Barrie Koskys neue Figaro-Inszenierung am Haus am Ring geht in die zweite Runde – und bei dem, was es zu sehen gibt, ist man sich sicher: Man wird daran lange Freude haben. Das gilt nicht nur für Koskys Sinn für Komödie mit Tiefgang, sondern auch für die Optik. Das Bühnenbild von Rufus Didwiszus sieht für den ersten Akt ein weiß getäfeltes Zimmer vor, Rokoko-Ausstattung für den zweiten und dritten, und für den vierten eine schiefe Ebene von Waldboden ohne Bäume, dafür aber mit etlichen Falltüren – eine gute Lösung für das Auf- und Abtritts-Durcheinander vor dem Finale.

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Ying Fang (Susanna) und Peter Kellner (Figaro)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper

Die seidig und samtig schimmernden Kostüme von Victoria Behr sind vom Anfang der Siebziger Jahre inspiriert und nicht nur schön anzusehen, sondern stehen auch für die Zeit unmittelbar nach der sexuellen Revolution. Natürlich war das eine andere als die von Beaumarchais am Ende des 18. Jahrhunderts thematisierte Abschaffung des ius primae noctis in seinem Figaro, aber die Situation ist ähnlich. Mit der Aufklärung entwickelten sich wie in den Sechzigern neue gesellschaftliche Verhältnisse, auch zwischen den Geschlechtern, aber der Beziehungsstatus zueinander blieb (und bleibt) kompliziert.

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Peter Kellner (Figaro) und Patricia Nolz (Cherubino)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper

Kosky gilt als Meister der Personenregie, und bei dem, was ihm für den Figaro eingefallen ist, kann man nur staunen. Die besten Ideen sind oft die einfachsten, aber das sagt sich viel leichter als es ist. Ein Geniestreich ist jedenfalls die Umsetzung von Figaros berühmter Arie „Se vuol ballare, signor Contino“. Dabei singt Figaro zu einem Besen, den er senkrecht auf seiner Hand balanciert, und lässt ihn – so wie er die Pläne des feinen Grafen Almaviva durchkreuzen will – nach seiner letzten Note zu Boden krachen. Hier bewahrheitet sich die alte Theaterweisheit, dass Timing für eine Komödie alles ist, die besagte Szene lebt aber auch von der passenden Requisite: Der Graf hat in Liebesdingen so viel Dreck am Stecken, dass er als metaphorischer Besen taugt, und nachdem Figaro und seine Verlobte Susanna Bedienstete im gräflichen Haushalt sind, sind Haushaltsgeräte wohl in Griffweite.

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Hanna-Elisabeth Müller (Gräfin Almaviva)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper

Köstlich ist auch der Auftritt von Susanna aus der versperrten Kleiderkammer der Gräfin, in dem der Graf den Liebhaber seiner Frau vermutet. In der Hand hält Susanna eine Perücke, der sie analog zu den Strichen der tiefen Streicher ein paar Bürstenstriche verpasst. Das ist musikalisch wie bühnenhandwerklich so wirkungsvoll, dass es Mozart und Da Ponte wohl genauso gut gefallen hätte wie dem modernen Publikum.

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Ying Fang (Susanna), Hanna-Elisabeth Müller (Gräfin Almaviva) und Andrè Schuen (Graf Almaviva)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper

Das Opernglück perfekt macht eine Besetzung, die musikalisch wie darstellerisch restlos überzeugt. In der Partie der Susanna begeistert Ying Fang, die die Premierenserie wegen Stimmbandproblemen absagen musste, nun aber in Topform ist. Den hohen Erwartungen wird sie mehr als gerecht, denn ihre Stimme verfügt nicht nur über die seltene Kombination aus Fülle und Flexibilität, sondern ist auch technisch makellos geführt. Zusätzlich macht sich Fang jeden Spaß des Regisseurs zu ihrem eigenen. In ihrer Hausmädchen-Uniform könnte sie auch als Stewardess durchgehen, und nachdem Susanna auch die heimliche Chefin bei den Almavivas ist und alle Notausgänge kennt, ist das ein passender Zugang.

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Hanna-Elisabeth Müller (Gräfin Almaviva) und Andrè Schuen (Graf Almaviva)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper

Peter Kellner ist in der Titelpartie sängerisch wie darstellerisch ein jung-dynamischer, gewitzter und nicht zuletzt verliebter Figaro, dem man zutraut, seinen Herren Almaviva zu übertölpeln. Sängerisch begegnen sich die beiden Herren jedenfalls auf Augenhöhe. Als Graf überzeugte Andrè Schuen in einem fliederfarbenen Morgenrock, der vielleicht auch Richard Wagner gefallen hätte, und anderem feminin angehauchtem Siebzigerjahre-Dandy-Fummel. Dazu kam stimmliche Noblesse und Temperament – kein Wunder, dass die Gräfin ihn immer noch liebt und Susanna (in dieser Inszenierung) am Beginn des dritten Aktes mit ihm auf Tuchfühlung geht, auch wenn seine Eifersucht gegenüber der Gräfin im zweiten Akt verstörende Ausmaße annimmt.

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Evgeny Solodovnikov (Dr. Bartolo), Peter Kellner (Figaro) und Stephanie Houtzeel (Marcellina)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper

Hanna-Elisabeth Müller ist eine Parade-Gräfin mit edlem Timbre und seelenvollem Ausdruck. „Porgi amor” und „Dove sono i bei momenti“ waren jeweils Highlights in einem an Höhepunkten ohnehin reichen Abend. Man wünscht sich wirklich, dass das glamouröse Grafenpaar wieder zusammenfindet, auch wenn man der Gräfin eine Affäre mit Cherubino gönnen würde, den Patricia Nolz als richtigen Schlingel zeichnet – „Voi che sapete“ hatte nicht den üblichen unschuldigen Glöckchenklang, sondern war gut gewürzt mit erotischem Timbre.

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Hanna-Elisabeth Müller (Gräfin Almaviva) und Andrè Schuen (Graf Almaviva)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper

Stephanie Houtzeel ist eine Erz-Komödiantin, und eine bessere Besetzung für Marcellina wird man kaum finden. Optisch stelle man sich Lotte Tobisch sel. im flotten Overall vor, wie sie um einige Jahrzehnte verjüngt auf dem Catwalk stolziert. Mit Evgeny Solodovnikov als Dr. Bartolo erwächst Martin Winkler ernsthafte Gefahr im komischen Fach: gesanglich tadellos und mit dem gewissen Etwas von Buster Keaton. Andrea Giovannini hat den kurzatmig komponierten Don Curzio als Asthmatiker mit häufigem Griff zum Inhalator zu zeigen, während Josh Lovell einen aalglatten Don Basilio im Dandy-Look gibt. Und Barbarina tritt bekanntlich mit dem Verlust einer Nadel („l’ho perduta“) das finale Chaos los – Ileana Tonka erledigt diese „Aufgabe“ ebenso erfreulich wie Wolfgang Bankl, der sogar in der Mini-Partie des Antonio – mit Ruderleiberl, Hosenträgern und einem Arm voll verwüsteter Pelargonien – Aufsehen erregen kann.

Philippe Jordans Künste am Hammerklavier beeindruckten fast noch mehr als sein tadelloses Dirigat, denn sein Spiel hatte so viel Witz wie das Werk und seine Inszenierung.

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