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Mannomann: Verdis „Ernani“ bei den Bregenzer Festspielen

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Saimir Pirgu
Männer in kriegerischer Dauer-Erregung: Verdi spießt in „Ernani“ nur das auf, woran alle Welt leidet - Szene mit Samir Pirgu (Mi.) in der Titelrolle. © Monika Forster

Verdis „Ernani“ funktioniert auch ohne Inhaltskenntnis - bei dieser zweieinhalbstündigen Schlagerparade. Wenn man die Oper aber auf die Bühne bringt, dann am besten so wie Lotte de Beer bei den Bregenzer Festspielen.

Acht Stunden zuvor gab es die Standpauke vom Staatschef. Vor „eskalierendem Vandalismus“ warnte Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Vor dem „Zerbrechen der Gemeinschaft“, vor Populismus und Ausgrenzung. Nicken im Bregenzer Festspielhaus beim Festakt, auch versteinerte Gesichter, mutmaßlich auf der rechten Flanke. Dabei wird ja seit Jahrhunderten alles in der Kunst verhandelt, die Eröffnungspremiere am Abend passt daher wie die Faust aufs längst blaue Auge. Männer brauchen Rache, schwören Eide, schwingen Schwerter, alles also eine Frage der „Ehre“ – Verdis „Ernani“ ist nichts anderes als ein auf zweieinhalb Stunden gedehnter Grönemeyer-Song.

Das 1844 uraufgeführte Früh-Stück des Italieners, das auf einem Drama von Victor Hugo basiert, war seinerzeit enorm populär. Und funktioniert problemlos auch ohne Inhaltskenntnis, nur als Hörgenuss – einfach, weil an jeder Partiturecke ein Hit lauert. Wenn man es allerdings auf die Bühne bringt, dann gibt es angesichts der krausen, heiß- und leerlaufenden Handlung nicht viele Möglichkeiten. Eine ist die von Regisseurin Lotte de Beer für die Premiere im Festspielhaus.

Gekämpft wird mit Holzschwertern, das Blut spritzt literweise

Eine Frau, Elvira, begehrt von gleich drei Männern, vom gefallenen Adeligen Ernani (er ist ihr Favorit), vom alten Blaublut Silva und von König Carlo, später zu Karl dem Großen befördert, all dies gebiert Dauer-Erregung, vor allem aber hinreißende Musik. Lotte de Beer, Intendantin der Wiener Volksoper, tritt listig die Flucht nach vorn an. Alles wird noch ein Stück weiter überdreht. Gekämpft wird mit Holzschwertern, das Blut spritzt literweise an die weißen Wände, zu Verdis Dreivierteltakt gerät die Soldateska einmal ins Schunkeln, und die virtuose Truppe der „Stunt-Factory“ mischt mit Kampfszenen die Chornummern auf. Der alte Silva ist als Mümmelgreis mit einer Gehhilfe vor Erfindung des Rollators unterwegs. Als Carlo die Königs- gegen die Kaiserkrone tauscht, ist das ein grotesk großes Faschingsexemplar mit Phallus-Wirkung. Und klar wird spätestens dann: Seit ihrer Sandkastenzeit hat sich für diese Männer nichts verändert.

Ausstatter Christof Hetzer lässt alles auf einem flachen Kugelsegment spielen, ein Geschehen wie auf einem fremden Planeten, der uns doch so nahe ist. Mit Schlafzimmerkasten, Fensterfront und Gräberfeld ist die Szenerie sehr wandelbar, tendiert dabei ins Abstrakte. Gern werden Papierwände eingerissen, die Zerstörung ist Programm. So sehr dieser fulminante und präzise durchgeführte Abend immer eins drüber ist, so klug bewegt er sich stets knapp unter der Karikaturenschwelle. Skurrildramatik, Bizarrhumor und Splatterkomik dienen nur einer Sache: der Demaskierung der Kerle. De Beer bietet da eine fulminante Gratwanderung zwischen Realcharakteren und Flachreliefs. Und jubelt einem mit Hintersinn dieselbe pazifistische Aussage wie manch bleischwere Tragödie unter.

Auch im Graben hat sich da jemand sehr viele Gedanken gemacht. Erstaunlich ist, was vom Bregenzer Chefdirigenten Enrique Mazzola und den Wiener Symphonikern gerade nicht zu hören ist: Andere donnern den „Ernani“ auf zum Kurkonzert-Humtata, missbrauchen Verdis Widerhaken und Akzente für den billigen Effekt. Mazzola ist dagegen als Connaisseur unterwegs, als einer, der alle Partiturzutaten genau abschmeckt. Das hat zwar Verve, ist schwungvoll und packend musiziert, jedoch auch von großer Eleganz. Mazzola macht damit die Scharnierfunktion des „Ernani“ in Verdis Œuvre deutlich: Noch wurzelt alles in der Formensprache des Belcanto, zugleich ist da eine enorme Zunahme an Energie und Vehemenz im Vergleich zu Donizetti & Co.

Entsprechende Stimmzwitter sind auf der Bühne erforderlich, Bregenz hat sie alle. Guanqun Yu (Elvira) und Saimir Pirgu (Ernani) sind hörbar lyrisch sozialisiert. Mit dem Zierwerk des frühen Verdi, mit dem Feintuning haben sie daher kaum Probleme, aber eben auch nicht mit kräfteraubenden Ausbrüchen. So expressiv Goran Jurić den Silva singdarstellt, so sehr spürt man dabei immer eine große Noblesse. Und bei Franco Vassallo hat man ohnehin in jeder Rolle das Gefühl, dass er ein Stück weit sich selbst spielt. Seine Bariton-Potenz stellt er als König/Kaiser Carlo lustvoll aus, um sich gleichzeitig augenzwinkernd davon zu distanzieren. Dass er dabei noch einen Körper vorführt, der lange kein Fitnessstudio gesehen hat, vergrößert offenbar den Spaß. Doch ist das wie alles an diesem Abend nie denunzierend, dafür umso entlarvender. Dazu spendiert das Festival mit dem Philharmonischen Chor aus Prag ein hervorragendes Ensemble, das es trotz hoher Umdrehungszahl nie aus der Kurve trägt – eine CD-reife Leistung. Heftiger, ungetrübter Applaus. Dass Bregenz (noch) keinen Kooperationspartner für diesen Muster-„Ernani“ gefunden hat, muss sich bald ändern.

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