart mit höchst ausdrucksstarken Gesichtszügen tragen eine fast brutale Ehrlichkeit der Darstellung in sich, die am Ende Begeisterungsstürme hervorrufen.

Diese erhält auch höchst verdient Nadine Sierra – selbst mit angekündigtem leichtem Heuschnupfen tönt als Gilda mit schnellem Vibrato ihr engelhaft schillernder Sopran, der gerade in der Grenze zur oberen Lage eine besondere Wärme annimmt. Bei den hohen Tönen der Stimme vibrieren die Ohrenspitzen der Zuschauer ganz leicht – ein „Caro Nome“, als hätte man das Ohr an ihre Rippen gelegt und ins glücksschwebende, träumende junge Herz reingehorcht. Diagnose: schwer verliebt, Prognose: tödlich. Was ein himmlischer Zustand!

Francesco Demuro gibt im italienisch-strahlenden Tenor einen Herzog von Mantua mit sahnigem Klang, hell und kraftvoll bis in luftige Höhen. „La donna è mobile“ wird (zum Glück!) nicht zum Solo-Highlight des Abends, sondern ein hochgelungener Moment inmitten von vielen. Besonders erwähnenswert ist aber doch „Bella figlia dell’ amore“, das dank haltloser Passion zu einem offenbarenden Moment wird. Wie die anderen Hauptfiguren hat auch dieser Herzog etwas unbequem Ehrliches – möglicherweise belügt er sich selbst gar nicht, dass er der Sklave eines Liebesgottes auf einem Thron sei, wie er einen Akt zuvor sang, sondern glaubt es gar wirklich.

Sparafucile, Grigory Shkarupa als Verdis Mörder vom Dienst, wirkt abseits dieser Welt der haltlosen Liebe erschreckend normal mit beherrschtem, geschmeidigem Bass und sattem Mittelregister. Doch auch die tiefen Töne bei der Wiederholung seines Namens beeindrucken in ihrer sonoren Treffsicherheit. Adam Kutnys Monterone singt höhenstark, aber leider nicht furchteinflößend – seine Drohungen erreichen das Publikum aus einer choristenhaft starren Haltung. Maddalena (Anna Lapkovskaya) dagegen absolviert ihren Auftritt mit dunkel poliertem Mezzo und einer ordentlichen Prise rabiatem Pragmatismus; Maria Hegele vollendet als Giovanna die gelungene Besetzung.

Staatsoper Berlin/RIGOLETTO/Christopher Maltman (Rigoletto) und Nadine Sierra (Gilda)
Foto @ Brinkhoff/Mögenburg

Für Giuseppe Mentuccia am Pult der Berliner Staatskapelle müssen Tragödien zu Beginn keine großen Töne spucken – die Ouvertüre beginnt leise und arbeitet sich erst zu Lautstärke hinauf. Das Dirigat insgesamt gestaltet sich eher weich, viel mehr eine Annährung an Gildas junge Psyche als an die des verhärteten Rigoletto. Es schlägt elegante Kapriolen während ihres ersten Auftritts, lässt sanfte Flöten während ihrer Wiederholung von „Gaulthier Maldé“ erklingen und spendet ein begrüßenswert bedrohliches Donnergrollen während des Entführungschores „Zitti, zitti“. Erzählt sie ihrem Vater von dem Herzog, meint man, durch das Orchester ihren Herzschlag zu hören. Einzig eine schnellere Loslösung von ihrer Psyche wäre während „Sì, vendetta“ wünschenswert gewesen, damit die väterliche Rachestimmung wenigstens einmal so richtig krachen darf. Dennoch mangelt es nicht an Intensität oder Entschiedenheit aus dem Orchestergraben, denn das letzte Finale wird begrüßenswert dramatisch gestaltet.

Nach dieser letzten Vorstellung der Serie verabschiedet sich die Inszenierung vorerst. Einige Sänger winken beim letzten Vorhang ins Publikum, manche im Saal geben das Klatschen auf, um zurückzuwinken: auf Wiedersehen, hoffentlich, wir hätten euch gern noch länger zugesehen als Verdis zwei Stunden vierzig.

 

  • Rezension von Lynn Sophie Guldin / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Staatsoper Berlin / Stückeseite
  • Titelfoto: Staatsoper Berlin/RIGOLETTO/ Christopher Maltman (Rigoletto)/Foto Credits: Brinkhoff/Mögenburg
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Ein Gedanke zu „Der Schmerz der Ehrlichkeit im roten Fresko – „Rigoletto“ in der Staatsoper Unter den Linden

  1. Ich bin mit meiner Schwester für die letzten beiden „Rigoletto“ Vorstellungen aus Wien angereist, um Francesco Demuro als „Duca di Mantova“ zu erleben. Wie dieser Ausnahmekünstler die Rolle gestaltet hat, fanden wir beide atemberaubend. Sein unvergleichliches Timbre und die leuchtenden Spitzentöne mit einem sehr angenehmen Vibrato und schier endlos gehalten waren ein atemberaubendes Highlight! Die Inszenierung und das Bühnenbild fand ich sehr stimmig. Zwei unvergessliche Abende!

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