Als Franz Welser-Möst ankündigte, dass er zum hiesigen Saisonende zum letzten Mal in seinem Leben den Ring des Nibelungen dirigieren werde, stieg angesichts einer solch endgültigen Aussage sowohl die Vorfreude auf die beiden geplanten Ring-Zyklen an der Wiener Staatsoper, aber auch das Bewusstsein um seine bedauerliche Abkehr von Wagners Magnum Opus.

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Regine Hangler (Dritte Norn), Juliette Mars (Zweite Norn) und Noa Beinart (Erste Norn)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Das Timing stimmt jedoch, denn für den österreichischen Dirigenten schließt sich so der Kreis. Diese Götterdämmerung wird zu einem Abend mehrfacher Abschiede. Bereits seit 2007 dirigierte er alle Premieren dieses Rings unter der Regie von Sven-Eric Bechtolf und leitete nun am 30. Juni wie angekündigt die letzte Götterdämmerung. Gleichzeitig verabschiedet sich die Wiener Staatsoper in die Sommerpause und auch der „Bechtolf-Ring“ scheint ausgespielt: In der kommenden Spielzeit steht die Tetralogie nicht auf dem Spielplan und ab 2025, möchte man den Gerüchten Glauben schenken, bekommt das Haus einen neuen Ring.

Die Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf wirft ästhetisch leider mehr Fragen auf, als sie beantworten kann: Zwischen der als Weihnachtsbaum-Schlussverkauf anmutenden Szene der Nornen und den ungewollt komischen Aluhut tragenden Mannen Hagens fällt es – auch mangels Personenregie – nicht schwer gänzlich auf die Darbietungen der Sänger*innen und des Orchesters der Wiener Staatsoper zu achten.

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Michael Nagy (Alberich) und Mika Kares (Hagen)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Und Franz Welser-Möst ist sich als ehemaliger Musikdirektor der Wiener Staatsoper bewusst, dass sich ein großer Teil der Handlung ohnehin in Wagners Musik verbirgt und genau das machte er sich zu Nutzen. Der komplexen Partitur, der verwobenen Leitmotivik – all dem setzte er seinen eigenen Stempel auf und erzählte das Weltenende auf seine ganz eigene unikale Weise. Die Geschichte des Untergangs der Götter spielte sich nicht auf der Bühne ab, sondern wurde vielmehr im Graben erzählt – denn nicht Bechtolfs Inszenierung, sondern Welser-Mösts Interpretation ist es, die die Handlung konsequent vorantrieb. So dramatisch verdichtet, spannungsreich und voller dynamischer Abstufungen war sein Dirigat. Er wusste genau um die Wirkung der von ihn gesetzten Akzente und versteht gleichsam, wann er das Orchester zurücknehmen musste. Mit prägnant gestrafften Tempi geriet sein Dirigat mitunter zur Tour de Force, kontrastreich stellte er die Melodielinien im Orchester gegenüber, jedes Motiv erklang kraft- wie bedeutungsvoll. Während die an die Wand projizierten Weltuntergangsflammen ihre Wirkung verfehlen, schlug das Brodeln im Graben umso stärker ein. Gemeinsam ließen Dirigent und Orchester ein Musikdrama allererster Güte entstehen.

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Ricarda Merbeth (Brünnhilde)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Bei einer solch einzigartigen Interpretation mag alles andere schnell in den Hintergrund treten, doch auch die Besetzung an diesem Abend ist hochkarätig. Allen voran Ricarda Merbeth, deren strahlend triumphale Brünnhilde fesselte und alle in ihren Bann zog. Bereits unter Leitung Christian Thielemanns beim letzten Dresdener Ring konnte sie mit dieser Rolle Aufsehen erregen. Als ehemaliges Ensemblemitglied der Staatsoper scheint sie sich für das Wiener Publikum noch einmal gesteigert zu haben. Ihre Darstellung ist gleichzeitig einnehmend und zeitlos, ihre Stimme stets kraftvoll, ohne an Schönheit oder Ausdruck einzubüßen. Merbeth hat ihre Paraderolle gefunden und sich mit diesem Ring-Zyklus endgültig zu einer der begehrtesten Brünnhilden unserer Zeit emporgesungen.

Daniel Frank, der bereits wenige Tage zuvor als Siegmund in der Walküre einsprang, übernahm kurzfristig auch noch die Partie des Siegfried für Burkhard Fritz. Zunächst musste sich Frank gegen die nicht gerade sängerfreundliche Intensität des Dirigats von Welser-Möst behaupten. Seine herb-warme, abgerundete und mit baritonalen Akzenten geschmückte Tenorstimme beeindruckte dagegen besonders in den Erzählungen im dritten Akt. Der bislang zumeist an mittelgroßen Häusern singende Heldentenor fand mit diesem doppelten Einspringen im Wiener Ring-Zyklus seinen berechtigten Platz auf der ganz großen Opernbühne. Franks Stimme klang stets frei, seine Deklamation blieb verständlich und obgleich manch ein Spitzenton an Intensität einbüßte, entpuppte sich dieser Siegfried als ein vom strengen Wiener Publikum gefeierter Überraschungscoup.

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Daniel Frank (Siegfried), Mika Kares (Hagen) und Clemens Unterreiner (Gunther)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Der finnische Bass Mika Kares hatte bereits durch sein Auftreten einen entscheidenden Vorteil in seiner Rolle als Hagen. Groß, einschüchternd und mit grimmigem Blick präsentierte er sich und auch seine Stimme entsprach dieser Darstellung voll und ganz: Mit tiefschwarzem, zugleich wohlklingendem Bass, herb und bedrohlich ist Kares ein Bösewicht par excellence. Michael Nagy verschaffte sich sich mit seinem Rollendebüt als Alberich direkt Präsenz und holte aus seinen wenigen Zeilen mit der Kunst des Liedgesangs alles heraus. Markant, akzentuiert und jeder Silbe Ausdruck verleihend, gehörte seine gesangliche Darstellung zu den besten des Abends. Auch Monika Bohinec als leidenschaftlich einnehmende Waltraute, sowie Clemens Unterreiner und Regine Hangler als Gunter und Gutrune entsprachen dem stimmlich hohen Niveau.

Die Götterdämmerung stellt als letzter Teil des Ring des Nibelungen immer ein Ende, einen Abschied dar. Doch kann sie auch als Vorahnung für einen (Neu)Anfang gelten. So auch für Franz Welser-Möst – statt den Blick in die Vergangenheit zu richten, lohnt nicht angesichts seines breit gefächerten Repertoires und geplanter Projekte – auch fernab der Oper – der Blick nach vorn. Ein Leben ohne Ring mag sinnlos sein, aber scheint für ihn dennoch möglich.

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