Eine klassische Inszenierung im modernen Gewand ist Anthony Minghellas Produktion von Giacomo Puccinis Madama Butterfly und je öfter man sie sieht, desto mehr fällt einem auf, dass die Psychologie der Figuren – vor allem in Wiederaufnahmen mit kurzen Probenzeiten – zwischen schönen Kostümen und kitschigen Bildern ziemlich auf der Strecke bleibt. Optisch beeindruckt die Inszenierung aber natürlich trotzdem, denn alleine die Rosenblätter und die Lampions am Ende des ersten Akts sind eine Wucht.

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Sonya Yoncheva (Cio-Cio-San) und Charles Castronovo (Pinkerton)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper

Sonya Yoncheva gab in dieser Vorstellungsserie an der Wiener Staatsoper ihr Debüt als Puccinis tragische Heldin, wobei sie in der Partie an diesem Abend einen zwiespältigen Eindruck hinterließ. Denn sowohl im ersten als auch im dritten Akt schien sie die Butterfly stimmlich stark an ihre Grenzen zu bringen. So hatte sie bei ihrem ersten Auftritt mit dem Chor bereits Probleme, die Piani so elegant schwebend sostenuto zu singen wie von Puccini gefordert und auch in Folge verlor ihr Sopran immer wieder den Fokus, wodurch sich phasenweise ein breites Vibrato einstellte bzw. die Stimme künstlich abgedunkelt klang; dieser Eindruck setzte sich auch in ihrer finalen Suizid-Szene fort, wobei hier zusätzlich die Höhen unangenehm scharf wurden. Wie ausgewechselt schien die Stimme allerdings dazwischen im zweiten Akt – so gestaltete sie ihre Arie nicht nur mit einer großen Portion glaubhafter Hoffnung, sondern auch mit eleganter Phrasierung und klarem Timbre. Zusätzlich schaffte sie es gleichermaßen, zunächst die optimistische Naivität Cio-Cio-Sans und später die pure Verzweiflung mit vielschichtigen Klangfarben zu gestalten und konnte dadurch in diesen Szenen wirklich berühren. Als treue Suzuki an Butterflys Seite blieb Szilvia Vörös sowohl darstellerisch als auch stimmlich blass; nur in einigen Momenten schimmerte das farbenreiche Timbre ihres Mezzosoprans durch, wobei sich die Stimme generell in der Höhe deutlich wohler zu fühlen schien als in tieferen Lagen. 

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Charles Castronovo (Pinkerton) und Boris Pinkhasovich (Sharpless)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper

Als Pinkerton ließ sich Charles Castronovo zu Beginn des ersten Akts erst gar nicht auf einen Lautstärkewettbewerb mit dem (zumindest im Parterre zuweilen extrem lauten) Orchester ein, sondern zog in Ruhe sein Ding durch; was sich als gute Entscheidung erwies, denn nach und nach pendelte sich die Lautstärke auf eine gute Balance ein. Hier zeigte sich dann, dass ihm die Rolle ausgesprochen gut in der Kehle liegt; mit strahlenden Höhen und viel Schmelz in der Stimme umgarnte er zunächst Butterfly, bevor er sich im dritten Akt so klangschön selbst bemitleidete, dass es einem fast schon schwer fiel, die Figur zu hassen. Auch darstellerisch legte er den Charakter nicht als brutalen Imperialisten an, sondern als unbekümmerten Lebemann, der gar nicht auf die Idee kommt, dass sein Verhalten Konsequenzen haben könnte.

Den Gegenpol dazu bildete der Sharpless von Boris Pinkhasovich, der als Konsul eigentlich vom ersten Augenblick an vergeblich versucht, die Tragödie abzuwenden und der seine Abneigung gegen Pinkertons Einstellung bereits im ersten Akt dezent, aber unmissverständlich auf die Bühne bringt. Neben dieser nuancierten Darstellung ist es Pinkhasovichs elegant timbrierte, technisch blitzsauber geführte Stimme, die ihn zum Zentrum der Vorstellung werden lässt. Ihm zuzuhören ist einfach ein Hochgenuss, denn er begeistert nicht nur mit vielschichtigen Farben, zurückgenommenen Piani und profunder Tiefe, sondern er gestaltet die Rolle im besten Sinne des Wortes – da werden nicht einfach nur schöne Töne produziert, sondern die Innenwelt der Figur nach außen gekehrt. Ein Aspekt, der in der Intendanz-Ära von Bogdan Roščić bisher wirklich immer positiv auffällt ist, dass die kleineren Rollen durchwegs gut besetzt sind: Andrea Giovannini brachte einen schönstimmigen, aber unsympathisch schleimigen Goro auf die Bühne; die beiden Opernstudiomitglieder Alma Neuhaus und Nikita Ivasechko als Kate Pinkerton respektive kaiserlicher Kommissär fielen mit eleganter Stimmführung ausgesprochen positiv auf und Ensemblemitglied Evgeny Solodovnikov polterte als Onkel Bonze mit dunklem Bass-Punch drauflos.

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Sonya Yoncheva (Cio-Cio-San)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper

Dass sich an diesem Abend nie so wirklich die großen Emotionen einstellen wollten, lag zu einem beträchtlichen Teil auch an dem, was aus dem Graben zu hören war. Unter der Leitung von Antonello Manacorda lieferte das Orchester der Wiener Staatsoper nämlich eher Dienst nach Vorschrift als künstlerische Höhenflüge. Ob es nun daran gelegen hat, dass die A-Mannschaft für die am folgenden Tag angesetzte Götterdämmerung geschont wurde oder dass es sich um die vorletzte Vorstellung der Saison vor der Sommerpause gehandelt hat und die Musiker gedanklich schon mehr im Urlaub als bei Puccini waren, sei dahingestellt – in der Staatsoper kann und sollte man mehr erwarten dürfen als einen passagenweise so übersteuert knalligen Klang neben uninspirierten bis zerdehnten Momenten.

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