Hamlet von Brett Dean an der Bayerischen Staatsoper

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Hamlet als Action-Held

„Hamlet“ von Brett Dean an der Bayerischen Staatsoper zur Eröffnung der Opernfestspiele

Von Robert Jungwirth

(München, 26. Juni 2023) Der Effekt ist gut gesetzt. Hamlet erscheint auf der Bühne – im Hintergrund das Festbankett für den neuen König – und singt „…or not to be“. Es ist nur der zweite Teil seiner berühmten Frage. Bei Shakespeare stellt sie sich Hamlet erst im dritten Akt. In Brett Deans Hamlet-Oper ist sie gleich zu Beginn zu hören und macht so schon klar, wohin die Reise für Hamlet geht: seinem eigenen Tod entgegen. Der Effekt ist gut gesetzt, wie so manches in Deans 2017 in Glyndebourne erfolgreich uraufgeführter Oper.

Bei Dean und seinem Librettisten Matthew Jocelyn ist Hamlet weniger der Zögerer und Zauderer als vielmehr der ziemlich konsequente Rächer des gewaltsamen Todes seines Vaters. Dessen Geist erscheint ihm ja bekanntlich, eröffnet ihm die Umstände seines Todes und drängt ihn zur Rache. Der Mörder ist Hamlets Onkel Claudius, der jetzige König und Ehemann von Hamlets Mutter. Dean und Jocelyn machen aus Hamlet einen Action-Helden, der beherzt zur Rache schreitet – auch wenn ihn des Wahnsinns sanfte Flügel manchmal streifen.

Überhaupt der Wahnsinn. Er lauert im „Hamlet“ immer und überall. Ophelias Wahnsinnsszene ist quasi die Mutter aller Wahnsinnsszenen. In Deans Oper gibt es für sie gleich zwei davon. Dazu sirrt und klingelt es im Orchester gar gruselig – wie auch schon bei der Geistererscheinung. Dean greift tief in der klangliche Trick-Kiste und holt allerhand daraus hervor: metallisches Schaben an Becken oder Metallplatten, Sul-Ponticello-Spiel, Geräuschhaftes von den Perkussionisten usw. usf. Eine bunte Wundertüte. Und so klingt eigentlich die ganze Oper: eine bunte Wundertüte mit vielen gekonnt gesetzten Akzenten und Zuspitzungen und ariosen Partien für die Sängerinnen und Sänger, aber letztlich bleibt die Musik beliebig. Effekt reiht sich an Effekt, mehr Illustration als Interpretation, mehr Filmmusik als musikalisch-künstlerische Deutung. Auf diese Weise könnte man auch ein Telefonbuch vertonen. Handwerklich ist das ohne alle Zweifel sehr gut gemacht, aber künstlerisch überzeugend ist es nicht. Die Musik entwickelt keine künstlerische Eigenständigkeit und Identität, sie bleibt Untermalung der Handlung.

Dass Opernintendant Serge Dorny die originale Glyndebourne-Inszenierung einfach nach München geholt hat, mag man verstehen, weil sie ebenfalls handwerklich gut gearbeitet ist (Regie: Neil Armfield, Bühne: Ralph Myers). Für ein Haus wie die Bayerische Staatsoper mit ihren künstlerischen (und auch finanziellen) Möglichkeiten und als Festspielpremiere allerdings ist diese Übernahme eigentlich ein Unding und unter dem Niveau des Hauses. Zumindest die Regie hätte man erneuern müssen, zumal sie insgesamt doch recht verzopft daherkommt. Ein paar neue frische Ideen hätten vielleicht auch der kunstgewerblichen Musik auf die Sprünge geholfen.

Warum Dorny diese Opernproduktion überhaupt nach München geholt hat, erschließt sich auch nach dreieinhalb Stunden Rache-Krimi mit einer filmreifen Fechtszene zum Schluss nicht wirklich. Auch wenn phantastisch gesungen wird – Allan Clayton als Hamlet, Caroline Wettergreen als Ophelia, Rod Gilfry als Claudius, Sophie Koch als Gertrude, Charles Workman als Polonius, John Tomlinson als Geist und Totengräber und Sean Panikkar als Laertes – und der Münchner GMD Vladimir Jurowski, der auch schon die Uraufführung in Glyndebourne leitete, die spannungs- und akzentgeladene Partitur mit nicht nachlassender Verve ihren vielen Kulminationen entgegen treibt, bleibt man am Ende doch enttäuscht zurück von diesem Action-Hamlet, dem es so wenig ums Sinnieren und In-Frage-stellen geht – irgendwie haben wir „Hamlet“ anders in Erinnerung…

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